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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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anschaulichen Zusammenhang zu bringen. Diesen Zweck er-
reichten sie, im Inneren der Kirchen, durch schmale, wenig
erhobene Pilaster, welche im Mittelschiffe vom Fußgestelle der
Säulen, diese theilend, sogar ihr Kapitäl durchschneidend, bis
zur Gewölbdecke hinlaufen, und hier bald scheinbar, bald auch
wirklich, dem Ansatze des Gebäudes eine Stütze darbieten.
An den Außenseiten schlossen sich flache, etwas bandeauartige
Pilaster, wo sie die Höhe der Mauer gewannen, an eine Reihe
bogenförmig verbundener gleich flacher Tragsteine, welche längs
dem Dache ein ganz hübsches Gebälke bilden. *)

Die Bauart des zwölften Jahrhunderts ist demnach, in
ihren schlanken Verhältnissen, in ihrer ganz sinnreichen Ver-
knüpfung des Sockels der Hauptmauern mit dem Gebälke,
der Basamente von Säulen und Pilastern mit den Ansätzen
der Hauptgewölbe, gleichsam der erste, allgemeinste Entwurf
der germanischen; diese nur etwa deren weitere Ausbildung ins
Einzelne und Mannichfaltige. Verfolgen wir die allmählich
fortschreitende Entwickelung der germanischen Architectur von
ihren ersten, noch furchtsamen, erprobenden Versuchen bis zur
Höhe ihrer vollendeten Ausbildung.

Wie die vorgermanische Bauart durch ihre schlanken Ver-
hältnisse, durch ihre Verknüpfungen entlegener Theile der Con-
struction, der erste, so war der zweyte Schritt zur Begrün-

*) Bey größter Verbreitung der Kunde von den Epochen der
germanischen Baukunst wäre es fast unschicklich, hier Beyspiele anzu-
führen. -- Indeß bringe ich noch einmal in Erinnerung, daß die Rück-
seite der Kirche S. Francesco zu Asisi, die Domkirche zu Ratzeburg und
die älteren Theile der zu Lübeck, weil sie nicht älter seyn können, als
das Christenthum in den slavischen Ländern, als das Todesjahr des
heil. Franz, für die Zeitbestimmung dieses Styles sehr wichtig sind.

anſchaulichen Zuſammenhang zu bringen. Dieſen Zweck er-
reichten ſie, im Inneren der Kirchen, durch ſchmale, wenig
erhobene Pilaſter, welche im Mittelſchiffe vom Fußgeſtelle der
Saͤulen, dieſe theilend, ſogar ihr Kapitaͤl durchſchneidend, bis
zur Gewoͤlbdecke hinlaufen, und hier bald ſcheinbar, bald auch
wirklich, dem Anſatze des Gebaͤudes eine Stuͤtze darbieten.
An den Außenſeiten ſchloſſen ſich flache, etwas bandeauartige
Pilaſter, wo ſie die Hoͤhe der Mauer gewannen, an eine Reihe
bogenfoͤrmig verbundener gleich flacher Tragſteine, welche laͤngs
dem Dache ein ganz huͤbſches Gebaͤlke bilden. *)

Die Bauart des zwoͤlften Jahrhunderts iſt demnach, in
ihren ſchlanken Verhaͤltniſſen, in ihrer ganz ſinnreichen Ver-
knuͤpfung des Sockels der Hauptmauern mit dem Gebaͤlke,
der Baſamente von Saͤulen und Pilaſtern mit den Anſaͤtzen
der Hauptgewoͤlbe, gleichſam der erſte, allgemeinſte Entwurf
der germaniſchen; dieſe nur etwa deren weitere Ausbildung ins
Einzelne und Mannichfaltige. Verfolgen wir die allmaͤhlich
fortſchreitende Entwickelung der germaniſchen Architectur von
ihren erſten, noch furchtſamen, erprobenden Verſuchen bis zur
Hoͤhe ihrer vollendeten Ausbildung.

Wie die vorgermaniſche Bauart durch ihre ſchlanken Ver-
haͤltniſſe, durch ihre Verknuͤpfungen entlegener Theile der Con-
ſtruction, der erſte, ſo war der zweyte Schritt zur Begruͤn-

*) Bey größter Verbreitung der Kunde von den Epochen der
germaniſchen Baukunſt wäre es faſt unſchicklich, hier Beyſpiele anzu-
führen. — Indeß bringe ich noch einmal in Erinnerung, daß die Rück-
ſeite der Kirche S. Francesco zu Aſiſi, die Domkirche zu Ratzeburg und
die älteren Theile der zu Lübeck, weil ſie nicht älter ſeyn können, als
das Chriſtenthum in den ſlaviſchen Ländern, als das Todesjahr des
heil. Franz, für die Zeitbeſtimmung dieſes Styles ſehr wichtig ſind.
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[223/0245] anſchaulichen Zuſammenhang zu bringen. Dieſen Zweck er- reichten ſie, im Inneren der Kirchen, durch ſchmale, wenig erhobene Pilaſter, welche im Mittelſchiffe vom Fußgeſtelle der Saͤulen, dieſe theilend, ſogar ihr Kapitaͤl durchſchneidend, bis zur Gewoͤlbdecke hinlaufen, und hier bald ſcheinbar, bald auch wirklich, dem Anſatze des Gebaͤudes eine Stuͤtze darbieten. An den Außenſeiten ſchloſſen ſich flache, etwas bandeauartige Pilaſter, wo ſie die Hoͤhe der Mauer gewannen, an eine Reihe bogenfoͤrmig verbundener gleich flacher Tragſteine, welche laͤngs dem Dache ein ganz huͤbſches Gebaͤlke bilden. *) Die Bauart des zwoͤlften Jahrhunderts iſt demnach, in ihren ſchlanken Verhaͤltniſſen, in ihrer ganz ſinnreichen Ver- knuͤpfung des Sockels der Hauptmauern mit dem Gebaͤlke, der Baſamente von Saͤulen und Pilaſtern mit den Anſaͤtzen der Hauptgewoͤlbe, gleichſam der erſte, allgemeinſte Entwurf der germaniſchen; dieſe nur etwa deren weitere Ausbildung ins Einzelne und Mannichfaltige. Verfolgen wir die allmaͤhlich fortſchreitende Entwickelung der germaniſchen Architectur von ihren erſten, noch furchtſamen, erprobenden Verſuchen bis zur Hoͤhe ihrer vollendeten Ausbildung. Wie die vorgermaniſche Bauart durch ihre ſchlanken Ver- haͤltniſſe, durch ihre Verknuͤpfungen entlegener Theile der Con- ſtruction, der erſte, ſo war der zweyte Schritt zur Begruͤn- *) Bey größter Verbreitung der Kunde von den Epochen der germaniſchen Baukunſt wäre es faſt unſchicklich, hier Beyſpiele anzu- führen. — Indeß bringe ich noch einmal in Erinnerung, daß die Rück- ſeite der Kirche S. Francesco zu Aſiſi, die Domkirche zu Ratzeburg und die älteren Theile der zu Lübeck, weil ſie nicht älter ſeyn können, als das Chriſtenthum in den ſlaviſchen Ländern, als das Todesjahr des heil. Franz, für die Zeitbeſtimmung dieſes Styles ſehr wichtig ſind.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/245>, abgerufen am 28.03.2024.