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Ring, Max: Leibnitz und die Stiftung der Berliner Akademie. In: Die Gartenlaube. Leipzig, 1863.

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Der große Leibnitz war in jeder Beziehung der geeignete
Mann für ein solches Unternehmen, dessen eigentliche Seele er bald
werden sollte. Mit einem riesigen, universellen Wissen verband er
eine große, weltmännische Gewandtheit und einen bei Gelehrten so
selten gefundenen praktischen Blick für das Leben und seine Anfor-
derungen. Am Hofe zu Hannover bereits angestellt, mit der Mutter
Sophie Charlottens ebenso befreundet wie mit dieser selbst, bildete
er gleichsam das geistige Band zwischen den beiden größten prote-
stantischen Fürsten Deutschlands. Frühzeitig würdigte er die Be-
deutung und Wichtigkeit Brandenburgs, dessen Größe er nicht nur
in seinem durch den großen Kurfürsten begründeten Kriegsruhm,
sondern in dem freien Geiste religiöser Duldung, in der Förderung
von Kunst und Wissenschaft richtig erkannte. Andererseits hatte
auch der Berliner Hof schon vielfach den Wunsch geäußert, den
berühmten Leibnitz für sich zu gewinnen und seine immensen Kennt-
nisse zum Wohle des Staates zu nutzen. Der Kurfürst selbst, der
Alles beförderte, was seinen Ruhm und den Glanz seiner Regie-
rung vermehren konnte, zeigte sich sogleich geneigt, auf die von
seiner hohen Gemahlin angeregte Idee einzugehen. Bereits am
18. März 1700 faßte er den Entschluß, "eine Academie de
sciences
und ein Observatorium" in Berlin zu gründen. Diese
Nachricht, welche Sophie Charlotte selbst nach Hannover brachte,
bewog Leibnitz, sich in zwei einander ergänzenden Denkschriften über
die neue Stiftung auszusprechen und dieselben dem Kurfürsten ein-
zusenden. Hierauf erfolgte eine Einladung nach Berlin, wo Leibnitz
in der Mitte des Monats Mai 1700 eintraf, zu derselben Zeit,
als die Vermählung der einzigen Tochter des Kurfürsten aus erster
Ehe diesem die Gelegenheit gab, seine Prachtliebe im höchsten Grade
zu entfalten. Er konnte sich dem Rausche der Feste nicht entziehen,
obgleich ihm vor allen Dingen die Gründung der Akademie am
Herzen lag. Hierüber schreibt er einem vertrauten Freunde: "Die
Sache fesselt mich mehr an diesen Ort, als der festliche Hochzeits-
pomp, welcher jetzt vorbereitet wird, da der Bräutigam hier gestern
mit großem und glänzendem Gefolge von Wagen, Pferden, Menschen
seinen Einzug hielt und eine Aufnahme fand, welcher zu einer
königlichen Pracht nichts fehlte." In einem Briefe an die Kur-
fürstin Sophie, seine Gönnerin in Hannover, läßt er sich folgender-
maßen aus: "Gestern kam ich um drei Uhr von Lützenburg (Char-
lottenburg) zurück. Ich führe hier ein Leben, welches die Frau
Kurfürstin mit mir "ein lüderlich Leben" nennt. Me voila
donc bien derange et bien hors mon element.
