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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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ein heiter-schöner Anblick sein. Der kühne Aufschuß einer
Rakete, die das Nachtdunkel erhellt und im höchsten
Punkt zerplatzend mit dem Sternenhimmel zu fraternisiren
scheint, ist schön nicht blos durch die mechanische Bewegung,
sondern auch durch ihr Leuchten und durch ihre Geschwindigkeit.

Die dynamischen Processe der Natur sind an sich weder
schön noch häßlich, weil bei ihnen die Form zu keiner Aus¬
drücklichkeit gelangt. Cohäsion, Magnetismus, Elektricität,
Galvanismus, Chemismus, sind in ihrer Actuosität als sol¬
cher einfach. Ihre Resultate aber können schön sein, wie
das Sprühen des elektrischen Funkens, der Zickzackstrahl sei¬
nes Blitzes, das majestätische Rollen des Donners, die Far¬
benverwandlungen bei chemischen Vorgängen u. s. w. Ein
großes Feld eröffnen hier die phantastischen Bildungen,
welche das Gas in seiner elastischen Beweglichkeit zu ent¬
wickeln vermag. Die große Freiheit derselben bringt eben
sowohl schöne als häßliche Formen hervor. Die Grundform
der Gasexpansion ist allerdings die sphärische, nach allen
Seiten gleichmäßig ausstrebende. Weil aber das Gas in's
Ungemessene sich ausdehnt, so verliert sich die sphärische Ge¬
stalt bald durch die Grenze, die feste Körper ihm entgegen¬
stellen, bald durch andere Gase, mit denen es sich mischt
und chaotisch zerfließt. Welch' ein unendlich reiches, uner¬
schöpfliches Spiel von Dämmergestalten, die an Alles und
an Nichts erinnern, bieten uns nicht die Wolken dar! (4).

In der organischen Natur macht die Abgeschlossenheit
der Gestalt das Princip ihrer Existenz aus. Hiervon ist die
Folge, daß die Schönheit sich aus der träumerischen Zufäl¬
ligkeit losmacht, die ihr in der unorganischen Natur anhaf¬
tet Das organische Gebilde hat sofort einen bestimmten
ästhetischen Charakter, weil es ein wirkliches Individuum ist.

Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen. 2

ein heiter-ſchöner Anblick ſein. Der kühne Aufſchuß einer
Rakete, die das Nachtdunkel erhellt und im höchſten
Punkt zerplatzend mit dem Sternenhimmel zu fraterniſiren
ſcheint, iſt ſchön nicht blos durch die mechaniſche Bewegung,
ſondern auch durch ihr Leuchten und durch ihre Geſchwindigkeit.

Die dynamiſchen Proceſſe der Natur ſind an ſich weder
ſchön noch häßlich, weil bei ihnen die Form zu keiner Aus¬
drücklichkeit gelangt. Cohäſion, Magnetismus, Elektricität,
Galvanismus, Chemismus, ſind in ihrer Actuoſität als ſol¬
cher einfach. Ihre Reſultate aber können ſchön ſein, wie
das Sprühen des elektriſchen Funkens, der Zickzackſtrahl ſei¬
nes Blitzes, das majeſtätiſche Rollen des Donners, die Far¬
benverwandlungen bei chemiſchen Vorgängen u. ſ. w. Ein
großes Feld eröffnen hier die phantaſtiſchen Bildungen,
welche das Gas in ſeiner elaſtiſchen Beweglichkeit zu ent¬
wickeln vermag. Die große Freiheit derſelben bringt eben
ſowohl ſchöne als häßliche Formen hervor. Die Grundform
der Gasexpanſion iſt allerdings die ſphäriſche, nach allen
Seiten gleichmäßig ausſtrebende. Weil aber das Gas in's
Ungemeſſene ſich ausdehnt, ſo verliert ſich die ſphäriſche Ge¬
ſtalt bald durch die Grenze, die feſte Körper ihm entgegen¬
ſtellen, bald durch andere Gaſe, mit denen es ſich miſcht
und chaotiſch zerfließt. Welch' ein unendlich reiches, uner¬
ſchöpfliches Spiel von Dämmergeſtalten, die an Alles und
an Nichts erinnern, bieten uns nicht die Wolken dar! (4).

In der organiſchen Natur macht die Abgeſchloſſenheit
der Geſtalt das Princip ihrer Exiſtenz aus. Hiervon iſt die
Folge, daß die Schönheit ſich aus der träumeriſchen Zufäl¬
ligkeit losmacht, die ihr in der unorganiſchen Natur anhaf¬
tet Das organiſche Gebilde hat ſofort einen beſtimmten
äſthetiſchen Charakter, weil es ein wirkliches Individuum iſt.

Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 2
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[17/0039] ein heiter-ſchöner Anblick ſein. Der kühne Aufſchuß einer Rakete, die das Nachtdunkel erhellt und im höchſten Punkt zerplatzend mit dem Sternenhimmel zu fraterniſiren ſcheint, iſt ſchön nicht blos durch die mechaniſche Bewegung, ſondern auch durch ihr Leuchten und durch ihre Geſchwindigkeit. Die dynamiſchen Proceſſe der Natur ſind an ſich weder ſchön noch häßlich, weil bei ihnen die Form zu keiner Aus¬ drücklichkeit gelangt. Cohäſion, Magnetismus, Elektricität, Galvanismus, Chemismus, ſind in ihrer Actuoſität als ſol¬ cher einfach. Ihre Reſultate aber können ſchön ſein, wie das Sprühen des elektriſchen Funkens, der Zickzackſtrahl ſei¬ nes Blitzes, das majeſtätiſche Rollen des Donners, die Far¬ benverwandlungen bei chemiſchen Vorgängen u. ſ. w. Ein großes Feld eröffnen hier die phantaſtiſchen Bildungen, welche das Gas in ſeiner elaſtiſchen Beweglichkeit zu ent¬ wickeln vermag. Die große Freiheit derſelben bringt eben ſowohl ſchöne als häßliche Formen hervor. Die Grundform der Gasexpanſion iſt allerdings die ſphäriſche, nach allen Seiten gleichmäßig ausſtrebende. Weil aber das Gas in's Ungemeſſene ſich ausdehnt, ſo verliert ſich die ſphäriſche Ge¬ ſtalt bald durch die Grenze, die feſte Körper ihm entgegen¬ ſtellen, bald durch andere Gaſe, mit denen es ſich miſcht und chaotiſch zerfließt. Welch' ein unendlich reiches, uner¬ ſchöpfliches Spiel von Dämmergeſtalten, die an Alles und an Nichts erinnern, bieten uns nicht die Wolken dar! (4). In der organiſchen Natur macht die Abgeſchloſſenheit der Geſtalt das Princip ihrer Exiſtenz aus. Hiervon iſt die Folge, daß die Schönheit ſich aus der träumeriſchen Zufäl¬ ligkeit losmacht, die ihr in der unorganiſchen Natur anhaf¬ tet Das organiſche Gebilde hat ſofort einen beſtimmten äſthetiſchen Charakter, weil es ein wirkliches Individuum iſt. Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 2

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/39>, abgerufen am 29.03.2024.