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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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mit dem Residenzler und Großstädter, den Kleinbürger mit
dem Großbürger, den Recruten mit dem geschulten Soldaten,
den verlegenen Subalternbeamten mit dem Hochgestellten
u. s. w. contrastirt. L'homme de province ist zumal bei den
Franzosen wegen der Centralisation all ihrer Bildung in
Paris in allen möglichen Variationen eine stereotype komische
Figur. Aristophanes hat in seinen Komödien die Plump¬
heit der Lakonen, Triballer u. dgl. noch dadurch verstärkt,
daß er sie, der Feinheit der Attischen Sprache gegenüber,
in ihrem Dialekt reden läßt. Alle mimischen Künste haben
am Plumpen ein unfehlbares Effectmittel. In Glucks
Iphigenie auf Tauris ist der Skythentanz, den Griechen
gegenüber, von unvergleichlicher Wirkung. Gluck hat in
der Musik zu demselben das Dumpfe, Unaufgeschlossene
einer großen naturwüchsigen Kraft des Barbarenvolks sowohl
in der Melodie als in der Instrumentirung auf das Ge¬
nialste geschildert. Akrobaten und Kunstreiter wenden oft
das Plumpe als eine groteske Hülle an, durch den Contrast
einer sich aus ihm entpuppenden ätherischen Bewegung desto
mehr zu überraschen. So stellen sich gerade die Parforcereiter
gewöhlich erst als dumme, plumpe Teufel an, die das
Reiten gar nicht fassen können. Sitzen sie jedoch erst ein¬
mal auf dem Rücken des Pferdes, so überbieten sie Alles
mit ihrer Keckheit und halsbrechenden Verwegenheit.


ll. Das Todte und Leere.

Dem Leben steht der Tod und im Leben steht die Hei¬
terkeit des Spiels dem Ernst der Arbeit gegenüber. Aesthe¬
tisch ist zur zwecklosen Unruhe des Spielenden das Todte

Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen. 19

mit dem Reſidenzler und Großſtädter, den Kleinbürger mit
dem Großbürger, den Recruten mit dem geſchulten Soldaten,
den verlegenen Subalternbeamten mit dem Hochgeſtellten
u. ſ. w. contraſtirt. L'homme de province iſt zumal bei den
Franzoſen wegen der Centraliſation all ihrer Bildung in
Paris in allen möglichen Variationen eine ſtereotype komiſche
Figur. Ariſtophanes hat in ſeinen Komödien die Plump¬
heit der Lakonen, Triballer u. dgl. noch dadurch verſtärkt,
daß er ſie, der Feinheit der Attiſchen Sprache gegenüber,
in ihrem Dialekt reden läßt. Alle mimiſchen Künſte haben
am Plumpen ein unfehlbares Effectmittel. In Glucks
Iphigenie auf Tauris iſt der Skythentanz, den Griechen
gegenüber, von unvergleichlicher Wirkung. Gluck hat in
der Muſik zu demſelben das Dumpfe, Unaufgeſchloſſene
einer großen naturwüchſigen Kraft des Barbarenvolks ſowohl
in der Melodie als in der Inſtrumentirung auf das Ge¬
nialſte geſchildert. Akrobaten und Kunſtreiter wenden oft
das Plumpe als eine groteske Hülle an, durch den Contraſt
einer ſich aus ihm entpuppenden ätheriſchen Bewegung deſto
mehr zu überraſchen. So ſtellen ſich gerade die Parforcereiter
gewöhlich erſt als dumme, plumpe Teufel an, die das
Reiten gar nicht faſſen können. Sitzen ſie jedoch erſt ein¬
mal auf dem Rücken des Pferdes, ſo überbieten ſie Alles
mit ihrer Keckheit und halsbrechenden Verwegenheit.


ll. Das Todte und Leere.

Dem Leben ſteht der Tod und im Leben ſteht die Hei¬
terkeit des Spiels dem Ernſt der Arbeit gegenüber. Aeſthe¬
tiſch iſt zur zweckloſen Unruhe des Spielenden das Todte

Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 19
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[289/0311] mit dem Reſidenzler und Großſtädter, den Kleinbürger mit dem Großbürger, den Recruten mit dem geſchulten Soldaten, den verlegenen Subalternbeamten mit dem Hochgeſtellten u. ſ. w. contraſtirt. L'homme de province iſt zumal bei den Franzoſen wegen der Centraliſation all ihrer Bildung in Paris in allen möglichen Variationen eine ſtereotype komiſche Figur. Ariſtophanes hat in ſeinen Komödien die Plump¬ heit der Lakonen, Triballer u. dgl. noch dadurch verſtärkt, daß er ſie, der Feinheit der Attiſchen Sprache gegenüber, in ihrem Dialekt reden läßt. Alle mimiſchen Künſte haben am Plumpen ein unfehlbares Effectmittel. In Glucks Iphigenie auf Tauris iſt der Skythentanz, den Griechen gegenüber, von unvergleichlicher Wirkung. Gluck hat in der Muſik zu demſelben das Dumpfe, Unaufgeſchloſſene einer großen naturwüchſigen Kraft des Barbarenvolks ſowohl in der Melodie als in der Inſtrumentirung auf das Ge¬ nialſte geſchildert. Akrobaten und Kunſtreiter wenden oft das Plumpe als eine groteske Hülle an, durch den Contraſt einer ſich aus ihm entpuppenden ätheriſchen Bewegung deſto mehr zu überraſchen. So ſtellen ſich gerade die Parforcereiter gewöhlich erſt als dumme, plumpe Teufel an, die das Reiten gar nicht faſſen können. Sitzen ſie jedoch erſt ein¬ mal auf dem Rücken des Pferdes, ſo überbieten ſie Alles mit ihrer Keckheit und halsbrechenden Verwegenheit. ll. Das Todte und Leere. Dem Leben ſteht der Tod und im Leben ſteht die Hei¬ terkeit des Spiels dem Ernſt der Arbeit gegenüber. Aeſthe¬ tiſch iſt zur zweckloſen Unruhe des Spielenden das Todte Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 19

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/311>, abgerufen am 28.03.2024.