"

Endlich kam der längst ersehnte Tag, welcher den Grund zu
der geistigen Entwicklung und Bedeutung Preußens legte. Am
11. Juni 1700 wurde die "Societät der Wissenschaften" von dem
Kurfürsten förmlich begründet. Der Name rührte von Leibnitz her,
der sie dadurch von den Universitäten unterscheiden wollte, welche
damals noch häufig Akademien genannt wurden. In dem Stiftungs-
briefe, in welchem man leicht die Feder und den Geist des berühm-
ten Philosophen erkennen wird, ist der Nachdruck hauptsächlich auf
die "teutsche Gesinnung" der Societät gelegt, was um so mehr zu
bewundern ist, da in jener Zeit gerade der französische Einfluß
nicht nur in den Trachten und Moden, sondern auch in Kunst
und Wissenschaft vorherrschte. "Solchemgestalt," heißt es in der
betreffenden Urkunde, "soll bei dieser Societät unter andern nütz-
lichen Studien, was zur Erhaltung der teutschen Sprache in ihrer
anständigen Reinigkeit, auch zur Ehre und Zierde der teutschen
Nation
gereichet, absonderlich mit gesorget werden, also daß es
eine "teutschgesinnte" Societät der Scienzien sei, dabei auch die
ganze teutsche und sonderlich Unserer Landen Weltliche und Kirchen-
historie nicht versäumet werden soll." - Eine eben so große
Wichtigkeit wird auch darauf gelegt, daß die Wissenschaft mit dem
Leben sich in Einklang setzen und durch ihre praktische Anwendung
auf das Leben das materielle und geistige Wohl der bürgerlichen
Gesellschaft fördern soll. Schon in seinen dem Kurfürsten vorge-
legten Denkschriften hatte Leibnitz die Ansicht ausgesprochen: "Solche
Societät müßte nicht auf bloße Curiosität und Wißbegierde und
unfruchtbare Experimente gerichtet sein, oder bei der bloßen Er-
findung nützlicher Dinge ohne Application und Anbringung beruhen,
wie etwa zu Paris, London und Florenz geschehen, sondern man
müßte gleich anfangs das Werk sammt der Wissenschaft auf Nutzen
richten, und auf solche Specimina denken, davon der hohe Urheber
Ehre und das gemeine Wesen ein Mehreres davon zu erwarten
Ursache haben. Wäre demnach der Zweck, die Theorie mit der
Praxis zu vereinigen, und nicht allein Künste und Wissenschaften,
[Spaltenumbruch] sondern auch Land und Leute, Feldbau, Manufacturen und Com-
mercien und mit einem Worte die Nahrungsmittel zu verbessern."
In dem Stiftungsbriefe heißt es: "Und wollen, daß dieselbe sich
angelegen sein lassen und dahin trachten solle, daß vermittelst der
Betrachtung der Werke und Wunder Gottes in der Natur, auch
Anmerkungen, Beschreib- und Ausübung derer Erfindungen, Kunst-
werke, Geschäfte und Lehren, nützliche Studia, Wissenschaften und
Künste, auch dienliche Nachrichtungen, wie die Namen haben können
excoliret, gebessert, wohl gefasset, und recht gebrauchet, und dadurch
der Schatz der bisher vorhandenen, aber zerstreuten menschlichen
Erkenntnisse nicht allein mehr und mehr in Ordnung und in die
Enge gebracht, sondern auch vermehrt und wohl angewendet wer-
den möge. Und wollen Männiglich in Unsern Landen, sonderlich
aber die in Unsern Bedienungen stehn, auch die sonst Dependenz
von uns haben, zumal aber alle, die denen Studien ergeben, nach
jeder Gelegenheit, der Societät zu ihrem gemeinnützigen Zwecke
die Hand möglichst zu bieten, anweisen, auch dieselbe bereits ins-
gemein hiermit und in Kraft dieses dazu nachdrücklich angewiesen haben."

Die Stiftung der Akademie war besonders für Sophie Char-
lotte ein freudiges Ereigniß, das sie durch ein Fest in ihrem
geliebten Charlottenburg feierte, woran natürlich auch Leibnitz
Theil nehmen mußte. Er selbst macht folgende Schilderung an
seine hohe Gönnerin in Hannover von dem Leben und Treiben
an dem Hofe ihrer geistreichen Tochter: "Um Ihnen eine Probe
von der guten Laune der Frau Kurfürstin zu geben, werde ich das
