Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

A. Altorientalisches.
haben, auf den Schultern ihrer Lehrmeister emporsteigen, und die Orna-
mentik in der Richtung, die sie schliesslich bei den Griechen genommen
hat, zwar langsam aber stetig fortentwickeln. Die grossen, übermäch-
tigen Aufgaben, die der egyptischen Kunst aus der Inanspruchnahme
durch Religion und Politik erwachsen waren, sie waren zwar auch für
die nachfolgenden orientalischen Völker vorhanden, aber doch in weit
minderem Grade. Wir werden sofort sehen, in welchem Maasse gleich
die nächsten Gründer einer orientalischen Weltmonarchie nach den
Egyptern, die Mesopotamier, über die ornamentalen Leistungen ihrer
Vorgänger hinausgeschritten sind.

2. Mesopotamisches.

Die zweitälteste Kultur und Kunst, die in der Geschichte des
Alten Orients nachweislich von weitreichender Bedeutung gewesen ist,
hat in Mesopotamien ihren Sitz gehabt. Leider stammen die Denk-
mäler, die uns von dieser Kunst erhalten sind, fast ausschliesslich erst
aus der verhältnissmässig späten Zeit der Assyrerherrschaft. Was vor
dem Jahre Eintausend v. Ch. liegt, darüber haben wir nur unzu-
reichende Kunde auf Grund sehr vereinzelter Denkmäler, deren älteste
kaum in die Zeit der Thutmessiden, also des in der egyptischen Ge-
schichte verhältnissmässig späten Neuen thebanischen Reiches zurück-
gehen. Wir vermögen daher nicht einmal vollkommen sicher zu ent-
scheiden, in wieweit die Chaldäer, also die Bewohner des unteren
Euphrat-Tigris-Landes, in der That, wie man allgemein vermuthet, die
ersten Begründer einer höheren Kultur und Kunst in dem ganzen
grossen mesopotamischen Stromgebiete gewesen sind. Wenn daher im
Folgenden von assyrischer Ornamentik die Rede sein wird, so bleibt
hiebei ausdrücklich die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit vorbehalten,
dass die Ehre der Errungenschaften dieser Kunst den Chaldäern,
vielleicht wenigstens zum Theil auch den Elamiten, zugeschrieben wer-
den müsste.

Es kann hier nicht der Platz sein, die Bedeutung der assyrischen
Kunst für den Entwicklungsgang der Ornamentik in voll entsprechen-
dem Maasse zu würdigen. Es wäre hiefür vor Allem nothwendig, das
Verhältniss der Menschen- und Thierfigur zur Ornamentik bei den
Assyrern klarzustellen; einzelnes hierauf Bezügliches hat übrigens im
Capitel über den Wappenstil Erörterung gefunden. Aber das muss im
Allgemeinen nachdrücklich hervorgehoben werden, dass wir in der

A. Altorientalisches.
haben, auf den Schultern ihrer Lehrmeister emporsteigen, und die Orna-
mentik in der Richtung, die sie schliesslich bei den Griechen genommen
hat, zwar langsam aber stetig fortentwickeln. Die grossen, übermäch-
tigen Aufgaben, die der egyptischen Kunst aus der Inanspruchnahme
durch Religion und Politik erwachsen waren, sie waren zwar auch für
die nachfolgenden orientalischen Völker vorhanden, aber doch in weit
minderem Grade. Wir werden sofort sehen, in welchem Maasse gleich
die nächsten Gründer einer orientalischen Weltmonarchie nach den
Egyptern, die Mesopotamier, über die ornamentalen Leistungen ihrer
Vorgänger hinausgeschritten sind.

