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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Sexualtheorie.
sektenhülfe den Nutzen gewähren, eine möglichst kräftige und zahl-
reiche Nachkommenschaft zu erzielen. Auch diesen Gedanken faßte
zuerst Darwin schärfer in's Auge, um ihn seiner Selections-
theorie dienstbar zu machen, indem er zugleich seit 1857 bis in
die sechziger Jahre hinein durch sehr zahlreiche Experimente ihn
weiter stützte.

6.
Neue Gegner der Sexualität und ihre Widerlegung durch Experimente
1785-1849

Wenn man die Schriften von Camerarius und Koelreuter
sorgfältig gelesen hat, so scheint es fast unmöglich, daß später
noch Zweifel, nicht an den Modalitäten der Befruchtungsvor-
gänge, sondern an der Sexualität selbst erhoben werden konnten.
Und doch geschah dieß im Laufe der nächsten 40-60 Jahre
wiederholt von verschiedenen Seiten und mit dem größten Nach-
druck und zwar nicht etwa in Folge einer erhöhten Genauigkeit
der experimentellen Untersuchung oder etwaiger Widersprüche,
welche man den Begründern der Sexualtheorie hätte nachweisen
können, sondern vielmehr deßhalb, weil eine Reihe von Beob-
achtern ihre Experimente ungeschickt anstellten und widersprechende
Resultate erhielten, ihre Versuchspflanzen nicht genau genug
beobachteten, oder überhaupt, weil ihnen die nöthige Uebung
und Umsicht in solchen Dingen fehlte. So war es vor Allem
bei Spallanzani und später bei Bernhardi, Girou de
Bouzareingue
und Ramisch. Viel schlimmer aber sah es
aus bei Schelver, seinem Schüler Henschel und ihren Anhängern.
Bei ihnen waren es vorgefaßte Meinungen, aus der Naturphi-
losophie abgeleitete Folgerungen, durch welche sie sich berechtigt
glaubten, experimentell festgestellte Thatsachen zu leugnen. Die
geradezu zerstörende Wirkung, welche die Naturphilosophie am
Anfang unseres Jahrhunderts auf die Verstandeskräfte sehr Vieler
ausübte, sprach sich ganz besonders darin aus, daß sie nicht
mehr im Stande waren, den Erfolg einfacher Experimente zu

Geſchichte der Sexualtheorie.
ſektenhülfe den Nutzen gewähren, eine möglichſt kräftige und zahl-
reiche Nachkommenſchaft zu erzielen. Auch dieſen Gedanken faßte
zuerſt Darwin ſchärfer in's Auge, um ihn ſeiner Selections-
theorie dienſtbar zu machen, indem er zugleich ſeit 1857 bis in
die ſechziger Jahre hinein durch ſehr zahlreiche Experimente ihn
weiter ſtützte.

6.
Neue Gegner der Sexualität und ihre Widerlegung durch Experimente
1785-1849

Wenn man die Schriften von Camerarius und Koelreuter
ſorgfältig geleſen hat, ſo ſcheint es faſt unmöglich, daß ſpäter
noch Zweifel, nicht an den Modalitäten der Befruchtungsvor-
gänge, ſondern an der Sexualität ſelbſt erhoben werden konnten.
Und doch geſchah dieß im Laufe der nächſten 40-60 Jahre
wiederholt von verſchiedenen Seiten und mit dem größten Nach-
druck und zwar nicht etwa in Folge einer erhöhten Genauigkeit
der experimentellen Unterſuchung oder etwaiger Widerſprüche,
welche man den Begründern der Sexualtheorie hätte nachweiſen
können, ſondern vielmehr deßhalb, weil eine Reihe von Beob-
achtern ihre Experimente ungeſchickt anſtellten und widerſprechende
Reſultate erhielten, ihre Verſuchspflanzen nicht genau genug
beobachteten, oder überhaupt, weil ihnen die nöthige Uebung
und Umſicht in ſolchen Dingen fehlte. So war es vor Allem
bei Spallanzani und ſpäter bei Bernhardi, Girou de
Bouzareingue
und Ramiſch. Viel ſchlimmer aber ſah es
aus bei Schelver, ſeinem Schüler Henſchel und ihren Anhängern.
Bei ihnen waren es vorgefaßte Meinungen, aus der Naturphi-
loſophie abgeleitete Folgerungen, durch welche ſie ſich berechtigt
glaubten, experimentell feſtgeſtellte Thatſachen zu leugnen. Die
geradezu zerſtörende Wirkung, welche die Naturphiloſophie am
Anfang unſeres Jahrhunderts auf die Verſtandeskräfte ſehr Vieler
ausübte, ſprach ſich ganz beſonders darin aus, daß ſie nicht
mehr im Stande waren, den Erfolg einfacher Experimente zu

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[456/0468] Geſchichte der Sexualtheorie. ſektenhülfe den Nutzen gewähren, eine möglichſt kräftige und zahl- reiche Nachkommenſchaft zu erzielen. Auch dieſen Gedanken faßte zuerſt Darwin ſchärfer in's Auge, um ihn ſeiner Selections- theorie dienſtbar zu machen, indem er zugleich ſeit 1857 bis in die ſechziger Jahre hinein durch ſehr zahlreiche Experimente ihn weiter ſtützte. 6. Neue Gegner der Sexualität und ihre Widerlegung durch Experimente 1785-1849 Wenn man die Schriften von Camerarius und Koelreuter ſorgfältig geleſen hat, ſo ſcheint es faſt unmöglich, daß ſpäter noch Zweifel, nicht an den Modalitäten der Befruchtungsvor- gänge, ſondern an der Sexualität ſelbſt erhoben werden konnten. Und doch geſchah dieß im Laufe der nächſten 40-60 Jahre wiederholt von verſchiedenen Seiten und mit dem größten Nach- druck und zwar nicht etwa in Folge einer erhöhten Genauigkeit der experimentellen Unterſuchung oder etwaiger Widerſprüche, welche man den Begründern der Sexualtheorie hätte nachweiſen können, ſondern vielmehr deßhalb, weil eine Reihe von Beob- achtern ihre Experimente ungeſchickt anſtellten und widerſprechende Reſultate erhielten, ihre Verſuchspflanzen nicht genau genug beobachteten, oder überhaupt, weil ihnen die nöthige Uebung und Umſicht in ſolchen Dingen fehlte. So war es vor Allem bei Spallanzani und ſpäter bei Bernhardi, Girou de Bouzareingue und Ramiſch. Viel ſchlimmer aber ſah es aus bei Schelver, ſeinem Schüler Henſchel und ihren Anhängern. Bei ihnen waren es vorgefaßte Meinungen, aus der Naturphi- loſophie abgeleitete Folgerungen, durch welche ſie ſich berechtigt glaubten, experimentell feſtgeſtellte Thatſachen zu leugnen. Die geradezu zerſtörende Wirkung, welche die Naturphiloſophie am Anfang unſeres Jahrhunderts auf die Verſtandeskräfte ſehr Vieler ausübte, ſprach ſich ganz beſonders darin aus, daß ſie nicht mehr im Stande waren, den Erfolg einfacher Experimente zu

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/468>, abgerufen am 28.03.2024.