gestrige Fest beschreiben, das die hohe Frau mit Hülfe des Fräulein
von Pöllnitz und ihres Capellmeisters Ariosti erdacht und in Scene
gesetzt hat. Man stellte einen Dorf-Jahrmarkt vor, wo viele Buden
mit ihren lustigen Artikeln aufgerichtet waren, und man für Nichts
Würstchen, Schinken und allerhand Eßbares einkaufen und sogleich
verzehren konnte. Diese Buden hielten der Markgraf Christian
Ludwig (Bruder des Kurfürsten), Herr von Obdam, der holländische
Gesandte, Herr von Hamel etc. Herr von Osten spielte den markt-
schreierischen Charlatan, umgeben von Arlequins und Seiltänzern,
unter denen sich der Markgraf Albert (Bruder des Kurfürsten)
auszeichnete. Aber nichts war artiger als der Kurprinz (der damals
noch nicht ganz zwölfjährige Friedrich Wilhelm I.), welcher wirklich
Hocus Pocus zu spielen gelernt hatte. - Die Frau Kurfürstin
war die Doctorin, welche die Bude des Marktschreiers hielt. Der
französische Gesandte, Monsieur Desaleurs, spielte sehr gut die
Rolle des Zahnarztes. Beim Beginn des Schauspiels sah man den
feierlichen Einzug des Doctors, der auf einer Art von Elephanten
ritt, während die Frau Doctorin sich in einer Sänfte von ihren
Türken tragen ließ. Der Taschenspieler, die Possenreißer, die
Springer und der Zahnarzt folgten hintennach, und als der ganze
Zug des Doctors vorüber war, wurde ein kleines Ballet von
Zigeunerinnen aufgeführt, lauter Hofdamen, an deren Spitze die
Frau Prinzessin von Hohenzollern stand; Andere mischten sich in
den Tanz. Man sah auch einen Astrologen mit einem Teleskop
vortreten. Die Rolle war eigentlich meiner Person zugedacht, aber
der Graf von Wittgenstein war so barmherzig, mich abzulösen. Er
richtete glückliche Prophezeiungen an den Kurfürsten, welcher aus
der nächsten Loge zusah. Die Fürstin von Hohenzollern als erste
Zigeunerin wahrsagte der Frau Kurfürstin in reizenden deutschen
Versen, welche Herr von Besser (der bekannte Oberceremonienmeister
und Hofpoet) gedichtet hatte. Herr von Quirini war Kammerdiener
der Doctorin; und ich, ich stellte mich vortheilhaft mit meinem
kleinen Augenglase, um Alles recht genau zu sehen und Ihrer
kurfürstlichen Hohheit darüber Bericht zu erstatten."

Am nächsten Tage, den 12. Juli 1700, wurde Leibnitz zum
lebenslänglichen Präsident der Akademie, mit der Verpflichtung, so
weit seine Stellung in Hannover es zuließ, von Zeit zu Zeit nach
Berlin zu kommen. Anfänglich zeichnete sich die neu gestiftete
Akademie durch den Mangel an Mitgliedern aus; dieselbe bestand
zunächst nur aus dem verdienstvollen Prediger Jablonski, dessen
jüngerem Bruder, der zum immerwährenden Secretair ernannt
wurde, aus dem von Helmstädt berufenen Professor Fabricius und
dem tüchtigen Astronomen Gottfried Kirch aus Guben, der fleißige
Beobachtungen anstellte und das Kalenderwesen mit besorgen mußte.
Aber Leibnitz selbst stellte, wie Friedrich der Große von ihm sagte,
für sich allein eine Akademie vor. Allmählich stieg die Zahl der
Mitglieder auf achtzig, darunter viele ausgezeichnete Gelehrte nicht
nur in Deutschland, sondern auch in England, Holland und Italien.
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Der große Leibnitz war in jeder Beziehung der geeignete
Mann für ein solches Unternehmen, dessen eigentliche Seele er bald
werden sollte. Mit einem riesigen, universellen Wissen verband er
eine große, weltmännische Gewandtheit und einen bei Gelehrten so
selten gefundenen praktischen Blick für das Leben und seine Anfor-
derungen. Am Hofe zu Hannover bereits angestellt, mit der Mutter
Sophie Charlottens ebenso befreundet wie mit dieser selbst, bildete
er gleichsam das geistige Band zwischen den beiden größten prote-
stantischen Fürsten Deutschlands. Frühzeitig würdigte er die Be-
