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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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de Muschel hat eine Membrane über sich, aber diese steckt
gewöhnlich noch in einem Ei, das ordentlich, wie ein Vo-
gelei ist, kalkicht, weis, hart, rund etc.

Mit vielem Sehen, Plaudern, Schwatzen, war der
ganze Vormittag hingegangen, und wir waren doch nicht
fertig. Auf den Sonntag Vormittag sollt' ich fest
wieder beikommen,
wie der Holländer deutsch redet.
Von da besuchte ich

Hrn. Lyonet und sein Konchylienkabinet. Ach
das war ein festlicher Abend für mich bei dem Manne,
dem die Natur so viel Schönes aufgedeckt hat! Ich hat-
te kaum erfahren, daß Lyonet noch lebe, und daß er
hier sei; so schickt' ich den Bedienten zu ihm, und lies
mich melden. Ich ward gleich diesen Abend bestellt,
und er lies mir sagen, ich sollte nicht fehlen, damit wir
allein wären. Ich fand einen siebzigjährigen Mann, aber
im Schoosse der Naturfreuden erzogen und grau gewor-
den, und wenn die Rede von seiner Lieblingswissenschaft
ist, noch so munter und lebhaft, als ich. So ein Alter,
o Gott, ists dein Wille, daß ich so alt werden soll! --
In wenigen Minuten waren wir gute Freunde, er schickte
den Bedienten auf 3. Stunden fort, und nun war ich al-
lein mit dem Manne, der mich so viel lehren sollte. Das
Vergnügen, die grosse edle Ruhe, die sich allemahl in
meiner Seele verbreitet, wenn ich in Gesellschaft mit so
einem Naturforscher bin, ist mir kostbar aber unbeschreib-
lich. Lyonet erzählte mir von seinen Lebensumständen,
von seinen Studien, von seinem Amte, seiner jetzigen
Lage etc. Er hat in Leyden erst Theologie studirt, *)

ist
*) Schon damahls lies er grosse Talente und Neigung
zur Kunst blicken; denn er schnitzte blos mit einem
Feder-

de Muſchel hat eine Membrane uͤber ſich, aber dieſe ſteckt
gewoͤhnlich noch in einem Ei, das ordentlich, wie ein Vo-
gelei iſt, kalkicht, weis, hart, rund ꝛc.

Mit vielem Sehen, Plaudern, Schwatzen, war der
ganze Vormittag hingegangen, und wir waren doch nicht
fertig. Auf den Sonntag Vormittag ſollt’ ich feſt
wieder beikommen,
wie der Hollaͤnder deutſch redet.
Von da beſuchte ich

Hrn. Lyonet und ſein Konchylienkabinet. Ach
das war ein feſtlicher Abend fuͤr mich bei dem Manne,
dem die Natur ſo viel Schoͤnes aufgedeckt hat! Ich hat-
te kaum erfahren, daß Lyonet noch lebe, und daß er
hier ſei; ſo ſchickt’ ich den Bedienten zu ihm, und lies
mich melden. Ich ward gleich dieſen Abend beſtellt,
und er lies mir ſagen, ich ſollte nicht fehlen, damit wir
allein waͤren. Ich fand einen ſiebzigjaͤhrigen Mann, aber
im Schooſſe der Naturfreuden erzogen und grau gewor-
den, und wenn die Rede von ſeiner Lieblingswiſſenſchaft
iſt, noch ſo munter und lebhaft, als ich. So ein Alter,
o Gott, iſts dein Wille, daß ich ſo alt werden ſoll! —
In wenigen Minuten waren wir gute Freunde, er ſchickte
den Bedienten auf 3. Stunden fort, und nun war ich al-
lein mit dem Manne, der mich ſo viel lehren ſollte. Das
Vergnuͤgen, die groſſe edle Ruhe, die ſich allemahl in
meiner Seele verbreitet, wenn ich in Geſellſchaft mit ſo
einem Naturforſcher bin, iſt mir koſtbar aber unbeſchreib-
lich. Lyonet erzaͤhlte mir von ſeinen Lebensumſtaͤnden,
von ſeinen Studien, von ſeinem Amte, ſeiner jetzigen
Lage ꝛc. Er hat in Leyden erſt Theologie ſtudirt, *)

iſt
*) Schon damahls lies er groſſe Talente und Neigung
zur Kunſt blicken; denn er ſchnitzte blos mit einem
Feder-
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[493/0517] de Muſchel hat eine Membrane uͤber ſich, aber dieſe ſteckt gewoͤhnlich noch in einem Ei, das ordentlich, wie ein Vo- gelei iſt, kalkicht, weis, hart, rund ꝛc. Mit vielem Sehen, Plaudern, Schwatzen, war der ganze Vormittag hingegangen, und wir waren doch nicht fertig. Auf den Sonntag Vormittag ſollt’ ich feſt wieder beikommen, wie der Hollaͤnder deutſch redet. Von da beſuchte ich Hrn. Lyonet und ſein Konchylienkabinet. Ach das war ein feſtlicher Abend fuͤr mich bei dem Manne, dem die Natur ſo viel Schoͤnes aufgedeckt hat! Ich hat- te kaum erfahren, daß Lyonet noch lebe, und daß er hier ſei; ſo ſchickt’ ich den Bedienten zu ihm, und lies mich melden. Ich ward gleich dieſen Abend beſtellt, und er lies mir ſagen, ich ſollte nicht fehlen, damit wir allein waͤren. Ich fand einen ſiebzigjaͤhrigen Mann, aber im Schooſſe der Naturfreuden erzogen und grau gewor- den, und wenn die Rede von ſeiner Lieblingswiſſenſchaft iſt, noch ſo munter und lebhaft, als ich. So ein Alter, o Gott, iſts dein Wille, daß ich ſo alt werden ſoll! — In wenigen Minuten waren wir gute Freunde, er ſchickte den Bedienten auf 3. Stunden fort, und nun war ich al- lein mit dem Manne, der mich ſo viel lehren ſollte. Das Vergnuͤgen, die groſſe edle Ruhe, die ſich allemahl in meiner Seele verbreitet, wenn ich in Geſellſchaft mit ſo einem Naturforſcher bin, iſt mir koſtbar aber unbeſchreib- lich. Lyonet erzaͤhlte mir von ſeinen Lebensumſtaͤnden, von ſeinen Studien, von ſeinem Amte, ſeiner jetzigen Lage ꝛc. Er hat in Leyden erſt Theologie ſtudirt, *) iſt *) Schon damahls lies er groſſe Talente und Neigung zur Kunſt blicken; denn er ſchnitzte blos mit einem Feder-

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/517>, abgerufen am 18.04.2024.