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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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stand eines episch descriptiven Gedichts macht uns lachen,
wie in jener Macaronischen Floia, die mit den Worten
beginnt:

Deiriculos canam, qui bene huppere possunt etc.

In der Behandlung eines Gegenstandes kann ein
Humorist, Dickens Boz, unbedenklich auch die einzelnsten
Details hervorziehen, wie in Kopperfield z. B. die weit¬
läuftigste Beschreibung des feierlichen Ceremoniels, mit wel¬
chem Maicawber Punsch bereitet; oder der Anstrengungen,
denen sich die kleine Frau unterwirft, ihr Haushaltbuch zu
schreiben u. s. w. uns nicht zu weitläufig ist.

Ein an sich großer Gegenstand kann von vorn herein
mit Bewußtsein klein genommen werden; er wird dann tra¬
vestirt, wie der pius Aeneas in Blumauers Aeneide, oder
er wird boshaft persiflirt, wie die Begeisterung der helden¬
müthigen Jeanne d'Arc in Voltaire's Pucelle d' Orleans
(38) auf lauter kleinliche, ja schändliche Motive zurückge¬
führt wird.


II. Das Schwächliche.

Das Kleinliche kann zugleich das Schwächliche sein, so
wie das Schwächliche in der Regel auch kleinlich sein wird.
Dennnoch ist zwischen beiden ein Unterschied. Das Kleinliche
setzt eine Existenz unter Schranken herunter, die sie aufheben
sollte; das Schwächliche läßt die Kraft einer Existenz hinter
demjenigen Maaß zurückbleiben, das ihr, ihrem Wesen gemäß,
einwohnen sollte. Das Erhabene als das dynamisch Erhabene
äußert seine Unendlichkeit im Schaffen und Zerstören. Sie
erscheint als Kraft, Gewalt und kann auch furchtbar und

ſtand eines epiſch descriptiven Gedichts macht uns lachen,
wie in jener Macaroniſchen Floïa, die mit den Worten
beginnt:

Deiriculos canam, qui bene huppere possunt ꝛc.

In der Behandlung eines Gegenſtandes kann ein
Humoriſt, Dickens Boz, unbedenklich auch die einzelnſten
Details hervorziehen, wie in Kopperfield z. B. die weit¬
läuftigſte Beſchreibung des feierlichen Ceremoniels, mit wel¬
chem Maicawber Punſch bereitet; oder der Anſtrengungen,
denen ſich die kleine Frau unterwirft, ihr Haushaltbuch zu
ſchreiben u. ſ. w. uns nicht zu weitläufig iſt.

Ein an ſich großer Gegenſtand kann von vorn herein
mit Bewußtſein klein genommen werden; er wird dann tra¬
veſtirt, wie der pius Aeneas in Blumauers Aeneide, oder
er wird boshaft perſiflirt, wie die Begeiſterung der helden¬
müthigen Jeanne d'Arc in Voltaire's Pucelle d' Orléans
(38) auf lauter kleinliche, ja ſchändliche Motive zurückge¬
führt wird.


II. Das Schwächliche.

Das Kleinliche kann zugleich das Schwächliche ſein, ſo
wie das Schwächliche in der Regel auch kleinlich ſein wird.
Dennnoch iſt zwiſchen beiden ein Unterſchied. Das Kleinliche
ſetzt eine Exiſtenz unter Schranken herunter, die ſie aufheben
ſollte; das Schwächliche läßt die Kraft einer Exiſtenz hinter
demjenigen Maaß zurückbleiben, das ihr, ihrem Weſen gemäß,
einwohnen ſollte. Das Erhabene als das dynamiſch Erhabene
äußert ſeine Unendlichkeit im Schaffen und Zerſtören. Sie
erſcheint als Kraft, Gewalt und kann auch furchtbar und

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[186/0208] ſtand eines epiſch descriptiven Gedichts macht uns lachen, wie in jener Macaroniſchen Floïa, die mit den Worten beginnt: Deiriculos canam, qui bene huppere possunt ꝛc. In der Behandlung eines Gegenſtandes kann ein Humoriſt, Dickens Boz, unbedenklich auch die einzelnſten Details hervorziehen, wie in Kopperfield z. B. die weit¬ läuftigſte Beſchreibung des feierlichen Ceremoniels, mit wel¬ chem Maicawber Punſch bereitet; oder der Anſtrengungen, denen ſich die kleine Frau unterwirft, ihr Haushaltbuch zu ſchreiben u. ſ. w. uns nicht zu weitläufig iſt. Ein an ſich großer Gegenſtand kann von vorn herein mit Bewußtſein klein genommen werden; er wird dann tra¬ veſtirt, wie der pius Aeneas in Blumauers Aeneide, oder er wird boshaft perſiflirt, wie die Begeiſterung der helden¬ müthigen Jeanne d'Arc in Voltaire's Pucelle d' Orléans (38) auf lauter kleinliche, ja ſchändliche Motive zurückge¬ führt wird. II. Das Schwächliche. Das Kleinliche kann zugleich das Schwächliche ſein, ſo wie das Schwächliche in der Regel auch kleinlich ſein wird. Dennnoch iſt zwiſchen beiden ein Unterſchied. Das Kleinliche ſetzt eine Exiſtenz unter Schranken herunter, die ſie aufheben ſollte; das Schwächliche läßt die Kraft einer Exiſtenz hinter demjenigen Maaß zurückbleiben, das ihr, ihrem Weſen gemäß, einwohnen ſollte. Das Erhabene als das dynamiſch Erhabene äußert ſeine Unendlichkeit im Schaffen und Zerſtören. Sie erſcheint als Kraft, Gewalt und kann auch furchtbar und

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/208>, abgerufen am 29.03.2024.