deutung und Wichtigkeit Brandenburgs, dessen Größe er nicht nur
in seinem durch den großen Kurfürsten begründeten Kriegsruhm,
sondern in dem freien Geiste religiöser Duldung, in der Förderung
von Kunst und Wissenschaft richtig erkannte. Andererseits hatte
auch der Berliner Hof schon vielfach den Wunsch geäußert, den
berühmten Leibnitz für sich zu gewinnen und seine immensen Kennt-
nisse zum Wohle des Staates zu nutzen. Der Kurfürst selbst, der
Alles beförderte, was seinen Ruhm und den Glanz seiner Regie-
rung vermehren konnte, zeigte sich sogleich geneigt, auf die von
seiner hohen Gemahlin angeregte Idee einzugehen. Bereits am
18. März 1700 faßte er den Entschluß, „eine Académie de
sciences
und ein Observatorium“ in Berlin zu gründen. Diese
Nachricht, welche Sophie Charlotte selbst nach Hannover brachte,
bewog Leibnitz, sich in zwei einander ergänzenden Denkschriften über
die neue Stiftung auszusprechen und dieselben dem Kurfürsten ein-
zusenden. Hierauf erfolgte eine Einladung nach Berlin, wo Leibnitz
in der Mitte des Monats Mai 1700 eintraf, zu derselben Zeit,
als die Vermählung der einzigen Tochter des Kurfürsten aus erster
Ehe diesem die Gelegenheit gab, seine Prachtliebe im höchsten Grade
zu entfalten. Er konnte sich dem Rausche der Feste nicht entziehen,
obgleich ihm vor allen Dingen die Gründung der Akademie am
Herzen lag. Hierüber schreibt er einem vertrauten Freunde: „Die
Sache fesselt mich mehr an diesen Ort, als der festliche Hochzeits-
pomp, welcher jetzt vorbereitet wird, da der Bräutigam hier gestern
mit großem und glänzendem Gefolge von Wagen, Pferden, Menschen
seinen Einzug hielt und eine Aufnahme fand, welcher zu einer
königlichen Pracht nichts fehlte.“ In einem Briefe an die Kur-
fürstin Sophie, seine Gönnerin in Hannover, läßt er sich folgender-
maßen aus: „Gestern kam ich um drei Uhr von Lützenburg (Char-
lottenburg) zurück. Ich führe hier ein Leben, welches die Frau
Kurfürstin mit mir „ein lüderlich Leben“ nennt. Me voilà
donc bien dérangé et bien hors mon élement.

Endlich kam der längst ersehnte Tag, welcher den Grund zu
der geistigen Entwicklung und Bedeutung Preußens legte. Am
11. Juni 1700 wurde die „Societät der Wissenschaften“ von dem
Kurfürsten förmlich begründet. Der Name rührte von Leibnitz her,
der sie dadurch von den Universitäten unterscheiden wollte, welche
damals noch häufig Akademien genannt wurden. In dem Stiftungs-
briefe, in welchem man leicht die Feder und den Geist des berühm-
ten Philosophen erkennen wird, ist der Nachdruck hauptsächlich auf
die „teutsche Gesinnung“ der Societät gelegt, was um so mehr zu
bewundern ist, da in jener Zeit gerade der französische Einfluß
nicht nur in den Trachten und Moden, sondern auch in Kunst
und Wissenschaft vorherrschte. „Solchemgestalt,“ heißt es in der
betreffenden Urkunde, „soll bei dieser Societät unter andern nütz-
lichen Studien, was zur Erhaltung der teutschen Sprache in ihrer
anständigen Reinigkeit, auch zur Ehre und Zierde der teutschen
Nation
gereichet, absonderlich mit gesorget werden, also daß es
eine „teutschgesinnte“ Societät der Scienzien sei, dabei auch die
ganze teutsche und sonderlich Unserer Landen Weltliche und Kirchen-
historie nicht versäumet werden soll.“ – Eine eben so große
Wichtigkeit wird auch darauf gelegt, daß die Wissenschaft mit dem
Leben sich in Einklang setzen und durch ihre praktische Anwendung
auf das Leben das materielle und geistige Wohl der bürgerlichen
Gesellschaft fördern soll. Schon in seinen dem Kurfürsten vorge-
legten Denkschriften hatte Leibnitz die Ansicht ausgesprochen: „Solche
Societät müßte nicht auf bloße Curiosität und Wißbegierde und
unfruchtbare Experimente gerichtet sein, oder bei der bloßen Er-
