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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789.

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"daß sie krank war, kam kein Schlaf in seine
"Augen. Ich war bey der Leichenöffnung.
"Man fand Spuren von Vergiftung. Heute
"wird man sie begraben.

"Ach liebster O***, mein Herz ist zerrissen.
"Ich habe einen Auftritt erlebt, der nie aus
"meinem Gedächtniß verlöschen wird. Ich stand
"vor ihrem Sterbebette. Wie eine Heilige schied
"sie dahin, und ihre letzte sterbende Beredsam¬
"keit erschöpfte sich, ihren Geliebten auf den
"Weg zu leiten, den sie zum Himmel wandelte
"-- Alle unsre Standhaftigkeit war erschüttert,
"der Prinz allein stand fest, und ob er gleich
"ihren Tod dreyfach mit erlitt, so behielt er
"doch Stärke des Geistes genug, der frommen
"Schwärmerin ihre letzte Bitte zu verweigern."
In diesem Brief lag folgender Einschluß.

An den Prinzen von ***
von seiner Schwester.

"Die allein selig machende Kirche, die an dem
"Prinzen von *** eine so glänzende Eroberung ge¬
"macht hat, wird es ihm auch nicht an Mitteln
"fehlen lassen, die Lebensart fortzusetzen, der sie
"diese Eroberung verdankt. Ich habe Thränen
"und Gebeth für einen Verirrten, aber keine Wohl¬
"thaten mehr für einen Unwürdigen!"

Henriette***.


Ich

„daß ſie krank war, kam kein Schlaf in ſeine
„Augen. Ich war bey der Leichenöffnung.
„Man fand Spuren von Vergiftung. Heute
„wird man ſie begraben.

„Ach liebſter O***, mein Herz iſt zerriſſen.
„Ich habe einen Auftritt erlebt, der nie aus
„meinem Gedächtniß verlöſchen wird. Ich ſtand
„vor ihrem Sterbebette. Wie eine Heilige ſchied
„ſie dahin, und ihre letzte ſterbende Beredſam¬
„keit erſchöpfte ſich, ihren Geliebten auf den
„Weg zu leiten, den ſie zum Himmel wandelte
„— Alle unſre Standhaftigkeit war erſchüttert,
„der Prinz allein ſtand feſt, und ob er gleich
„ihren Tod dreyfach mit erlitt, ſo behielt er
„doch Stärke des Geiſtes genug, der frommen
„Schwärmerin ihre letzte Bitte zu verweigern.“
In dieſem Brief lag folgender Einſchluß.

An den Prinzen von ***
von ſeiner Schweſter.

Die allein ſelig machende Kirche, die an dem
„Prinzen von *** eine ſo glänzende Eroberung ge¬
„macht hat, wird es ihm auch nicht an Mitteln
„fehlen laſſen, die Lebensart fortzuſetzen, der ſie
„dieſe Eroberung verdankt. Ich habe Thränen
„und Gebeth für einen Verirrten, aber keine Wohl¬
„thaten mehr für einen Unwürdigen!“

Henriette***.


Ich
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[205/0213] „daß ſie krank war, kam kein Schlaf in ſeine „Augen. Ich war bey der Leichenöffnung. „Man fand Spuren von Vergiftung. Heute „wird man ſie begraben. „Ach liebſter O***, mein Herz iſt zerriſſen. „Ich habe einen Auftritt erlebt, der nie aus „meinem Gedächtniß verlöſchen wird. Ich ſtand „vor ihrem Sterbebette. Wie eine Heilige ſchied „ſie dahin, und ihre letzte ſterbende Beredſam¬ „keit erſchöpfte ſich, ihren Geliebten auf den „Weg zu leiten, den ſie zum Himmel wandelte „— Alle unſre Standhaftigkeit war erſchüttert, „der Prinz allein ſtand feſt, und ob er gleich „ihren Tod dreyfach mit erlitt, ſo behielt er „doch Stärke des Geiſtes genug, der frommen „Schwärmerin ihre letzte Bitte zu verweigern.“ In dieſem Brief lag folgender Einſchluß. An den Prinzen von *** von ſeiner Schweſter. „Die allein ſelig machende Kirche, die an dem „Prinzen von *** eine ſo glänzende Eroberung ge¬ „macht hat, wird es ihm auch nicht an Mitteln „fehlen laſſen, die Lebensart fortzuſetzen, der ſie „dieſe Eroberung verdankt. Ich habe Thränen „und Gebeth für einen Verirrten, aber keine Wohl¬ „thaten mehr für einen Unwürdigen!“ Henriette***. Ich

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Zitationshilfe: Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/213>, abgerufen am 25.04.2024.