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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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ich wollte ja nicht die verschiednen Meinungen,
die ich zum Theil mit Cicero's Epikureer deliran-
tium somnia
nennen könnte, erzählen; -- allein
das Resultat dieser so viel tausend Jahre fortgesetz-
ten Untersuchungen werden meine Leser mit Recht
von mir fodern.

Wir wissen von dem, was das Wesen
der Seele ist, nichts,
dies ist das Resultat,
welches sich aus jeder Untersuchung, die darüber
angestellt ist, ergiebt, und bey jeder wiederholten
Betrachtung und Prüfung bestätigt. Dies ist
das Resultat, worauf man längst gekommen wä-
re, wenn man vor der Untersuchung gefragt hät-
te, was man denn eigentlich ergründen wolle,
und ob dazu das menschliche Ergründungs-
vermögen
geschickt sey. --

Wozu denn, hör' ich hier von vielen Seiten,
Betrachtungen über die Seele, wenn sie sich doch
nicht von uns erkennen läßt? --

Nur noch das Endurtheil ein wenig aufgehal-
ten, Freund. -- Wenn ich behaupte, daß das
Wesen unsrer Seele nicht für uns erkennbar ist,
heißt das, wir können nichts von ihr erkennen?
Wo ist der Chymiker, der uns die Grundsubstanz
des Goldes lehren könnte, erkennt er darum von
dem Golde nichts? -- Wir sind es uns bewußt,
daß wir empfinden, denken, wollen; und daß

daher

ich wollte ja nicht die verſchiednen Meinungen,
die ich zum Theil mit Cicero's Epikureer deliran-
tium ſomnia
nennen koͤnnte, erzaͤhlen; — allein
das Reſultat dieſer ſo viel tauſend Jahre fortgeſetz-
ten Unterſuchungen werden meine Leſer mit Recht
von mir fodern.

Wir wiſſen von dem, was das Weſen
der Seele iſt, nichts,
dies iſt das Reſultat,
welches ſich aus jeder Unterſuchung, die daruͤber
angeſtellt iſt, ergiebt, und bey jeder wiederholten
Betrachtung und Pruͤfung beſtaͤtigt. Dies iſt
das Reſultat, worauf man laͤngſt gekommen waͤ-
re, wenn man vor der Unterſuchung gefragt haͤt-
te, was man denn eigentlich ergruͤnden wolle,
und ob dazu das menſchliche Ergruͤndungs-
vermoͤgen
geſchickt ſey. —

Wozu denn, hoͤr' ich hier von vielen Seiten,
Betrachtungen uͤber die Seele, wenn ſie ſich doch
nicht von uns erkennen laͤßt? —

Nur noch das Endurtheil ein wenig aufgehal-
ten, Freund. — Wenn ich behaupte, daß das
Weſen unſrer Seele nicht fuͤr uns erkennbar iſt,
heißt das, wir koͤnnen nichts von ihr erkennen?
Wo iſt der Chymiker, der uns die Grundſubſtanz
des Goldes lehren koͤnnte, erkennt er darum von
dem Golde nichts? — Wir ſind es uns bewußt,
daß wir empfinden, denken, wollen; und daß

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[2/0026] ich wollte ja nicht die verſchiednen Meinungen, die ich zum Theil mit Cicero's Epikureer deliran- tium ſomnia nennen koͤnnte, erzaͤhlen; — allein das Reſultat dieſer ſo viel tauſend Jahre fortgeſetz- ten Unterſuchungen werden meine Leſer mit Recht von mir fodern. Wir wiſſen von dem, was das Weſen der Seele iſt, nichts, dies iſt das Reſultat, welches ſich aus jeder Unterſuchung, die daruͤber angeſtellt iſt, ergiebt, und bey jeder wiederholten Betrachtung und Pruͤfung beſtaͤtigt. Dies iſt das Reſultat, worauf man laͤngſt gekommen waͤ- re, wenn man vor der Unterſuchung gefragt haͤt- te, was man denn eigentlich ergruͤnden wolle, und ob dazu das menſchliche Ergruͤndungs- vermoͤgen geſchickt ſey. — Wozu denn, hoͤr' ich hier von vielen Seiten, Betrachtungen uͤber die Seele, wenn ſie ſich doch nicht von uns erkennen laͤßt? — Nur noch das Endurtheil ein wenig aufgehal- ten, Freund. — Wenn ich behaupte, daß das Weſen unſrer Seele nicht fuͤr uns erkennbar iſt, heißt das, wir koͤnnen nichts von ihr erkennen? Wo iſt der Chymiker, der uns die Grundſubſtanz des Goldes lehren koͤnnte, erkennt er darum von dem Golde nichts? — Wir ſind es uns bewußt, daß wir empfinden, denken, wollen; und daß daher

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/26>, abgerufen am 28.03.2024.