findung nützlicher Dinge ohne Application und Anbringung beruhen,
wie etwa zu Paris, London und Florenz geschehen, sondern man
müßte gleich anfangs das Werk sammt der Wissenschaft auf Nutzen
richten, und auf solche Specimina denken, davon der hohe Urheber
Ehre und das gemeine Wesen ein Mehreres davon zu erwarten
Ursache haben. Wäre demnach der Zweck, die Theorie mit der
Praxis zu vereinigen, und nicht allein Künste und Wissenschaften,
[Spaltenumbruch] sondern auch Land und Leute, Feldbau, Manufacturen und Com-
mercien und mit einem Worte die Nahrungsmittel zu verbessern.“
In dem Stiftungsbriefe heißt es: „Und wollen, daß dieselbe sich
angelegen sein lassen und dahin trachten solle, daß vermittelst der
Betrachtung der Werke und Wunder Gottes in der Natur, auch
Anmerkungen, Beschreib- und Ausübung derer Erfindungen, Kunst-
werke, Geschäfte und Lehren, nützliche Studia, Wissenschaften und
Künste, auch dienliche Nachrichtungen, wie die Namen haben können
excoliret, gebessert, wohl gefasset, und recht gebrauchet, und dadurch
der Schatz der bisher vorhandenen, aber zerstreuten menschlichen
Erkenntnisse nicht allein mehr und mehr in Ordnung und in die
Enge gebracht, sondern auch vermehrt und wohl angewendet wer-
den möge. Und wollen Männiglich in Unsern Landen, sonderlich
aber die in Unsern Bedienungen stehn, auch die sonst Dependenz
von uns haben, zumal aber alle, die denen Studien ergeben, nach
jeder Gelegenheit, der Societät zu ihrem gemeinnützigen Zwecke
die Hand möglichst zu bieten, anweisen, auch dieselbe bereits ins-
gemein hiermit und in Kraft dieses dazu nachdrücklich angewiesen haben.“

Die Stiftung der Akademie war besonders für Sophie Char-
lotte ein freudiges Ereigniß, das sie durch ein Fest in ihrem
geliebten Charlottenburg feierte, woran natürlich auch Leibnitz
Theil nehmen mußte. Er selbst macht folgende Schilderung an
seine hohe Gönnerin in Hannover von dem Leben und Treiben
an dem Hofe ihrer geistreichen Tochter: „Um Ihnen eine Probe
von der guten Laune der Frau Kurfürstin zu geben, werde ich das
gestrige Fest beschreiben, das die hohe Frau mit Hülfe des Fräulein
von Pöllnitz und ihres Capellmeisters Ariosti erdacht und in Scene
gesetzt hat. Man stellte einen Dorf-Jahrmarkt vor, wo viele Buden
mit ihren lustigen Artikeln aufgerichtet waren, und man für Nichts
Würstchen, Schinken und allerhand Eßbares einkaufen und sogleich
verzehren konnte. Diese Buden hielten der Markgraf Christian
Ludwig (Bruder des Kurfürsten), Herr von Obdam, der holländische
Gesandte, Herr von Hamel etc. Herr von Osten spielte den markt-
schreierischen Charlatan, umgeben von Arlequins und Seiltänzern,
unter denen sich der Markgraf Albert (Bruder des Kurfürsten)
auszeichnete. Aber nichts war artiger als der Kurprinz (der damals
noch nicht ganz zwölfjährige Friedrich Wilhelm I.), welcher wirklich
Hocus Pocus zu spielen gelernt hatte. – Die Frau Kurfürstin
war die Doctorin, welche die Bude des Marktschreiers hielt. Der
französische Gesandte, Monsieur Désaleurs, spielte sehr gut die
Rolle des Zahnarztes. Beim Beginn des Schauspiels sah man den
feierlichen Einzug des Doctors, der auf einer Art von Elephanten
ritt, während die Frau Doctorin sich in einer Sänfte von ihren
Türken tragen ließ. Der Taschenspieler, die Possenreißer, die
Springer und der Zahnarzt folgten hintennach, und als der ganze
Zug des Doctors vorüber war, wurde ein kleines Ballet von
Zigeunerinnen aufgeführt, lauter Hofdamen, an deren Spitze die
Frau Prinzessin von Hohenzollern stand; Andere mischten sich in
den Tanz. Man sah auch einen Astrologen mit einem Teleskop
vortreten. Die Rolle war eigentlich meiner Person zugedacht, aber
der Graf von Wittgenstein war so barmherzig, mich abzulösen. Er