2. Mesopotamisches.

Die zweitälteste Kultur und Kunst, die in der Geschichte des
Alten Orients nachweislich von weitreichender Bedeutung gewesen ist,
hat in Mesopotamien ihren Sitz gehabt. Leider stammen die Denk-
mäler, die uns von dieser Kunst erhalten sind, fast ausschliesslich erst
aus der verhältnissmässig späten Zeit der Assyrerherrschaft. Was vor
dem Jahre Eintausend v. Ch. liegt, darüber haben wir nur unzu-
reichende Kunde auf Grund sehr vereinzelter Denkmäler, deren älteste
kaum in die Zeit der Thutmessiden, also des in der egyptischen Ge-
schichte verhältnissmässig späten Neuen thebanischen Reiches zurück-
gehen. Wir vermögen daher nicht einmal vollkommen sicher zu ent-
scheiden, in wieweit die Chaldäer, also die Bewohner des unteren
Euphrat-Tigris-Landes, in der That, wie man allgemein vermuthet, die
ersten Begründer einer höheren Kultur und Kunst in dem ganzen
grossen mesopotamischen Stromgebiete gewesen sind. Wenn daher im
Folgenden von assyrischer Ornamentik die Rede sein wird, so bleibt
hiebei ausdrücklich die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit vorbehalten,
dass die Ehre der Errungenschaften dieser Kunst den Chaldäern,
vielleicht wenigstens zum Theil auch den Elamiten, zugeschrieben wer-
den müsste.

