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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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Bemerkungen.

Als ich nach meinem Quartier zurück kam, sah ich
eine ganz andre Scene. Zwei Garde du Corps hat-
ten mit einander, -- um einer Frau, -- (um einer
Hure --) willen -- vor dem Thor duellirt, und der
eine war so gut als todt. Der andre hatte ihm den
Degen unten in Leib und oben wieder herausgejagt.
Man brachte den Verwundeten herein, und vor meinem
Quartier sank er um, die Köchin sprang heraus, brachte
Essig und Eau de Carmes, das half doch so viel, daß
er da wegkam, um vermuthlich an einem andern Orte
zu sterben, Nachher hört' ich, man habe ein Rencontre
draus gemacht. -- -- Eheliche Treue scheint in Frank-
reich
immer seltner zu werden. Ich habe manche Sce-
ne gesehen, die ich nicht schildern mag. Auch scheut
man sich nicht vor den Fremden, und das allein ärgerte
mich immer dabei, weil es ein offenbarer Beweis ist, daß
sie jeden Fremden für einen Menschen von eben so schlech-
ter Denkungsart halten. Viele Franzosen sagens einem
grade ins Gesicht, daß man ohne Zweifel um der Wol-
lust willen zu ihnen komme etc. Das soll dann französi-
sche Lebensart, ungenirtes Wesen, savoir vivre seyn!

Wenn Hochzeiten in Frankreich gehalten werden,
so halten die Ehrengesellen, wie sie bei uns heißen, einen
Seidenzeug, oder Stoff über die Köpfe des Brautpaars,
während der Geistliche die Benediktion gibt. Der Arm
wird den jungen Burschen oft ganz müde, es währt wohl
eine Viertelstunde. Dafür schickt die Braut nachher
jedem ein Geschenk, ein Noeud d'Epe'e etc. Ist dies
nicht eine Nachahmung von der Chüppa der Juden?
Oder vielleicht ein Rest aus der alten Kirche?

In
Bemerkungen.

Als ich nach meinem Quartier zuruͤck kam, ſah ich
eine ganz andre Scene. Zwei Garde du Corps hat-
ten mit einander, — um einer Frau, — (um einer
Hure —) willen — vor dem Thor duellirt, und der
eine war ſo gut als todt. Der andre hatte ihm den
Degen unten in Leib und oben wieder herausgejagt.
Man brachte den Verwundeten herein, und vor meinem
Quartier ſank er um, die Koͤchin ſprang heraus, brachte
Eſſig und Eau de Carmes, das half doch ſo viel, daß
er da wegkam, um vermuthlich an einem andern Orte
zu ſterben, Nachher hoͤrt’ ich, man habe ein Rencontre
draus gemacht. — — Eheliche Treue ſcheint in Frank-
reich
immer ſeltner zu werden. Ich habe manche Sce-
ne geſehen, die ich nicht ſchildern mag. Auch ſcheut
man ſich nicht vor den Fremden, und das allein aͤrgerte
mich immer dabei, weil es ein offenbarer Beweis iſt, daß
ſie jeden Fremden fuͤr einen Menſchen von eben ſo ſchlech-
ter Denkungsart halten. Viele Franzoſen ſagens einem
grade ins Geſicht, daß man ohne Zweifel um der Wol-
luſt willen zu ihnen komme ꝛc. Das ſoll dann franzoͤſi-
ſche Lebensart, ungenirtes Weſen, ſavoir vivre ſeyn!

Wenn Hochzeiten in Frankreich gehalten werden,
ſo halten die Ehrengeſellen, wie ſie bei uns heißen, einen
Seidenzeug, oder Stoff uͤber die Koͤpfe des Brautpaars,
waͤhrend der Geiſtliche die Benediktion gibt. Der Arm
wird den jungen Burſchen oft ganz muͤde, es waͤhrt wohl
eine Viertelſtunde. Dafuͤr ſchickt die Braut nachher
jedem ein Geſchenk, ein Noeud d’Epe’e ꝛc. Iſt dies
nicht eine Nachahmung von der Chüppa der Juden?
Oder vielleicht ein Reſt aus der alten Kirche?

In
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[319/0343] Bemerkungen. Als ich nach meinem Quartier zuruͤck kam, ſah ich eine ganz andre Scene. Zwei Garde du Corps hat- ten mit einander, — um einer Frau, — (um einer Hure —) willen — vor dem Thor duellirt, und der eine war ſo gut als todt. Der andre hatte ihm den Degen unten in Leib und oben wieder herausgejagt. Man brachte den Verwundeten herein, und vor meinem Quartier ſank er um, die Koͤchin ſprang heraus, brachte Eſſig und Eau de Carmes, das half doch ſo viel, daß er da wegkam, um vermuthlich an einem andern Orte zu ſterben, Nachher hoͤrt’ ich, man habe ein Rencontre draus gemacht. — — Eheliche Treue ſcheint in Frank- reich immer ſeltner zu werden. Ich habe manche Sce- ne geſehen, die ich nicht ſchildern mag. Auch ſcheut man ſich nicht vor den Fremden, und das allein aͤrgerte mich immer dabei, weil es ein offenbarer Beweis iſt, daß ſie jeden Fremden fuͤr einen Menſchen von eben ſo ſchlech- ter Denkungsart halten. Viele Franzoſen ſagens einem grade ins Geſicht, daß man ohne Zweifel um der Wol- luſt willen zu ihnen komme ꝛc. Das ſoll dann franzoͤſi- ſche Lebensart, ungenirtes Weſen, ſavoir vivre ſeyn! Wenn Hochzeiten in Frankreich gehalten werden, ſo halten die Ehrengeſellen, wie ſie bei uns heißen, einen Seidenzeug, oder Stoff uͤber die Koͤpfe des Brautpaars, waͤhrend der Geiſtliche die Benediktion gibt. Der Arm wird den jungen Burſchen oft ganz muͤde, es waͤhrt wohl eine Viertelſtunde. Dafuͤr ſchickt die Braut nachher jedem ein Geſchenk, ein Noeud d’Epe’e ꝛc. Iſt dies nicht eine Nachahmung von der Chüppa der Juden? Oder vielleicht ein Reſt aus der alten Kirche? In

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/343>, abgerufen am 28.03.2024.