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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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habe. *) Also wird man dem dreyzehnten Jahrhundert nicht
etwa die Erfindung, vielmehr nur die systematische Anwen-
dung des Spitzbogens beymessen können.

Die frühesten Beyspiele nicht mehr nothgedrungener, son-
dern absichtlicher Anwendung des spitzen Bogens zeigen sich,
meines Wissens, an den Giebelseiten einiger vorgothischen

e sempre indizio di antichita assai rimota. Doch bringe ich
in Erinnerung, daß solche hochalterthümliche Mauerspitzbögen stets in
zwey gegen einander gestellte Steinstücke (diese für sich auch in ägypt.
Denkmalen) ausgehn, also des Schlußsteines entbehren, was schon längst
von den Architecten bemerkt worden ist. Hierher gehören die Stein-
sparren in einigen Hünengräbern, die Winkelbögen in der Wasserleitung
bey Cairo in Aegypten, deren bildliche Darstellung im oberen Geschoß
des carolingischen Gebäudes zu Lorsch beim Rhein (Moller) und selbst
auf byzantinischen Kleinigkeiten, z. B. im Museo zu Cortona. S. Diss.
de cruci corton. Liburn. 1751. 4. p. 27
.
*) Ein solcher einzelner Fall zeigt sich zu Pisa, wo im eilften
Jahrhunderte die Vorseite der viel älteren Kirche S. Paolo in ripa
d'Arno
(s. Morrona, Pisa ill. T. III. c. XV.) nach damaliger Weise
durch eine flach anliegende Bogenstellung geschmückt worden ist. In
dem Grundrisse des alten Gebäudes war eine erhebliche Ungleichheit in
der Breite der beiden Seitenschiffe; der Architect, welcher die spätere
Verzierung anordnete, war daher genöthigt, an der Mauer des Seiten-
schiffes zur Rechten die eingemauerten Halbsäulen, deren Zahl er nicht
vermindern wollte, einander um einige Fuße anzunähern. Im Halb-
kreise ausgeführt, würden aber die Bögen über diesen engeren Interco-
lumnien die Höhe der übrigen nicht erreicht haben. Daher setzte er sie
lieber aus Segmenten zusammen, machte Spitzbögen, welche durch per-
spectivische Illusionen ausgeglichen werden, dahingegen die verletzte Ho-
rizontale sich stets fühlbar macht. -- Es wird übrigens unnöthig seyn,
die Beyspiele, welche, v. d. Hagen, Briefe, Thl. I. S. 198., angehäuft
hat, der Sichtung zu unterwerfen, da es hier nicht sowohl darauf an-
kommt, zu zeigen, wer die Architecten des Mittelalters mit dem Spitz-
bogen bekannt gemacht habe, als vielmehr, weßhalb er in Gunst ge-
kommen sey.
III. 15

habe. *) Alſo wird man dem dreyzehnten Jahrhundert nicht
etwa die Erfindung, vielmehr nur die ſyſtematiſche Anwen-
dung des Spitzbogens beymeſſen koͤnnen.

Die fruͤheſten Beyſpiele nicht mehr nothgedrungener, ſon-
dern abſichtlicher Anwendung des ſpitzen Bogens zeigen ſich,
meines Wiſſens, an den Giebelſeiten einiger vorgothiſchen