Es kann hier nicht der Platz sein, die Bedeutung der assyrischen
Kunst für den Entwicklungsgang der Ornamentik in voll entsprechen-
dem Maasse zu würdigen. Es wäre hiefür vor Allem nothwendig, das
Verhältniss der Menschen- und Thierfigur zur Ornamentik bei den
Assyrern klarzustellen; einzelnes hierauf Bezügliches hat übrigens im
Capitel über den Wappenstil Erörterung gefunden. Aber das muss im
Allgemeinen nachdrücklich hervorgehoben werden, dass wir in der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0112" n="86"/><fw place="top" type="header">A. Altorientalisches.</fw><lb/>
haben, auf den Schultern ihrer Lehrmeister emporsteigen, und die Orna-<lb/>
mentik in der Richtung, die sie schliesslich bei den Griechen genommen<lb/>
hat, zwar langsam aber stetig fortentwickeln. Die grossen, übermäch-<lb/>
tigen Aufgaben, die der egyptischen Kunst aus der Inanspruchnahme<lb/>
durch Religion und Politik erwachsen waren, sie waren zwar auch für<lb/>
die nachfolgenden orientalischen Völker vorhanden, aber doch in weit<lb/>
minderem Grade. Wir werden sofort sehen, in welchem Maasse gleich<lb/>
die nächsten Gründer einer orientalischen Weltmonarchie nach den<lb/>
Egyptern, die Mesopotamier, über die ornamentalen Leistungen ihrer<lb/>
Vorgänger hinausgeschritten sind.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">2. Mesopotamisches.</hi> </head><lb/>
            <p>Die zweitälteste Kultur und Kunst, die in der Geschichte des<lb/>
Alten Orients nachweislich von weitreichender Bedeutung gewesen ist,<lb/>
hat in Mesopotamien ihren Sitz gehabt. Leider stammen die Denk-<lb/>
mäler, die uns von dieser Kunst erhalten sind, fast ausschliesslich erst<lb/>
aus der verhältnissmässig späten Zeit der Assyrerherrschaft. Was vor<lb/>
dem Jahre Eintausend v. Ch. liegt, darüber haben wir nur unzu-<lb/>
reichende Kunde auf Grund sehr vereinzelter Denkmäler, deren älteste<lb/>
kaum in die Zeit der Thutmessiden, also des in der egyptischen Ge-<lb/>
schichte verhältnissmässig späten Neuen thebanischen Reiches zurück-<lb/>
gehen. Wir vermögen daher nicht einmal vollkommen sicher zu ent-<lb/>
scheiden, in wieweit die Chaldäer, also die Bewohner des unteren<lb/>
Euphrat-Tigris-Landes, in der That, wie man allgemein vermuthet, die<lb/>
ersten Begründer einer höheren Kultur und Kunst in dem ganzen<lb/>
grossen mesopotamischen Stromgebiete gewesen sind. Wenn daher im<lb/>
Folgenden von assyrischer Ornamentik die Rede sein wird, so bleibt<lb/>
hiebei ausdrücklich die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit vorbehalten,<lb/>
dass die Ehre der Errungenschaften dieser Kunst den Chaldäern,<lb/>
vielleicht wenigstens zum Theil auch den Elamiten, zugeschrieben wer-<lb/>
den müsste.</p><lb/>
            <p>Es kann hier nicht der Platz sein, die Bedeutung der assyrischen<lb/>
Kunst für den Entwicklungsgang der Ornamentik in voll entsprechen-<lb/>
dem Maasse zu würdigen. Es wäre hiefür vor Allem nothwendig, das<lb/>
Verhältniss der Menschen- und Thierfigur zur Ornamentik bei den<lb/>
Assyrern klarzustellen; einzelnes hierauf Bezügliches hat übrigens im<lb/>
Capitel über den Wappenstil Erörterung gefunden. Aber das muss im<lb/>
Allgemeinen nachdrücklich hervorgehoben werden, dass wir <hi rendition="#g">in der</hi><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0112] A. Altorientalisches. haben, auf den Schultern ihrer Lehrmeister emporsteigen, und die Orna- mentik in der Richtung, die sie schliesslich bei den Griechen genommen hat, zwar langsam aber stetig fortentwickeln. Die grossen, übermäch- tigen Aufgaben, die der egyptischen Kunst aus der Inanspruchnahme durch Religion und Politik erwachsen waren, sie waren zwar auch für die nachfolgenden orientalischen Völker vorhanden, aber doch in weit minderem Grade. Wir werden sofort sehen, in welchem Maasse gleich die nächsten Gründer einer orientalischen Weltmonarchie nach den Egyptern, die Mesopotamier, über die ornamentalen Leistungen ihrer Vorgänger hinausgeschritten sind. 2. Mesopotamisches. Die zweitälteste Kultur und Kunst, die in der Geschichte des Alten Orients nachweislich von weitreichender Bedeutung gewesen ist, hat in Mesopotamien ihren Sitz gehabt. Leider stammen die Denk- mäler, die uns von dieser Kunst erhalten sind, fast ausschliesslich erst aus der verhältnissmässig späten Zeit der Assyrerherrschaft. Was vor dem Jahre Eintausend v. Ch. liegt, darüber haben wir nur unzu- reichende Kunde auf Grund sehr vereinzelter Denkmäler, deren älteste kaum in die Zeit der Thutmessiden, also des in der egyptischen Ge- schichte verhältnissmässig späten Neuen thebanischen Reiches zurück- gehen. Wir vermögen daher nicht einmal vollkommen sicher zu ent- scheiden, in wieweit die Chaldäer, also die Bewohner des unteren Euphrat-Tigris-Landes, in der That, wie man allgemein vermuthet, die ersten Begründer einer höheren Kultur und Kunst in dem ganzen grossen mesopotamischen Stromgebiete gewesen sind. Wenn daher im Folgenden von assyrischer Ornamentik die Rede sein wird, so bleibt hiebei ausdrücklich die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit vorbehalten, dass die Ehre der Errungenschaften dieser Kunst den Chaldäern, vielleicht wenigstens zum Theil auch den Elamiten, zugeschrieben wer- den müsste. Es kann hier nicht der Platz sein, die Bedeutung der assyrischen Kunst für den Entwicklungsgang der Ornamentik in voll entsprechen- dem Maasse zu würdigen. Es wäre hiefür vor Allem nothwendig, das Verhältniss der Menschen- und Thierfigur zur Ornamentik bei den Assyrern klarzustellen; einzelnes hierauf Bezügliches hat übrigens im Capitel über den Wappenstil Erörterung gefunden. Aber das muss im Allgemeinen nachdrücklich hervorgehoben werden, dass wir in der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/112
Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/112>, abgerufen am 20.04.2024.