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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

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§. 220. Act. stricti juris (Condictiones), bonae fidei. (Forts.)
dargestellten Unterschied der Klagen theils völlig unrich-
tige, theils nicht hinlänglich begründete Meynungen.

Als ganz unrichtig ist die Meynung zu verwerfen,
nach welcher die Stricti juris actiones besonders begün-
stigte, aus der Zahl der übrigen herausgehobene, Klagen
gewesen seyn sollen, etwa so wie bey uns die Wechsel-
klage, als ein exceptionelles Rechtsmittel, durch den Vor-
theil eines schnelleren und strengeren Verfahrens vor an-
deren Klagen ausgezeichnet ist. Es müssen aber vielmehr
diese Klagen als die eigentlichen und wahren Klagen über-
haupt angesehen werden; die bonae fidei actiones waren
Klagen anderer Art, weniger als jene auf dem strengen
Rechtsbegriff beruhend, und wenn hier überhaupt das
Verhältniß von Regel und Ausnahme Anwendung finden
soll, so müssen eher umgekehrt die Condictionen als Regel,
die b. f. actiones als Ausnahme, angesehen werden (a).

Unbegründet nenne ich die Ansicht, nach welcher der hier
dargestellten Genealogie der Begriffe und Rechtsinstitute
zugleich eine chronologische Bedeutung gegeben wird. In
vollständiger Entwicklung gedacht, würde diese Ansicht auf
folgenden Hergang führen. Es gab ursprünglich, und
vielleicht lange Zeit hindurch, keine andere persönliche Kla-
gen, als die Condictionen der ersten und zweyten Klasse
(§ 219), gerichtet auf Übertragung des Eigenthums an
baarem Geld oder an anderen bestimmten Sachen. Spä-
terhin wurden die incerti condictiones zugelassen, gerichtet

(a) Beylage XIII. Num. XIII.
8*

§. 220. Act. stricti juris (Condictiones), bonae fidei. (Fortſ.)
dargeſtellten Unterſchied der Klagen theils völlig unrich-
tige, theils nicht hinlänglich begründete Meynungen.

Als ganz unrichtig iſt die Meynung zu verwerfen,
nach welcher die Stricti juris actiones beſonders begün-
ſtigte, aus der Zahl der übrigen herausgehobene, Klagen
geweſen ſeyn ſollen, etwa ſo wie bey uns die Wechſel-
klage, als ein exceptionelles Rechtsmittel, durch den Vor-
theil eines ſchnelleren und ſtrengeren Verfahrens vor an-
deren Klagen ausgezeichnet iſt. Es müſſen aber vielmehr
dieſe Klagen als die eigentlichen und wahren Klagen über-
haupt angeſehen werden; die bonae fidei actiones waren
Klagen anderer Art, weniger als jene auf dem ſtrengen
Rechtsbegriff beruhend, und wenn hier überhaupt das
Verhältniß von Regel und Ausnahme Anwendung finden
ſoll, ſo müſſen eher umgekehrt die Condictionen als Regel,
die b. f. actiones als Ausnahme, angeſehen werden (a).

Unbegründet nenne ich die Anſicht, nach welcher der hier
dargeſtellten Genealogie der Begriffe und Rechtsinſtitute
zugleich eine chronologiſche Bedeutung gegeben wird. In
vollſtändiger Entwicklung gedacht, würde dieſe Anſicht auf
folgenden Hergang führen. Es gab urſprünglich, und
vielleicht lange Zeit hindurch, keine andere perſönliche Kla-
gen, als die Condictionen der erſten und zweyten Klaſſe
(§ 219), gerichtet auf Übertragung des Eigenthums an
baarem Geld oder an anderen beſtimmten Sachen. Spä-
terhin wurden die incerti condictiones zugelaſſen, gerichtet

(a) Beylage XIII. Num. XIII.
8*
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[115/0129] §. 220. Act. stricti juris (Condictiones), bonae fidei. (Fortſ.) dargeſtellten Unterſchied der Klagen theils völlig unrich- tige, theils nicht hinlänglich begründete Meynungen. Als ganz unrichtig iſt die Meynung zu verwerfen, nach welcher die Stricti juris actiones beſonders begün- ſtigte, aus der Zahl der übrigen herausgehobene, Klagen geweſen ſeyn ſollen, etwa ſo wie bey uns die Wechſel- klage, als ein exceptionelles Rechtsmittel, durch den Vor- theil eines ſchnelleren und ſtrengeren Verfahrens vor an- deren Klagen ausgezeichnet iſt. Es müſſen aber vielmehr dieſe Klagen als die eigentlichen und wahren Klagen über- haupt angeſehen werden; die bonae fidei actiones waren Klagen anderer Art, weniger als jene auf dem ſtrengen Rechtsbegriff beruhend, und wenn hier überhaupt das Verhältniß von Regel und Ausnahme Anwendung finden ſoll, ſo müſſen eher umgekehrt die Condictionen als Regel, die b. f. actiones als Ausnahme, angeſehen werden (a). Unbegründet nenne ich die Anſicht, nach welcher der hier dargeſtellten Genealogie der Begriffe und Rechtsinſtitute zugleich eine chronologiſche Bedeutung gegeben wird. In vollſtändiger Entwicklung gedacht, würde dieſe Anſicht auf folgenden Hergang führen. Es gab urſprünglich, und vielleicht lange Zeit hindurch, keine andere perſönliche Kla- gen, als die Condictionen der erſten und zweyten Klaſſe (§ 219), gerichtet auf Übertragung des Eigenthums an baarem Geld oder an anderen beſtimmten Sachen. Spä- terhin wurden die incerti condictiones zugelaſſen, gerichtet (a) Beylage XIII. Num. XIII. 8*

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/129>, abgerufen am 19.04.2024.