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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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II.
Der Wappenstil.


Die übliche Identificirung der Textilornamentik mit Flächenorna-
mentik im Allgemeinen hat eine weitere Reihe von Irrthümern zur
Folge gehabt. Einer der anspruchvollsten darunter, der noch heute in
unbeschränktem Ansehen steht, betrifft jenes System der Ornamentik,
dem eine paarweise Gruppirung unter symmetrischer Gegenüberstellung
(Affrontirung bezw. Adossirung) zu Grunde liegt.

Auf Ernst Curtius1) geht die Unterscheidung zwischen einem
Teppichstil und einem Wappenstil zurück. Den Teppichstil erblickt Cur-
tius in jener Art von Flächenverzierung, wo z. B. Thiere in regel-
mässiger Reihenfolge, und zwar mehrere solcher Thierreihen in Zonen
übereinander angeordnet sind. Den Wappenstil bezeichnen ihm dagegen
die paarweise gruppirten Thiere, zu beiden Seiten eines trennenden
Mittels symmetrisch einander gegenübergestellt.

Was Curtius Teppichstil nennt, das hat weder mit der Textilkunst
im Allgemeinen, noch mit den Teppichen im Besonderen etwas Wesent-
liches zu thun. Hatte man nämlich eine Fläche überhaupt (nicht bloss
eine textile) zu verzieren, so lag es am nächsten, den Raum in der
Weise zu brechen, dass man denselben in einzelne horizontale Streifen
zerlegte und innerhalb dieser Streifen die Einzelornamente unter-
brachte. Eine solche Streifendekoration begegnet uns auf historischem
Boden bereits bei den Altegyptern (Reihen figuraler Scenen überein-
ander an den Grabwänden), bei den Assyrern2), aber auch später in
den reifsten Stilen immer wieder3). Um diese Art der Dekoration mit

1) Abh. der Berl. Akad. 1874.
2) Z. B. bei Layard Ninive I. 23 unten am Gewande der äussersten
Figur rechts, mit rein geometrischen Einzelmotiven.
3) Nach Schreiber (Wiener Brunnenreliefs S. 84) ist die "Streitendeko-
ration" auch in der hellenistischen Dekorationskunst sehr maassgebend ge-
wesen.
Riegl, Stilfragen. 3
II.
Der Wappenstil.


Die übliche Identificirung der Textilornamentik mit Flächenorna-
mentik im Allgemeinen hat eine weitere Reihe von Irrthümern zur
Folge gehabt. Einer der anspruchvollsten darunter, der noch heute in
unbeschränktem Ansehen steht, betrifft jenes System der Ornamentik,
dem eine paarweise Gruppirung unter symmetrischer Gegenüberstellung
(Affrontirung bezw. Adossirung) zu Grunde liegt.

Auf Ernst Curtius1) geht die Unterscheidung zwischen einem
Teppichstil und einem Wappenstil zurück. Den Teppichstil erblickt Cur-
tius in jener Art von Flächenverzierung, wo z. B. Thiere in regel-
mässiger Reihenfolge, und zwar mehrere solcher Thierreihen in Zonen
übereinander angeordnet sind. Den Wappenstil bezeichnen ihm dagegen
die paarweise gruppirten Thiere, zu beiden Seiten eines trennenden
Mittels symmetrisch einander gegenübergestellt.

Was Curtius Teppichstil nennt, das hat weder mit der Textilkunst
im Allgemeinen, noch mit den Teppichen im Besonderen etwas Wesent-
liches zu thun. Hatte man nämlich eine Fläche überhaupt (nicht bloss
eine textile) zu verzieren, so lag es am nächsten, den Raum in der
Weise zu brechen, dass man denselben in einzelne horizontale Streifen
zerlegte und innerhalb dieser Streifen die Einzelornamente unter-
brachte. Eine solche Streifendekoration begegnet uns auf historischem
Boden bereits bei den Altegyptern (Reihen figuraler Scenen überein-
ander an den Grabwänden), bei den Assyrern2), aber auch später in
den reifsten Stilen immer wieder3). Um diese Art der Dekoration mit

1) Abh. der Berl. Akad. 1874.
2) Z. B. bei Layard Ninive I. 23 unten am Gewande der äussersten
Figur rechts, mit rein geometrischen Einzelmotiven.
3) Nach Schreiber (Wiener Brunnenreliefs S. 84) ist die „Streitendeko-
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wesen.
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[[33]/0059] II. Der Wappenstil. Die übliche Identificirung der Textilornamentik mit Flächenorna- mentik im Allgemeinen hat eine weitere Reihe von Irrthümern zur Folge gehabt. Einer der anspruchvollsten darunter, der noch heute in unbeschränktem Ansehen steht, betrifft jenes System der Ornamentik, dem eine paarweise Gruppirung unter symmetrischer Gegenüberstellung (Affrontirung bezw. Adossirung) zu Grunde liegt. Auf Ernst Curtius 1) geht die Unterscheidung zwischen einem Teppichstil und einem Wappenstil zurück. Den Teppichstil erblickt Cur- tius in jener Art von Flächenverzierung, wo z. B. Thiere in regel- mässiger Reihenfolge, und zwar mehrere solcher Thierreihen in Zonen übereinander angeordnet sind. Den Wappenstil bezeichnen ihm dagegen die paarweise gruppirten Thiere, zu beiden Seiten eines trennenden Mittels symmetrisch einander gegenübergestellt. Was Curtius Teppichstil nennt, das hat weder mit der Textilkunst im Allgemeinen, noch mit den Teppichen im Besonderen etwas Wesent- liches zu thun. Hatte man nämlich eine Fläche überhaupt (nicht bloss eine textile) zu verzieren, so lag es am nächsten, den Raum in der Weise zu brechen, dass man denselben in einzelne horizontale Streifen zerlegte und innerhalb dieser Streifen die Einzelornamente unter- brachte. Eine solche Streifendekoration begegnet uns auf historischem Boden bereits bei den Altegyptern (Reihen figuraler Scenen überein- ander an den Grabwänden), bei den Assyrern 2), aber auch später in den reifsten Stilen immer wieder 3). Um diese Art der Dekoration mit 1) Abh. der Berl. Akad. 1874. 2) Z. B. bei Layard Ninive I. 23 unten am Gewande der äussersten Figur rechts, mit rein geometrischen Einzelmotiven. 3) Nach Schreiber (Wiener Brunnenreliefs S. 84) ist die „Streitendeko- ration“ auch in der hellenistischen Dekorationskunst sehr maassgebend ge- wesen. Riegl, Stilfragen. 3

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. [33]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/59>, abgerufen am 28.03.2024.