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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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Kirchen mit noch zurückgezogenen Glockenthürmen; zwar in
dem mittlen unter den drey langen Fenstern, welche man eben
damals, dem Schiffe Licht zu geben, an den Giebelseiten der
Kirchen anzubringen pflegte. Verschiedenes kann beygetragen
haben, den Gedanken, daß jenes weitere Mittelfenster durch
einen Spitzbogen gefälliger sich beschließen möge, zu wecken
und auszubilden. Offenbar schloß diese Figur dem spitzen
nordischen Giebel sich ungleich besser an, verminderte sie um
einige Maße den schwerfälligen Eindruck der weitläuftigen
Mauermasse über den Fenstern, erweiterte sie die beleuchtende
Fensteröffnung. *) Die schmalen Seitenfenster, bey welchen
diese Beweggründe fehlten, ließ man noch beym Alten. In-
deß mußte es nach diesem ersten Versuche und vermöge des-
selben sehr bald klar werden, daß der Spitzbogen überhaupt
der pyramidalen Hauptform, welche im Norden die vielleicht
unnöthig hohen, doch nun einmal so üblichen Dächer allen
größeren Gebäuden nothwendig ertheilten, gefälliger sich an-
schmiege, als der übliche halbkreisförmige; hiedurch von Hand
zu Hand der Wunsch erweckt werden, zunächst alle Thür-
und Fensteröffnungen, alle Säulenabstände durch spitze Bö-
gen zu überspannen, in der Folge auch die Construction der
Gewölbe auf eine entsprechende Weise einzurichten.

In der ersten Hälfte des dreyzehnten Jahrhunderts nahm
die Ausbildung dieser neuen Constructionsart die Architecten
nothwendig ganz in Anspruch. Daher zeigen die ältesten Bau-
werke im sogenannten gothischen Geschmacke nicht selten, bey

*) Die in England so häufig vorkommenden gedrückten Spitzbö-
gen machen hiervon eine Ausnahme, sind indeß nach den Beobachtun-
gen der englischen Alterthumsforscher den späteren Formen beizuzählen.

Kirchen mit noch zuruͤckgezogenen Glockenthuͤrmen; zwar in
dem mittlen unter den drey langen Fenſtern, welche man eben
damals, dem Schiffe Licht zu geben, an den Giebelſeiten der
Kirchen anzubringen pflegte. Verſchiedenes kann beygetragen
haben, den Gedanken, daß jenes weitere Mittelfenſter durch
einen Spitzbogen gefaͤlliger ſich beſchließen moͤge, zu wecken
und auszubilden. Offenbar ſchloß dieſe Figur dem ſpitzen
nordiſchen Giebel ſich ungleich beſſer an, verminderte ſie um
einige Maße den ſchwerfaͤlligen Eindruck der weitlaͤuftigen
Mauermaſſe uͤber den Fenſtern, erweiterte ſie die beleuchtende
Fenſteroͤffnung. *) Die ſchmalen Seitenfenſter, bey welchen
dieſe Beweggruͤnde fehlten, ließ man noch beym Alten. In-
deß mußte es nach dieſem erſten Verſuche und vermoͤge deſ-
ſelben ſehr bald klar werden, daß der Spitzbogen uͤberhaupt
der pyramidalen Hauptform, welche im Norden die vielleicht
unnoͤthig hohen, doch nun einmal ſo uͤblichen Daͤcher allen
groͤßeren Gebaͤuden nothwendig ertheilten, gefaͤlliger ſich an-
ſchmiege, als der uͤbliche halbkreisfoͤrmige; hiedurch von Hand
zu Hand der Wunſch erweckt werden, zunaͤchſt alle Thuͤr-
und Fenſteroͤffnungen, alle Saͤulenabſtaͤnde durch ſpitze Boͤ-
gen zu uͤberſpannen, in der Folge auch die Conſtruction der
Gewoͤlbe auf eine entſprechende Weiſe einzurichten.

In der erſten Haͤlfte des dreyzehnten Jahrhunderts nahm
die Ausbildung dieſer neuen Conſtructionsart die Architecten
nothwendig ganz in Anſpruch. Daher zeigen die aͤlteſten Bau-
werke im ſogenannten gothiſchen Geſchmacke nicht ſelten, bey

*) Die in England ſo häufig vorkommenden gedrückten Spitzbö-
gen machen hiervon eine Ausnahme, ſind indeß nach den Beobachtun-
gen der engliſchen Alterthumsforſcher den ſpäteren Formen beizuzählen.
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[226/0248] Kirchen mit noch zuruͤckgezogenen Glockenthuͤrmen; zwar in dem mittlen unter den drey langen Fenſtern, welche man eben damals, dem Schiffe Licht zu geben, an den Giebelſeiten der Kirchen anzubringen pflegte. Verſchiedenes kann beygetragen haben, den Gedanken, daß jenes weitere Mittelfenſter durch einen Spitzbogen gefaͤlliger ſich beſchließen moͤge, zu wecken und auszubilden. Offenbar ſchloß dieſe Figur dem ſpitzen nordiſchen Giebel ſich ungleich beſſer an, verminderte ſie um einige Maße den ſchwerfaͤlligen Eindruck der weitlaͤuftigen Mauermaſſe uͤber den Fenſtern, erweiterte ſie die beleuchtende Fenſteroͤffnung. *) Die ſchmalen Seitenfenſter, bey welchen dieſe Beweggruͤnde fehlten, ließ man noch beym Alten. In- deß mußte es nach dieſem erſten Verſuche und vermoͤge deſ- ſelben ſehr bald klar werden, daß der Spitzbogen uͤberhaupt der pyramidalen Hauptform, welche im Norden die vielleicht unnoͤthig hohen, doch nun einmal ſo uͤblichen Daͤcher allen groͤßeren Gebaͤuden nothwendig ertheilten, gefaͤlliger ſich an- ſchmiege, als der uͤbliche halbkreisfoͤrmige; hiedurch von Hand zu Hand der Wunſch erweckt werden, zunaͤchſt alle Thuͤr- und Fenſteroͤffnungen, alle Saͤulenabſtaͤnde durch ſpitze Boͤ- gen zu uͤberſpannen, in der Folge auch die Conſtruction der Gewoͤlbe auf eine entſprechende Weiſe einzurichten. In der erſten Haͤlfte des dreyzehnten Jahrhunderts nahm die Ausbildung dieſer neuen Conſtructionsart die Architecten nothwendig ganz in Anſpruch. Daher zeigen die aͤlteſten Bau- werke im ſogenannten gothiſchen Geſchmacke nicht ſelten, bey *) Die in England ſo häufig vorkommenden gedrückten Spitzbö- gen machen hiervon eine Ausnahme, ſind indeß nach den Beobachtun- gen der engliſchen Alterthumsforſcher den ſpäteren Formen beizuzählen.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/248>, abgerufen am 24.04.2024.