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Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen. [2. Teil; 10. bis 16. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 2. Stück. Tübingen, 1795, S. 51–94.

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len, empfinden, sind wir; nicht weil wir sind, denken, wollen, empfinden wir. Wir sind, weil wir sind; wir empfinden, denken und wollen, weil ausser uns noch etwas anderes ist.

Die Person also muß ihr eigener Grund seyn, denn das Bleibende kann nicht aus der Veränderung fließen; und so hätten wir denn fürs erste die Idee des absoluten, in sich selbst gegründeten Seyns, d. i. die Freyheit. Der Zustand muß einen Grund haben; er muß, da er nicht durch die Person also nicht absolut ist, erfolgen; und so hätten wir fürs zweyte die Bedingung alles abhängigen Seyns oder Werdens, die Zeit. Die Zeit ist die Bedingung alles Werdens: ist ein identischer Satz, denn er sagt nichts anders, als: die Folge ist die Bedingung, daß etwas erfolgt.

Die Person, die sich in dem ewig beharrenden ICH und nur in diesem offenbart, kann nicht werden, nicht anfangen in der Zeit, weil vielmehr umgekehrt die Zeit in ihr anfangen, weil dem Wechsel ein Beharrliches zum Grund liegen muß. Etwas muß sich verändern, wenn Veränderung seyn soll; dieses Etwas kann also nicht selbst schon Veränderung seyn. Indem wir sagen, die Blume blühet und verwelkt, machen wir die Blume zum Bleibenden in dieser Verwandlung, und leyhen ihr gleichsam eine Person, an der sich jene beyden Zustände offenbaren. Daß der Mensch erst wird, ist kein Einwurf, denn der Mensch ist nicht blos Person überhaupt, sondern Person, die sich in einem bestimmten Zustand befindet. Aller Zustand aber, alles bestimmte Daseyn entsteht in der Zeit, und so muß also der Mensch,

len, empfinden, sind wir; nicht weil wir sind, denken, wollen, empfinden wir. Wir sind, weil wir sind; wir empfinden, denken und wollen, weil ausser uns noch etwas anderes ist.

Die Person also muß ihr eigener Grund seyn, denn das Bleibende kann nicht aus der Veränderung fließen; und so hätten wir denn fürs erste die Idee des absoluten, in sich selbst gegründeten Seyns, d. i. die Freyheit. Der Zustand muß einen Grund haben; er muß, da er nicht durch die Person also nicht absolut ist, erfolgen; und so hätten wir fürs zweyte die Bedingung alles abhängigen Seyns oder Werdens, die Zeit. Die Zeit ist die Bedingung alles Werdens: ist ein identischer Satz, denn er sagt nichts anders, als: die Folge ist die Bedingung, daß etwas erfolgt.

Die Person, die sich in dem ewig beharrenden ICH und nur in diesem offenbart, kann nicht werden, nicht anfangen in der Zeit, weil vielmehr umgekehrt die Zeit in ihr anfangen, weil dem Wechsel ein Beharrliches zum Grund liegen muß. Etwas muß sich verändern, wenn Veränderung seyn soll; dieses Etwas kann also nicht selbst schon Veränderung seyn. Indem wir sagen, die Blume blühet und verwelkt, machen wir die Blume zum Bleibenden in dieser Verwandlung, und leyhen ihr gleichsam eine Person, an der sich jene beyden Zustände offenbaren. Daß der Mensch erst wird, ist kein Einwurf, denn der Mensch ist nicht blos Person überhaupt, sondern Person, die sich in einem bestimmten Zustand befindet. Aller Zustand aber, alles bestimmte Daseyn entsteht in der Zeit, und so muß also der Mensch,

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[59/0009] len, empfinden, sind wir; nicht weil wir sind, denken, wollen, empfinden wir. Wir sind, weil wir sind; wir empfinden, denken und wollen, weil ausser uns noch etwas anderes ist. Die Person also muß ihr eigener Grund seyn, denn das Bleibende kann nicht aus der Veränderung fließen; und so hätten wir denn fürs erste die Idee des absoluten, in sich selbst gegründeten Seyns, d. i. die Freyheit. Der Zustand muß einen Grund haben; er muß, da er nicht durch die Person also nicht absolut ist, erfolgen; und so hätten wir fürs zweyte die Bedingung alles abhängigen Seyns oder Werdens, die Zeit. Die Zeit ist die Bedingung alles Werdens: ist ein identischer Satz, denn er sagt nichts anders, als: die Folge ist die Bedingung, daß etwas erfolgt. Die Person, die sich in dem ewig beharrenden ICH und nur in diesem offenbart, kann nicht werden, nicht anfangen in der Zeit, weil vielmehr umgekehrt die Zeit in ihr anfangen, weil dem Wechsel ein Beharrliches zum Grund liegen muß. Etwas muß sich verändern, wenn Veränderung seyn soll; dieses Etwas kann also nicht selbst schon Veränderung seyn. Indem wir sagen, die Blume blühet und verwelkt, machen wir die Blume zum Bleibenden in dieser Verwandlung, und leyhen ihr gleichsam eine Person, an der sich jene beyden Zustände offenbaren. Daß der Mensch erst wird, ist kein Einwurf, denn der Mensch ist nicht blos Person überhaupt, sondern Person, die sich in einem bestimmten Zustand befindet. Aller Zustand aber, alles bestimmte Daseyn entsteht in der Zeit, und so muß also der Mensch,

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen. [2. Teil; 10. bis 16. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 2. Stück. Tübingen, 1795, S. 51–94, hier S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_erziehung02_1795/9>, abgerufen am 19.04.2024.