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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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5.
Bürgerliches Recht in Deutschland.

Bis auf sehr neue Zeiten war in ganz Deutschland
ein gleichförmiges bürgerliches Recht unter dem Na-
men des gemeinen Rechts in Uebung, durch Lan-
desrechte mehr oder weniger modificirt, aber nirgends
in allen seinen Theilen außer Kraft gesetzt. Die
Hauptquelle dieses gemeinen Rechts waren die Rechts-
bücher von Justinian, deren bloße Anwendung auf
Deutschland indessen von selbst schon wichtige Modi-
ficationen herbeigeführt hatte. Diesem gemeinen Rechte
war von jeher die wissenschaftliche Thätigkeit der
deutschen Juristen größtentheils zugewendet. Aber
eben über dieses fremde Element unsers Rechts sind
auch schon längst bittere Klagen erhoben worden.
Das Römische Recht soll uns unsre Nationalität ent-
zogen haben, und nur die ausschließende Beschäfti-
gung unsrer Juristen mit demselben soll das einhei-
mische Recht gehindert haben, eine eben so selbststän-
dige und wissenschaftliche Ausbildung zu erlangen.
Beschwerden dieser Art haben schon darin etwas lee-
res und grundloses, daß sie als zufällig und will-
kührlich voraussetzen, was ohne innere Nothwendig-
keit nimmermehr geschehen oder doch nicht bleibend
geworden wäre. Auch liegt überhaupt eine abge-

5.
Bürgerliches Recht in Deutſchland.

Bis auf ſehr neue Zeiten war in ganz Deutſchland
ein gleichförmiges bürgerliches Recht unter dem Na-
men des gemeinen Rechts in Uebung, durch Lan-
desrechte mehr oder weniger modificirt, aber nirgends
in allen ſeinen Theilen außer Kraft geſetzt. Die
Hauptquelle dieſes gemeinen Rechts waren die Rechts-
bücher von Juſtinian, deren bloße Anwendung auf
Deutſchland indeſſen von ſelbſt ſchon wichtige Modi-
ficationen herbeigeführt hatte. Dieſem gemeinen Rechte
war von jeher die wiſſenſchaftliche Thätigkeit der
deutſchen Juriſten größtentheils zugewendet. Aber
eben über dieſes fremde Element unſers Rechts ſind
auch ſchon längſt bittere Klagen erhoben worden.
Das Römiſche Recht ſoll uns unſre Nationalität ent-
zogen haben, und nur die ausſchließende Beſchäfti-
gung unſrer Juriſten mit demſelben ſoll das einhei-
miſche Recht gehindert haben, eine eben ſo ſelbſtſtän-
dige und wiſſenſchaftliche Ausbildung zu erlangen.
Beſchwerden dieſer Art haben ſchon darin etwas lee-
res und grundloſes, daß ſie als zufällig und will-
kührlich vorausſetzen, was ohne innere Nothwendig-
keit nimmermehr geſchehen oder doch nicht bleibend
geworden wäre. Auch liegt überhaupt eine abge-

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[37/0047] 5. Bürgerliches Recht in Deutſchland. Bis auf ſehr neue Zeiten war in ganz Deutſchland ein gleichförmiges bürgerliches Recht unter dem Na- men des gemeinen Rechts in Uebung, durch Lan- desrechte mehr oder weniger modificirt, aber nirgends in allen ſeinen Theilen außer Kraft geſetzt. Die Hauptquelle dieſes gemeinen Rechts waren die Rechts- bücher von Juſtinian, deren bloße Anwendung auf Deutſchland indeſſen von ſelbſt ſchon wichtige Modi- ficationen herbeigeführt hatte. Dieſem gemeinen Rechte war von jeher die wiſſenſchaftliche Thätigkeit der deutſchen Juriſten größtentheils zugewendet. Aber eben über dieſes fremde Element unſers Rechts ſind auch ſchon längſt bittere Klagen erhoben worden. Das Römiſche Recht ſoll uns unſre Nationalität ent- zogen haben, und nur die ausſchließende Beſchäfti- gung unſrer Juriſten mit demſelben ſoll das einhei- miſche Recht gehindert haben, eine eben ſo ſelbſtſtän- dige und wiſſenſchaftliche Ausbildung zu erlangen. Beſchwerden dieſer Art haben ſchon darin etwas lee- res und grundloſes, daß ſie als zufällig und will- kührlich vorausſetzen, was ohne innere Nothwendig- keit nimmermehr geſchehen oder doch nicht bleibend geworden wäre. Auch liegt überhaupt eine abge-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/47>, abgerufen am 28.03.2024.