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Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.

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Drum wenn der Mond nicht scheint, kann sie bei Nacht nicht jagen,
Und jagt zwei Stündchen nur im Spätlicht und vorm Tagen.
Der Adler aber schwingt sich mit der Sonnen auf,
Und stellt auch seinen Flug nur ein mit ihrem Lauf.
Früh schaut er droben sie, noch eh die Welt sie sah,
Und schwand sie dieser längst, ist noch ihr Glanz ihm nah.
Und sieht er ihren Glanz dann hinterm fernsten Forst
Sich senken, senkt er sich und suchet seinen Horst.
Er hat zum Horst gewählt den allerfreisten Raum,
Auf allerhöchstem Berg den allerhöchsten Baum.
Dort sitzt sein Adlerweib und brütet nur zwei Eier,
Und sie verstören darf kein Flatterer und Schreier.
Denn keine Nachbarschaft von Vogel, Mensch und Thier
Verträgt der Adler, wo er hat sein Nachtquartier.
Er weiß aus seiner Näh die Gäst' hinwegzutreiben,
Und diese haben selbst schon keine Lust zu bleiben.
So wohnt er ungestört in seiner Einsamkeit,
Sieht von der Erde nichts und nur den Himmel weit.
Drum wenn der Mond nicht ſcheint, kann ſie bei Nacht nicht jagen,
Und jagt zwei Stuͤndchen nur im Spaͤtlicht und vorm Tagen.
Der Adler aber ſchwingt ſich mit der Sonnen auf,
Und ſtellt auch ſeinen Flug nur ein mit ihrem Lauf.
Fruͤh ſchaut er droben ſie, noch eh die Welt ſie ſah,
Und ſchwand ſie dieſer laͤngſt, iſt noch ihr Glanz ihm nah.
Und ſieht er ihren Glanz dann hinterm fernſten Forſt
Sich ſenken, ſenkt er ſich und ſuchet ſeinen Horſt.
Er hat zum Horſt gewaͤhlt den allerfreiſten Raum,
Auf allerhoͤchſtem Berg den allerhoͤchſten Baum.
Dort ſitzt ſein Adlerweib und bruͤtet nur zwei Eier,
Und ſie verſtoͤren darf kein Flatterer und Schreier.
Denn keine Nachbarſchaft von Vogel, Menſch und Thier
Vertraͤgt der Adler, wo er hat ſein Nachtquartier.
Er weiß aus ſeiner Naͤh die Gaͤſt' hinwegzutreiben,
Und dieſe haben ſelbſt ſchon keine Luſt zu bleiben.
So wohnt er ungeſtoͤrt in ſeiner Einſamkeit,
Sieht von der Erde nichts und nur den Himmel weit.
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[38/0048] Drum wenn der Mond nicht ſcheint, kann ſie bei Nacht nicht jagen, Und jagt zwei Stuͤndchen nur im Spaͤtlicht und vorm Tagen. Der Adler aber ſchwingt ſich mit der Sonnen auf, Und ſtellt auch ſeinen Flug nur ein mit ihrem Lauf. Fruͤh ſchaut er droben ſie, noch eh die Welt ſie ſah, Und ſchwand ſie dieſer laͤngſt, iſt noch ihr Glanz ihm nah. Und ſieht er ihren Glanz dann hinterm fernſten Forſt Sich ſenken, ſenkt er ſich und ſuchet ſeinen Horſt. Er hat zum Horſt gewaͤhlt den allerfreiſten Raum, Auf allerhoͤchſtem Berg den allerhoͤchſten Baum. Dort ſitzt ſein Adlerweib und bruͤtet nur zwei Eier, Und ſie verſtoͤren darf kein Flatterer und Schreier. Denn keine Nachbarſchaft von Vogel, Menſch und Thier Vertraͤgt der Adler, wo er hat ſein Nachtquartier. Er weiß aus ſeiner Naͤh die Gaͤſt' hinwegzutreiben, Und dieſe haben ſelbſt ſchon keine Luſt zu bleiben. So wohnt er ungeſtoͤrt in ſeiner Einſamkeit, Sieht von der Erde nichts und nur den Himmel weit.

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Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/48>, abgerufen am 29.03.2024.