é sempre indizio di antichità assai rimota. Doch bringe ich
in Erinnerung, daß ſolche hochalterthümliche Mauerſpitzbögen ſtets in
zwey gegen einander geſtellte Steinſtücke (dieſe für ſich auch in ägypt.
Denkmalen) ausgehn, alſo des Schlußſteines entbehren, was ſchon längſt
von den Architecten bemerkt worden iſt. Hierher gehören die Stein-
ſparren in einigen Hünengräbern, die Winkelbögen in der Waſſerleitung
bey Cairo in Aegypten, deren bildliche Darſtellung im oberen Geſchoß
des carolingiſchen Gebäudes zu Lorſch beim Rhein (Moller) und ſelbſt
auf byzantiniſchen Kleinigkeiten, z. B. im Muſeo zu Cortona. S. Diss.
de cruci corton. Liburn. 1751. 4. p. 27
.
*) Ein ſolcher einzelner Fall zeigt ſich zu Piſa, wo im eilften
Jahrhunderte die Vorſeite der viel älteren Kirche S. Paolo in ripa
d’Arno
(ſ. Morrona, Pisa ill. T. III. c. XV.) nach damaliger Weiſe
durch eine flach anliegende Bogenſtellung geſchmückt worden iſt. In
dem Grundriſſe des alten Gebäudes war eine erhebliche Ungleichheit in
der Breite der beiden Seitenſchiffe; der Architect, welcher die ſpätere
Verzierung anordnete, war daher genöthigt, an der Mauer des Seiten-
ſchiffes zur Rechten die eingemauerten Halbſäulen, deren Zahl er nicht
vermindern wollte, einander um einige Fuße anzunähern. Im Halb-
kreiſe ausgeführt, würden aber die Bögen über dieſen engeren Interco-
lumnien die Höhe der übrigen nicht erreicht haben. Daher ſetzte er ſie
lieber aus Segmenten zuſammen, machte Spitzbögen, welche durch per-
ſpectiviſche Illuſionen ausgeglichen werden, dahingegen die verletzte Ho-
rizontale ſich ſtets fühlbar macht. — Es wird übrigens unnöthig ſeyn,
die Beyſpiele, welche, v. d. Hagen, Briefe, Thl. I. S. 198., angehäuft
hat, der Sichtung zu unterwerfen, da es hier nicht ſowohl darauf an-
kommt, zu zeigen, wer die Architecten des Mittelalters mit dem Spitz-
bogen bekannt gemacht habe, als vielmehr, weßhalb er in Gunſt ge-
kommen ſey.
III. 15
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[225/0247] habe. *) Alſo wird man dem dreyzehnten Jahrhundert nicht etwa die Erfindung, vielmehr nur die ſyſtematiſche Anwen- dung des Spitzbogens beymeſſen koͤnnen. Die fruͤheſten Beyſpiele nicht mehr nothgedrungener, ſon- dern abſichtlicher Anwendung des ſpitzen Bogens zeigen ſich, meines Wiſſens, an den Giebelſeiten einiger vorgothiſchen **) *) Ein ſolcher einzelner Fall zeigt ſich zu Piſa, wo im eilften Jahrhunderte die Vorſeite der viel älteren Kirche S. Paolo in ripa d’Arno (ſ. Morrona, Pisa ill. T. III. c. XV.) nach damaliger Weiſe durch eine flach anliegende Bogenſtellung geſchmückt worden iſt. In dem Grundriſſe des alten Gebäudes war eine erhebliche Ungleichheit in der Breite der beiden Seitenſchiffe; der Architect, welcher die ſpätere Verzierung anordnete, war daher genöthigt, an der Mauer des Seiten- ſchiffes zur Rechten die eingemauerten Halbſäulen, deren Zahl er nicht vermindern wollte, einander um einige Fuße anzunähern. Im Halb- kreiſe ausgeführt, würden aber die Bögen über dieſen engeren Interco- lumnien die Höhe der übrigen nicht erreicht haben. Daher ſetzte er ſie lieber aus Segmenten zuſammen, machte Spitzbögen, welche durch per- ſpectiviſche Illuſionen ausgeglichen werden, dahingegen die verletzte Ho- rizontale ſich ſtets fühlbar macht. — Es wird übrigens unnöthig ſeyn, die Beyſpiele, welche, v. d. Hagen, Briefe, Thl. I. S. 198., angehäuft hat, der Sichtung zu unterwerfen, da es hier nicht ſowohl darauf an- kommt, zu zeigen, wer die Architecten des Mittelalters mit dem Spitz- bogen bekannt gemacht habe, als vielmehr, weßhalb er in Gunſt ge- kommen ſey. **) é sempre indizio di antichità assai rimota. Doch bringe ich in Erinnerung, daß ſolche hochalterthümliche Mauerſpitzbögen ſtets in zwey gegen einander geſtellte Steinſtücke (dieſe für ſich auch in ägypt. Denkmalen) ausgehn, alſo des Schlußſteines entbehren, was ſchon längſt von den Architecten bemerkt worden iſt. Hierher gehören die Stein- ſparren in einigen Hünengräbern, die Winkelbögen in der Waſſerleitung bey Cairo in Aegypten, deren bildliche Darſtellung im oberen Geſchoß des carolingiſchen Gebäudes zu Lorſch beim Rhein (Moller) und ſelbſt auf byzantiniſchen Kleinigkeiten, z. B. im Muſeo zu Cortona. S. Diss. de cruci corton. Liburn. 1751. 4. p. 27. III. 15

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/247>, abgerufen am 28.03.2024.