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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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Baron von F*** an den Grafen
von O***.
Achter Brief.

August.

Der Prinz schwimmt in Wonne und Liebe. Er
hat seine Griechin wieder. Hören Sie, wie dieß
zugegangen ist.

Ein Fremder, der über Chiozza gekommen war,
und von der schönen Lage dieser Stadt am Golf
viel zu erzählen wußte, machte den Prinzen neu¬
gierig, sie zu sehen. Gestern wurde dieß ausge¬
führt, und um allen Zwang und Aufwand zu ver¬
meiden, sollte niemand ihn begleiten als Z***
und ich, nebst Biondello, und mein Herr wollte
unbekannt bleiben. Wir fanden ein Fahrzeug,
das eben dahin abging, und mietheten uns darauf
ein. Die Gesellschaft war sehr gemischt, aber
unbedeutend, und die Hinreise hatte nichts merk¬
würdiges.

Chiozza ist auf eingerammten Pfählen gebaut,
wie Venedig, und soll gegen vierzig tausend Ein¬
wohner zählen. Adel findet man wenig, aber bey
jedem Tritte stößt man auf Fischer oder Matrosen.
Wer eine Perücke und einen Mantel trägt, heißt
ein Reicher; Mütze und Ueberschlag sind das Zei¬
chen eines Armen. Die Lage der Stadt ist schön,
doch darf man Venedig nicht gesehen haben.

Wir
Baron von F*** an den Grafen
von O***.
Achter Brief.

Auguſt.

Der Prinz ſchwimmt in Wonne und Liebe. Er
hat ſeine Griechin wieder. Hören Sie, wie dieß
zugegangen iſt.

Ein Fremder, der über Chiozza gekommen war,
und von der ſchönen Lage dieſer Stadt am Golf
viel zu erzählen wußte, machte den Prinzen neu¬
gierig, ſie zu ſehen. Geſtern wurde dieß ausge¬
führt, und um allen Zwang und Aufwand zu ver¬
meiden, ſollte niemand ihn begleiten als Z***
und ich, nebſt Biondello, und mein Herr wollte
unbekannt bleiben. Wir fanden ein Fahrzeug,
das eben dahin abging, und mietheten uns darauf
ein. Die Geſellſchaft war ſehr gemiſcht, aber
unbedeutend, und die Hinreiſe hatte nichts merk¬
würdiges.

Chiozza iſt auf eingerammten Pfählen gebaut,
wie Venedig, und ſoll gegen vierzig tauſend Ein¬
wohner zählen. Adel findet man wenig, aber bey
jedem Tritte ſtößt man auf Fiſcher oder Matroſen.
Wer eine Perücke und einen Mantel trägt, heißt
ein Reicher; Mütze und Ueberſchlag ſind das Zei¬
chen eines Armen. Die Lage der Stadt iſt ſchön,
doch darf man Venedig nicht geſehen haben.

Wir
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[192/0200] Baron von F*** an den Grafen von O***. Achter Brief. Auguſt. Der Prinz ſchwimmt in Wonne und Liebe. Er hat ſeine Griechin wieder. Hören Sie, wie dieß zugegangen iſt. Ein Fremder, der über Chiozza gekommen war, und von der ſchönen Lage dieſer Stadt am Golf viel zu erzählen wußte, machte den Prinzen neu¬ gierig, ſie zu ſehen. Geſtern wurde dieß ausge¬ führt, und um allen Zwang und Aufwand zu ver¬ meiden, ſollte niemand ihn begleiten als Z*** und ich, nebſt Biondello, und mein Herr wollte unbekannt bleiben. Wir fanden ein Fahrzeug, das eben dahin abging, und mietheten uns darauf ein. Die Geſellſchaft war ſehr gemiſcht, aber unbedeutend, und die Hinreiſe hatte nichts merk¬ würdiges. Chiozza iſt auf eingerammten Pfählen gebaut, wie Venedig, und ſoll gegen vierzig tauſend Ein¬ wohner zählen. Adel findet man wenig, aber bey jedem Tritte ſtößt man auf Fiſcher oder Matroſen. Wer eine Perücke und einen Mantel trägt, heißt ein Reicher; Mütze und Ueberſchlag ſind das Zei¬ chen eines Armen. Die Lage der Stadt iſt ſchön, doch darf man Venedig nicht geſehen haben. Wir

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/200>, abgerufen am 28.03.2024.