Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Bauart der westlichen Europäer in einem bestimmten Ab-
schnitte des Mittelalters die byzantinische genannt wird.

Zuerst werden wir zu untersuchen haben, ob byzanti-
nische Architectur
überhaupt ein bestimmter, sicher begrenz-
ter Begriff sey, sodann, ob während des Mittelalters in irgend
einer Zeit, ob an allen, oder nur an bestimmten geographischen
Punkten, einzelne, oder vielmehr alle Eigenthümlichkeiten der
byzantinischen Architectur bey den westlichen Europäern Ein-
gang gefunden haben.

Ist, byzantinische Architectur, ein bestimmter Begriff?
Nicht mehr, als lateinisch-christliche, oder westeuropäische Ar-
chitectur, welcher Namen, Angesichts so großer Verschiedenheit
der successiv hervortretenden Kunstformen, Niemand sich jemals
bedienen wird. Während seiner tausendjährigen Dauer war
das byzantinische Reich, wenn auch in geringerem Maße, als
der Westen, doch immer ebenfalls jenem Wechsel der Schick-
sale, der Ansichten, der Launen des Geschmackes unterworfen,
welcher das neuere Weltalter vom hohen Alterthume unter-
scheidet. Seine Baukunst konnte daher im eilften Jahrhun-
dert nicht dieselbe seyn, als im fünften, oder funfzehnten;
byzantinische Bauart also wird nichts ausorücken, nichts be-
deuten können, als eine lange Reihe sehr verschiedener
Bauarten, welche innerhalb des Umkreises des östlichen Rei-
ches einander nach und nach gefolgt sind und verdrängt haben.
Unsere geringe Kenntniß von diesen verschiedenen Bauarten,
unsere Unwissenheit, verleitete uns, sie in eins zu fassen, wie
denn bey allem weit Entlegenen die Theile in einander über-
zugehn, in größere Massen sich zu vereinigen den Anschein
haben.

Jegliche Vergleichung der Bauarten beider Hälften der

Bauart der weſtlichen Europaͤer in einem beſtimmten Ab-
ſchnitte des Mittelalters die byzantiniſche genannt wird.

Zuerſt werden wir zu unterſuchen haben, ob byzanti-
niſche Architectur
uͤberhaupt ein beſtimmter, ſicher begrenz-
ter Begriff ſey, ſodann, ob waͤhrend des Mittelalters in irgend
einer Zeit, ob an allen, oder nur an beſtimmten geographiſchen
Punkten, einzelne, oder vielmehr alle Eigenthuͤmlichkeiten der
byzantiniſchen Architectur bey den weſtlichen Europaͤern Ein-
gang gefunden haben.

Iſt, byzantiniſche Architectur, ein beſtimmter Begriff?
Nicht mehr, als lateiniſch-chriſtliche, oder weſteuropaͤiſche Ar-
chitectur, welcher Namen, Angeſichts ſo großer Verſchiedenheit
der ſucceſſiv hervortretenden Kunſtformen, Niemand ſich jemals
bedienen wird. Waͤhrend ſeiner tauſendjaͤhrigen Dauer war
das byzantiniſche Reich, wenn auch in geringerem Maße, als
der Weſten, doch immer ebenfalls jenem Wechſel der Schick-
ſale, der Anſichten, der Launen des Geſchmackes unterworfen,
welcher das neuere Weltalter vom hohen Alterthume unter-
ſcheidet. Seine Baukunſt konnte daher im eilften Jahrhun-
dert nicht dieſelbe ſeyn, als im fuͤnften, oder funfzehnten;
byzantiniſche Bauart alſo wird nichts ausoruͤcken, nichts be-
deuten koͤnnen, als eine lange Reihe ſehr verſchiedener
Bauarten, welche innerhalb des Umkreiſes des oͤſtlichen Rei-
ches einander nach und nach gefolgt ſind und verdraͤngt haben.
Unſere geringe Kenntniß von dieſen verſchiedenen Bauarten,
unſere Unwiſſenheit, verleitete uns, ſie in eins zu faſſen, wie
denn bey allem weit Entlegenen die Theile in einander uͤber-
zugehn, in groͤßere Maſſen ſich zu vereinigen den Anſchein
haben.