richtete glückliche Prophezeiungen an den Kurfürsten, welcher aus
der nächsten Loge zusah. Die Fürstin von Hohenzollern als erste
Zigeunerin wahrsagte der Frau Kurfürstin in reizenden deutschen
Versen, welche Herr von Besser (der bekannte Oberceremonienmeister
und Hofpoet) gedichtet hatte. Herr von Quirini war Kammerdiener
der Doctorin; und ich, ich stellte mich vortheilhaft mit meinem
kleinen Augenglase, um Alles recht genau zu sehen und Ihrer
kurfürstlichen Hohheit darüber Bericht zu erstatten.“

Am nächsten Tage, den 12. Juli 1700, wurde Leibnitz zum
lebenslänglichen Präsident der Akademie, mit der Verpflichtung, so
weit seine Stellung in Hannover es zuließ, von Zeit zu Zeit nach
Berlin zu kommen. Anfänglich zeichnete sich die neu gestiftete
Akademie durch den Mangel an Mitgliedern aus; dieselbe bestand
zunächst nur aus dem verdienstvollen Prediger Jablonski, dessen
jüngerem Bruder, der zum immerwährenden Secretair ernannt
wurde, aus dem von Helmstädt berufenen Professor Fabricius und
dem tüchtigen Astronomen Gottfried Kirch aus Guben, der fleißige
Beobachtungen anstellte und das Kalenderwesen mit besorgen mußte.
Aber Leibnitz selbst stellte, wie Friedrich der Große von ihm sagte,
für sich allein eine Akademie vor. Allmählich stieg die Zahl der
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nur in Deutschland, sondern auch in England, Holland und Italien.
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[111/0002] Der große Leibnitz war in jeder Beziehung der geeignete Mann für ein solches Unternehmen, dessen eigentliche Seele er bald werden sollte. Mit einem riesigen, universellen Wissen verband er eine große, weltmännische Gewandtheit und einen bei Gelehrten so selten gefundenen praktischen Blick für das Leben und seine Anfor- derungen. Am Hofe zu Hannover bereits angestellt, mit der Mutter Sophie Charlottens ebenso befreundet wie mit dieser selbst, bildete er gleichsam das geistige Band zwischen den beiden größten prote- stantischen Fürsten Deutschlands. Frühzeitig würdigte er die Be- deutung und Wichtigkeit Brandenburgs, dessen Größe er nicht nur in seinem durch den großen Kurfürsten begründeten Kriegsruhm, sondern in dem freien Geiste religiöser Duldung, in der Förderung von Kunst und Wissenschaft richtig erkannte. Andererseits hatte auch der Berliner Hof schon vielfach den Wunsch geäußert, den berühmten Leibnitz für sich zu gewinnen und seine immensen Kennt- nisse zum Wohle des Staates zu nutzen. Der Kurfürst selbst, der Alles beförderte, was seinen Ruhm und den Glanz seiner Regie- rung vermehren konnte, zeigte sich sogleich geneigt, auf die von seiner hohen Gemahlin angeregte Idee einzugehen. Bereits am 18. März 1700 faßte er den Entschluß, „eine Académie de sciences und ein Observatorium“ in Berlin zu gründen. Diese Nachricht, welche Sophie Charlotte selbst nach Hannover brachte, bewog Leibnitz, sich in zwei einander ergänzenden Denkschriften über die neue Stiftung auszusprechen und dieselben dem Kurfürsten ein- zusenden. Hierauf erfolgte eine Einladung nach Berlin, wo Leibnitz in der Mitte des Monats Mai 1700 eintraf, zu derselben Zeit, als die Vermählung der einzigen Tochter des Kurfürsten aus erster Ehe diesem die Gelegenheit gab, seine Prachtliebe im höchsten Grade zu entfalten. Er konnte sich dem Rausche der Feste nicht entziehen, obgleich ihm vor allen Dingen die Gründung der Akademie am Herzen lag. Hierüber schreibt er einem vertrauten Freunde: „Die Sache fesselt mich mehr an diesen Ort, als der festliche Hochzeits- pomp, welcher jetzt vorbereitet wird, da der Bräutigam hier gestern mit großem und glänzendem Gefolge von Wagen, Pferden, Menschen seinen Einzug hielt und eine Aufnahme fand, welcher zu einer königlichen Pracht nichts fehlte.