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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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§. 133. Erklärung des Willens. Fingirte.
§. 133.
III. Willenserklärungen. -- Erklärung. Fingirte.

Alle bisher dargestellten Fälle der Willenserklärung
kommen darin überein, daß wir den durch sie offenbarten
Willen als eine wirklich vorhandene Thatsache annehmen,
wie verschieden auch unsere Beweggründe zu dieser An-
nahme seyn mögen. Daneben aber giebt es auch wichtige
Fälle, welchen eine positive Rechtsregel die Kraft einer
Willenserklärung beylegt, ohne daß deshalb der Wille als
Thatsache behauptet werden kann; ich bezeichne diese als
fingirte Erklärung. Allerdings liegt bey mehreren Fäl-
len dieser Art eine allgemeine Wahrscheinlichkeit des Wil-
lens zum Grunde, den man daher einen vermutheten oder
präsumtiven nennen könnte; allein in anderen Fällen läßt
sich auch diese Wahrscheinlichkeit nicht behaupten, die
Gränze zwischen jenen und diesen ist schwankend, und in
jedem Fall die Unterscheidung derselben unfruchtbar (a).
Die gänzliche Verschiedenheit von der stillschweigenden
Willenserklärung, die stets eine wirkliche ist, zeigt sich

(a) Es wäre den Worten nicht
unangemessen, diesen Unterschied
durch die Ausdrücke praesumtus
und fictus zu bezeichnen. Vgl.
Hofacker I. § 183 -- 185; die
Gründe, warum ich diesen Sprach-
gebrauch verwerfe, sind im Text
angegeben. -- Andere brauchen
dieselben Ausdrücke, um die Zu-
lässigkeit oder Unzulässigkeit des
Gegenbeweises auszudrücken. So
Mühlenbruch I. § 98. -- Die
von mir angewendete Bezeichnung
wird, als die einfachste, am we-
nigsten Misverständnisse veran-
lassen. Der schwankende Ausdruck
praesumtus consensus, der an
sich auch für die stillschweigende
Erklärung gebraucht werden könn-
te, wird dann ganz beseitigt.
§. 133. Erklärung des Willens. Fingirte.
§. 133.
III. Willenserklärungen. — Erklärung. Fingirte.

Alle bisher dargeſtellten Fälle der Willenserklärung
kommen darin überein, daß wir den durch ſie offenbarten
Willen als eine wirklich vorhandene Thatſache annehmen,
wie verſchieden auch unſere Beweggründe zu dieſer An-
nahme ſeyn mögen. Daneben aber giebt es auch wichtige
Fälle, welchen eine poſitive Rechtsregel die Kraft einer
Willenserklärung beylegt, ohne daß deshalb der Wille als
Thatſache behauptet werden kann; ich bezeichne dieſe als
fingirte Erklärung. Allerdings liegt bey mehreren Fäl-
len dieſer Art eine allgemeine Wahrſcheinlichkeit des Wil-
lens zum Grunde, den man daher einen vermutheten oder
präſumtiven nennen könnte; allein in anderen Fällen läßt
ſich auch dieſe Wahrſcheinlichkeit nicht behaupten, die
Gränze zwiſchen jenen und dieſen iſt ſchwankend, und in
jedem Fall die Unterſcheidung derſelben unfruchtbar (a).
Die gänzliche Verſchiedenheit von der ſtillſchweigenden
Willenserklärung, die ſtets eine wirkliche iſt, zeigt ſich

(a) Es wäre den Worten nicht
unangemeſſen, dieſen Unterſchied
durch die Ausdrücke praesumtus
und fictus zu bezeichnen. Vgl.
Hofacker I. § 183 — 185; die
Gründe, warum ich dieſen Sprach-
gebrauch verwerfe, ſind im Text
angegeben. — Andere brauchen
dieſelben Ausdrücke, um die Zu-
läſſigkeit oder Unzuläſſigkeit des
Gegenbeweiſes auszudrücken. So
Mühlenbruch I. § 98. — Die
von mir angewendete Bezeichnung
wird, als die einfachſte, am we-
nigſten Misverſtändniſſe veran-
laſſen. Der ſchwankende Ausdruck
praesumtus consensus, der an
ſich auch für die ſtillſchweigende
Erklärung gebraucht werden könn-
te, wird dann ganz beſeitigt.
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[253/0265] §. 133. Erklärung des Willens. Fingirte. §. 133. III. Willenserklärungen. — Erklärung. Fingirte. Alle bisher dargeſtellten Fälle der Willenserklärung kommen darin überein, daß wir den durch ſie offenbarten Willen als eine wirklich vorhandene Thatſache annehmen, wie verſchieden auch unſere Beweggründe zu dieſer An- nahme ſeyn mögen. Daneben aber giebt es auch wichtige Fälle, welchen eine poſitive Rechtsregel die Kraft einer Willenserklärung beylegt, ohne daß deshalb der Wille als Thatſache behauptet werden kann; ich bezeichne dieſe als fingirte Erklärung. Allerdings liegt bey mehreren Fäl- len dieſer Art eine allgemeine Wahrſcheinlichkeit des Wil- lens zum Grunde, den man daher einen vermutheten oder präſumtiven nennen könnte; allein in anderen Fällen läßt ſich auch dieſe Wahrſcheinlichkeit nicht behaupten, die Gränze zwiſchen jenen und dieſen iſt ſchwankend, und in jedem Fall die Unterſcheidung derſelben unfruchtbar (a). Die gänzliche Verſchiedenheit von der ſtillſchweigenden Willenserklärung, die ſtets eine wirkliche iſt, zeigt ſich (a) Es wäre den Worten nicht unangemeſſen, dieſen Unterſchied durch die Ausdrücke praesumtus und fictus zu bezeichnen. Vgl. Hofacker I. § 183 — 185; die Gründe, warum ich dieſen Sprach- gebrauch verwerfe, ſind im Text angegeben. — Andere brauchen dieſelben Ausdrücke, um die Zu- läſſigkeit oder Unzuläſſigkeit des Gegenbeweiſes auszudrücken. So Mühlenbruch I. § 98. — Die von mir angewendete Bezeichnung wird, als die einfachſte, am we- nigſten Misverſtändniſſe veran- laſſen. Der ſchwankende Ausdruck praesumtus consensus, der an ſich auch für die ſtillſchweigende Erklärung gebraucht werden könn- te, wird dann ganz beſeitigt.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/265>, abgerufen am 24.04.2024.