Jegliche Vergleichung der Bauarten beider Haͤlften der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0208" n="186"/>
Bauart der we&#x017F;tlichen Europa&#x0364;er in einem be&#x017F;timmten Ab-<lb/>
&#x017F;chnitte des Mittelalters die byzantini&#x017F;che genannt wird.</p><lb/>
          <p>Zuer&#x017F;t werden wir zu unter&#x017F;uchen haben, ob <hi rendition="#g">byzanti-<lb/>
ni&#x017F;che Architectur</hi> u&#x0364;berhaupt ein be&#x017F;timmter, &#x017F;icher begrenz-<lb/>
ter Begriff &#x017F;ey, &#x017F;odann, ob wa&#x0364;hrend des Mittelalters in irgend<lb/>
einer Zeit, ob an allen, oder nur an be&#x017F;timmten geographi&#x017F;chen<lb/>
Punkten, einzelne, oder vielmehr alle Eigenthu&#x0364;mlichkeiten der<lb/>
byzantini&#x017F;chen Architectur bey den we&#x017F;tlichen Europa&#x0364;ern Ein-<lb/>
gang gefunden haben.</p><lb/>
          <p>I&#x017F;t, byzantini&#x017F;che Architectur, ein be&#x017F;timmter Begriff?<lb/>
Nicht mehr, als lateini&#x017F;ch-chri&#x017F;tliche, oder we&#x017F;teuropa&#x0364;i&#x017F;che Ar-<lb/>
chitectur, welcher Namen, Ange&#x017F;ichts &#x017F;o großer Ver&#x017F;chiedenheit<lb/>
der &#x017F;ucce&#x017F;&#x017F;iv hervortretenden Kun&#x017F;tformen, Niemand &#x017F;ich jemals<lb/>
bedienen wird. Wa&#x0364;hrend &#x017F;einer tau&#x017F;endja&#x0364;hrigen Dauer war<lb/>
das byzantini&#x017F;che Reich, wenn auch in geringerem Maße, als<lb/>
der We&#x017F;ten, doch immer ebenfalls jenem Wech&#x017F;el der Schick-<lb/>
&#x017F;ale, der An&#x017F;ichten, der Launen des Ge&#x017F;chmackes unterworfen,<lb/>
welcher das neuere Weltalter vom hohen Alterthume unter-<lb/>
&#x017F;cheidet. Seine Baukun&#x017F;t konnte daher im eilften Jahrhun-<lb/>
dert nicht die&#x017F;elbe &#x017F;eyn, als im fu&#x0364;nften, oder funfzehnten;<lb/>
byzantini&#x017F;che Bauart al&#x017F;o wird nichts ausoru&#x0364;cken, nichts be-<lb/>
deuten ko&#x0364;nnen, als eine lange Reihe <hi rendition="#g">&#x017F;ehr ver&#x017F;chiedener</hi><lb/>
Bauarten, welche innerhalb des Umkrei&#x017F;es des o&#x0364;&#x017F;tlichen Rei-<lb/>
ches einander nach und nach gefolgt &#x017F;ind und verdra&#x0364;ngt haben.<lb/>
Un&#x017F;ere geringe Kenntniß von die&#x017F;en ver&#x017F;chiedenen Bauarten,<lb/>
un&#x017F;ere Unwi&#x017F;&#x017F;enheit, verleitete uns, &#x017F;ie in eins zu fa&#x017F;&#x017F;en, wie<lb/>
denn bey allem weit Entlegenen die Theile in einander u&#x0364;ber-<lb/>
zugehn, in gro&#x0364;ßere Ma&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich zu vereinigen den An&#x017F;chein<lb/>
haben.</p><lb/>
          <p>Jegliche Vergleichung der Bauarten beider Ha&#x0364;lften der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0208] Bauart der weſtlichen Europaͤer in einem beſtimmten Ab- ſchnitte des Mittelalters die byzantiniſche genannt wird. Zuerſt werden wir zu unterſuchen haben, ob byzanti- niſche Architectur uͤberhaupt ein beſtimmter, ſicher begrenz- ter Begriff ſey, ſodann, ob waͤhrend des Mittelalters in irgend einer Zeit, ob an allen, oder nur an beſtimmten geographiſchen Punkten, einzelne, oder vielmehr alle Eigenthuͤmlichkeiten der byzantiniſchen Architectur bey den weſtlichen Europaͤern Ein- gang gefunden haben. Iſt, byzantiniſche Architectur, ein beſtimmter Begriff? Nicht mehr, als lateiniſch-chriſtliche, oder weſteuropaͤiſche Ar- chitectur, welcher Namen, Angeſichts ſo großer Verſchiedenheit der ſucceſſiv hervortretenden Kunſtformen, Niemand ſich jemals bedienen wird. Waͤhrend ſeiner tauſendjaͤhrigen Dauer war das byzantiniſche Reich, wenn auch in geringerem Maße, als der Weſten, doch immer ebenfalls jenem Wechſel der Schick- ſale, der Anſichten, der Launen des Geſchmackes unterworfen, welcher das neuere Weltalter vom hohen Alterthume unter- ſcheidet. Seine Baukunſt konnte daher im eilften Jahrhun- dert nicht dieſelbe ſeyn, als im fuͤnften, oder funfzehnten; byzantiniſche Bauart alſo wird nichts ausoruͤcken, nichts be- deuten koͤnnen, als eine lange Reihe ſehr verſchiedener Bauarten, welche innerhalb des Umkreiſes des oͤſtlichen Rei- ches einander nach und nach gefolgt ſind und verdraͤngt haben. Unſere geringe Kenntniß von dieſen verſchiedenen Bauarten, unſere Unwiſſenheit, verleitete uns, ſie in eins zu faſſen, wie denn bey allem weit Entlegenen die Theile in einander uͤber- zugehn, in groͤßere Maſſen ſich zu vereinigen den Anſchein haben. Jegliche Vergleichung der Bauarten beider Haͤlften der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/208
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/208>, abgerufen am 28.03.2024.