Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite
16.
Baumeisterin Natur scheint für sich selbst zumeist
Zu baun, und baut zuletzt doch Alles für den Geist.
Der schrankenlose Geist ist darum nur gefangen
In Schranken, um darin zur Freiheit zu gelangen.
Ein Säugling ist der Geist, Natur ist seine Amme,
Sie nährt ihn, bis er fühlt, daß er von ihr nicht stamme.
Die dunkle Mutter will ihr Kind in Schlummer halten;
Von oben bricht ein Stral durch ihres Hauses Spalten.
Und wie der Schmetterling erwacht vom Puppentraum,
Schwingt der Gedanke frei sich über Zeit und Raum.
Wie, wann die Frucht ist reif, von selbst die Kapsel springt,
Und hin der Saame fliegt, von Himmelsluft beschwingt.
Wie der Brütmutter Huhn die Entenbrut entrann,
Und auf die Flut sich wagt, wo sie nicht folgen kann.

16.
Baumeiſterin Natur ſcheint fuͤr ſich ſelbſt zumeiſt
Zu baun, und baut zuletzt doch Alles fuͤr den Geiſt.
Der ſchrankenloſe Geiſt iſt darum nur gefangen
In Schranken, um darin zur Freiheit zu gelangen.
Ein Saͤugling iſt der Geiſt, Natur iſt ſeine Amme,
Sie naͤhrt ihn, bis er fuͤhlt, daß er von ihr nicht ſtamme.
Die dunkle Mutter will ihr Kind in Schlummer halten;
Von oben bricht ein Stral durch ihres Hauſes Spalten.
Und wie der Schmetterling erwacht vom Puppentraum,
Schwingt der Gedanke frei ſich uͤber Zeit und Raum.
Wie, wann die Frucht iſt reif, von ſelbſt die Kapſel ſpringt,
Und hin der Saame fliegt, von Himmelsluft beſchwingt.
Wie der Bruͤtmutter Huhn die Entenbrut entrann,
Und auf die Flut ſich wagt, wo ſie nicht folgen kann.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0026" n="16"/>
        <div n="2">
          <head>16.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Baumei&#x017F;terin Natur &#x017F;cheint fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zumei&#x017F;t</l><lb/>
              <l>Zu baun, und baut zuletzt doch Alles fu&#x0364;r den Gei&#x017F;t.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Der &#x017F;chrankenlo&#x017F;e Gei&#x017F;t i&#x017F;t darum nur gefangen</l><lb/>
              <l>In Schranken, um darin zur Freiheit zu gelangen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Ein Sa&#x0364;ugling i&#x017F;t der Gei&#x017F;t, Natur i&#x017F;t &#x017F;eine Amme,</l><lb/>
              <l>Sie na&#x0364;hrt ihn, bis er fu&#x0364;hlt, daß er von ihr nicht &#x017F;tamme.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Die dunkle Mutter will ihr Kind in Schlummer halten;</l><lb/>
              <l>Von oben bricht ein Stral durch ihres Hau&#x017F;es Spalten.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Und wie der Schmetterling erwacht vom Puppentraum,</l><lb/>
              <l>Schwingt der Gedanke frei &#x017F;ich u&#x0364;ber Zeit und Raum.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Wie, wann die Frucht i&#x017F;t reif, von &#x017F;elb&#x017F;t die Kap&#x017F;el &#x017F;pringt,</l><lb/>
              <l>Und hin der Saame fliegt, von Himmelsluft be&#x017F;chwingt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>Wie der Bru&#x0364;tmutter Huhn die Entenbrut entrann,</l><lb/>
              <l>Und auf die Flut &#x017F;ich wagt, wo &#x017F;ie nicht folgen kann.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0026] 16. Baumeiſterin Natur ſcheint fuͤr ſich ſelbſt zumeiſt Zu baun, und baut zuletzt doch Alles fuͤr den Geiſt. Der ſchrankenloſe Geiſt iſt darum nur gefangen In Schranken, um darin zur Freiheit zu gelangen. Ein Saͤugling iſt der Geiſt, Natur iſt ſeine Amme, Sie naͤhrt ihn, bis er fuͤhlt, daß er von ihr nicht ſtamme. Die dunkle Mutter will ihr Kind in Schlummer halten; Von oben bricht ein Stral durch ihres Hauſes Spalten. Und wie der Schmetterling erwacht vom Puppentraum, Schwingt der Gedanke frei ſich uͤber Zeit und Raum. Wie, wann die Frucht iſt reif, von ſelbſt die Kapſel ſpringt, Und hin der Saame fliegt, von Himmelsluft beſchwingt. Wie der Bruͤtmutter Huhn die Entenbrut entrann, Und auf die Flut ſich wagt, wo ſie nicht folgen kann.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/26
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/26>, abgerufen am 29.03.2024.