“ In einem Briefe an die Kur- fürstin Sophie, seine Gönnerin in Hannover, läßt er sich folgender- maßen aus: „Gestern kam ich um drei Uhr von Lützenburg (Char- lottenburg) zurück. Ich führe hier ein Leben, welches die Frau Kurfürstin mit mir „ein lüderlich Leben“ nennt. Me voilà donc bien dérangé et bien hors mon élement.“ Endlich kam der längst ersehnte Tag, welcher den Grund zu der geistigen Entwicklung und Bedeutung Preußens legte. Am 11. Juni 1700 wurde die „Societät der Wissenschaften“ von dem Kurfürsten förmlich begründet. Der Name rührte von Leibnitz her, der sie dadurch von den Universitäten unterscheiden wollte, welche damals noch häufig Akademien genannt wurden. In dem Stiftungs- briefe, in welchem man leicht die Feder und den Geist des berühm- ten Philosophen erkennen wird, ist der Nachdruck hauptsächlich auf die „teutsche Gesinnung“ der Societät gelegt, was um so mehr zu bewundern ist, da in jener Zeit gerade der französische Einfluß nicht nur in den Trachten und Moden, sondern auch in Kunst und Wissenschaft vorherrschte. „Solchemgestalt,“ heißt es in der betreffenden Urkunde, „soll bei dieser Societät unter andern nütz- lichen Studien, was zur Erhaltung der teutschen Sprache in ihrer anständigen Reinigkeit, auch zur Ehre und Zierde der teutschen Nation gereichet, absonderlich mit gesorget werden, also daß es eine „teutschgesinnte“ Societät der Scienzien sei, dabei auch die ganze teutsche und sonderlich Unserer Landen Weltliche und Kirchen- historie nicht versäumet werden soll.“ – Eine eben so große Wichtigkeit wird auch darauf gelegt, daß die Wissenschaft mit dem Leben sich in Einklang setzen und durch ihre praktische Anwendung auf das Leben das materielle und geistige Wohl der bürgerlichen Gesellschaft fördern soll. Schon in seinen dem Kurfürsten vorge- legten Denkschriften hatte Leibnitz die Ansicht ausgesprochen: „Solche Societät müßte nicht auf bloße Curiosität und Wißbegierde und unfruchtbare Experimente gerichtet sein, oder bei der bloßen Er- findung nützlicher Dinge ohne Application und Anbringung beruhen, wie etwa zu Paris, London und Florenz geschehen, sondern man müßte gleich anfangs das Werk sammt der Wissenschaft auf Nutzen richten, und auf solche Specimina denken, davon der hohe Urheber Ehre und das gemeine Wesen ein Mehreres davon zu erwarten Ursache haben. Wäre demnach der Zweck, die Theorie mit der Praxis zu vereinigen, und nicht allein Künste und Wissenschaften, sondern auch Land und Leute, Feldbau, Manufacturen und Com- mercien und mit einem Worte die Nahrungsmittel zu verbessern.“ In dem Stiftungsbriefe heißt es: „Und wollen, daß dieselbe sich angelegen sein lassen und dahin trachten solle, daß vermittelst der Betrachtung der Werke und Wunder Gottes in der Natur, auch Anmerkungen, Beschreib- und Ausübung derer Erfindungen, Kunst- werke, Geschäfte und Lehren, nützliche Studia, Wissenschaften und Künste, auch dienliche Nachrichtungen, wie die Namen haben können excoliret, gebessert, wohl gefasset, und recht gebrauchet, und dadurch der Schatz der bisher vorhandenen, aber zerstreuten menschlichen Erkenntnisse nicht allein mehr und mehr in Ordnung und in die Enge gebracht, sondern auch vermehrt und wohl angewendet wer- den möge. Und wollen Männiglich in Unsern Landen, sonderlich aber die in Unsern Bedienungen stehn, auch die sonst Dependenz von uns haben, zumal aber alle, die denen Studien ergeben, nach jeder Gelegenheit, der Societät zu ihrem gemeinnützigen Zwecke die Hand möglichst zu bieten, anweisen, auch dieselbe bereits ins- gemein hiermit und in Kraft dieses dazu nachdrücklich angewiesen haben.“ Die Stiftung der Akademie war besonders für Sophie Char- lotte ein freudiges Ereigniß, das sie durch ein Fest in ihrem geliebten Charlottenburg feierte, woran natürlich auch Leibnitz Theil nehmen mußte. Er selbst macht folgende Schilderung an seine hohe Gönnerin in Hannover von dem Leben und Treiben an dem Hofe ihrer geistreichen Tochter: „Um Ihnen eine Probe von der guten Laune der Frau Kurfürstin zu geben, werde ich das gestrige Fest beschreiben, das die hohe Frau mit Hülfe des Fräulein von Pöllnitz und ihres Capellmeisters Ariosti erdacht und in Scene gesetzt hat. Man stellte einen Dorf-Jahrmarkt vor, wo viele Buden mit ihren lustigen Artikeln aufgerichtet waren, und man für Nichts Würstchen, Schinken und allerhand Eßbares einkaufen und sogleich verzehren konnte. Diese Buden hielten der Markgraf Christian Ludwig (Bruder des Kurfürsten), Herr von Obdam, der holländische Gesandte, Herr von Hamel etc. Herr von Osten spielte den markt- schreierischen Charlatan, umgeben von Arlequins und Seiltänzern, unter denen sich der Markgraf Albert (Bruder des Kurfürsten) auszeichnete. Aber nichts war artiger als der Kurprinz (der damals noch nicht ganz zwölfjährige Friedrich Wilhelm I.), welcher wirklich Hocus Pocus zu spielen gelernt hatte. – Die Frau Kurfürstin war die Doctorin, welche die Bude des Marktschreiers hielt. Der französische Gesandte, Monsieur Désaleurs, spielte sehr gut die Rolle des Zahnarztes. Beim Beginn des Schauspiels sah man den feierlichen Einzug des Doctors, der auf einer Art von Elephanten ritt, während die Frau Doctorin sich in einer Sänfte von ihren Türken tragen ließ. Der Taschenspieler, die Possenreißer, die Springer und der Zahnarzt folgten hintennach, und als der ganze Zug des Doctors vorüber war, wurde ein kleines Ballet von Zigeunerinnen aufgeführt, lauter Hofdamen, an deren Spitze die Frau Prinzessin von Hohenzollern stand; Andere mischten sich in den Tanz. Man sah auch einen Astrologen mit einem Teleskop vortreten. Die Rolle war eigentlich meiner Person zugedacht, aber der Graf von Wittgenstein war so barmherzig, mich abzulösen. Er richtete glückliche Prophezeiungen an den Kurfürsten, welcher aus der nächsten Loge zusah. Die Fürstin von Hohenzollern als erste Zigeunerin wahrsagte der Frau Kurfürstin in reizenden deutschen Versen, welche Herr von Besser (der bekannte Oberceremonienmeister und Hofpoet) gedichtet hatte. Herr von Quirini war Kammerdiener der Doctorin; und ich, ich stellte mich vortheilhaft mit meinem kleinen Augenglase, um Alles recht genau zu sehen und Ihrer kurfürstlichen Hohheit darüber Bericht zu erstatten.“ Am nächsten Tage, den 12. Juli 1700, wurde Leibnitz zum lebenslänglichen Präsident der Akademie, mit der Verpflichtung, so weit seine Stellung in Hannover es zuließ, von Zeit zu Zeit nach Berlin zu kommen. Anfänglich zeichnete sich die neu gestiftete Akademie durch den Mangel an Mitgliedern aus; dieselbe bestand zunächst nur aus dem verdienstvollen Prediger Jablonski, dessen jüngerem Bruder, der zum immerwährenden Secretair ernannt wurde, aus dem von Helmstädt berufenen Professor Fabricius und dem tüchtigen Astronomen Gottfried Kirch aus Guben, der fleißige Beobachtungen anstellte und das Kalenderwesen mit besorgen mußte. Aber Leibnitz selbst stellte, wie Friedrich der Große von ihm sagte, für sich allein eine Akademie vor. Allmählich stieg die Zahl der Mitglieder auf achtzig, darunter viele ausgezeichnete Gelehrte nicht nur in Deutschland, sondern auch in England, Holland und Italien.

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Zitationshilfe: Ring, Max: Leibnitz und die Stiftung der Berliner Akademie. In: Die Gartenlaube. Leipzig, 1863, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ring_leibnitz_1863/2>, abgerufen am 24.04.2024.