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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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sammengehörigkeit von Rhetorik und Hermeneutik und ihr
gemeinsames Verhältniß zur Dialektik.

1. Reden ist freilich auch Vermittlung des Denkens für
den Einzelnen. Das Denken wird durch innere Rede fertig
und insofern ist die Rede nur der gewordene Gedanke selbst.
Aber wo der Denkende nöthig findet den Gedanken sich selbst zu
fixiren, da entsteht auch Kunst der Rede, Umwandlung des ur-
sprünglichen, und wird hernach auch Auslegung nöthig.

2. Die Zusammengehörigkeit der Hermeneutik und Rhetorik
besteht darin, daß jeder Akt des Verstehens die Umkehrung
eines Aktes des Redens ist, indem in das Bewußtsein kommen
muß welches Denken der Rede zum Grunde gelegen.

3. Die Abhängigkeit beider von der Dialektik besteht darin,
daß alles Werden des Wissens von beiden (Reden und Ver-
stehen) abhängig ist.

Zusatz 1). Allgemeine Hermeneutik gehört so wie mit Kri-
tik so auch mit Grammatik 2) zusammen. Aber da es nicht
nur keine Mittheilung des Wissens, sondern auch kein Festhal-
ten desselben giebt ohne diese drei und zugleich alles richtige
Denken auf richtiges Sprechen ausgeht, so sind auch alle drei
mit der Dialektik genau zu verbinden.

Die 3) Zusammengehörigkeit der Hermeneutik und Grammatik beruhet

1) Randbem. v. J. 1828.
2) Anmerk. d. Herausg.: Seitdem Schl. diesen Gegenstand in beson-
derer Beziehung auf Wolf's Abhandlung erörterte, gebrauchte er statt
Rhetorik Grammatik. Dieß erklärt sich daraus, daß er Grammatik im
höheren Sinn nahm als künstlerische Behandlung der Sprache überhaupt,
so daß er auch die rhetorische Composition darunter begriff. S. Abhdl.
über den Begriff der Hermeneutik. S. 357 ff.
3) Anmerk. d. Herausg.: Aus der Vorles. v. 1832. Von jetzt an
wird das Datum der Vorlesung nur dann bemerkt werden, wenn es nicht
diese letzte ist.

ſammengehoͤrigkeit von Rhetorik und Hermeneutik und ihr
gemeinſames Verhaͤltniß zur Dialektik.

1. Reden iſt freilich auch Vermittlung des Denkens fuͤr
den Einzelnen. Das Denken wird durch innere Rede fertig
und inſofern iſt die Rede nur der gewordene Gedanke ſelbſt.
Aber wo der Denkende noͤthig findet den Gedanken ſich ſelbſt zu
fixiren, da entſteht auch Kunſt der Rede, Umwandlung des ur-
ſpruͤnglichen, und wird hernach auch Auslegung noͤthig.

2. Die Zuſammengehoͤrigkeit der Hermeneutik und Rhetorik
beſteht darin, daß jeder Akt des Verſtehens die Umkehrung
eines Aktes des Redens iſt, indem in das Bewußtſein kommen
muß welches Denken der Rede zum Grunde gelegen.

3. Die Abhaͤngigkeit beider von der Dialektik beſteht darin,
daß alles Werden des Wiſſens von beiden (Reden und Ver-
ſtehen) abhaͤngig iſt.

Zuſatz 1). Allgemeine Hermeneutik gehoͤrt ſo wie mit Kri-
tik ſo auch mit Grammatik 2) zuſammen. Aber da es nicht
nur keine Mittheilung des Wiſſens, ſondern auch kein Feſthal-
ten deſſelben giebt ohne dieſe drei und zugleich alles richtige
Denken auf richtiges Sprechen ausgeht, ſo ſind auch alle drei
mit der Dialektik genau zu verbinden.

Die 3) Zuſammengehoͤrigkeit der Hermeneutik und Grammatik beruhet

1) Randbem. v. J. 1828.
2) Anmerk. d. Herausg.: Seitdem Schl. dieſen Gegenſtand in beſon-
derer Beziehung auf Wolf's Abhandlung eroͤrterte, gebrauchte er ſtatt
Rhetorik Grammatik. Dieß erklaͤrt ſich daraus, daß er Grammatik im
hoͤheren Sinn nahm als kuͤnſtleriſche Behandlung der Sprache uͤberhaupt,
ſo daß er auch die rhetoriſche Compoſition darunter begriff. S. Abhdl.
uͤber den Begriff der Hermeneutik. S. 357 ff.
3) Anmerk. d. Herausg.: Aus der Vorleſ. v. 1832. Von jetzt an
wird das Datum der Vorleſung nur dann bemerkt werden, wenn es nicht
dieſe letzte iſt.
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[10/0034] ſammengehoͤrigkeit von Rhetorik und Hermeneutik und ihr gemeinſames Verhaͤltniß zur Dialektik. 1. Reden iſt freilich auch Vermittlung des Denkens fuͤr den Einzelnen. Das Denken wird durch innere Rede fertig und inſofern iſt die Rede nur der gewordene Gedanke ſelbſt. Aber wo der Denkende noͤthig findet den Gedanken ſich ſelbſt zu fixiren, da entſteht auch Kunſt der Rede, Umwandlung des ur- ſpruͤnglichen, und wird hernach auch Auslegung noͤthig. 2. Die Zuſammengehoͤrigkeit der Hermeneutik und Rhetorik beſteht darin, daß jeder Akt des Verſtehens die Umkehrung eines Aktes des Redens iſt, indem in das Bewußtſein kommen muß welches Denken der Rede zum Grunde gelegen. 3. Die Abhaͤngigkeit beider von der Dialektik beſteht darin, daß alles Werden des Wiſſens von beiden (Reden und Ver- ſtehen) abhaͤngig iſt. Zuſatz 1). Allgemeine Hermeneutik gehoͤrt ſo wie mit Kri- tik ſo auch mit Grammatik 2) zuſammen. Aber da es nicht nur keine Mittheilung des Wiſſens, ſondern auch kein Feſthal- ten deſſelben giebt ohne dieſe drei und zugleich alles richtige Denken auf richtiges Sprechen ausgeht, ſo ſind auch alle drei mit der Dialektik genau zu verbinden. Die 3) Zuſammengehoͤrigkeit der Hermeneutik und Grammatik beruhet 1) Randbem. v. J. 1828. 2) Anmerk. d. Herausg.: Seitdem Schl. dieſen Gegenſtand in beſon- derer Beziehung auf Wolf's Abhandlung eroͤrterte, gebrauchte er ſtatt Rhetorik Grammatik. Dieß erklaͤrt ſich daraus, daß er Grammatik im hoͤheren Sinn nahm als kuͤnſtleriſche Behandlung der Sprache uͤberhaupt, ſo daß er auch die rhetoriſche Compoſition darunter begriff. S. Abhdl. uͤber den Begriff der Hermeneutik. S. 357 ff. 3) Anmerk. d. Herausg.: Aus der Vorleſ. v. 1832. Von jetzt an wird das Datum der Vorleſung nur dann bemerkt werden, wenn es nicht dieſe letzte iſt.

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/34>, abgerufen am 19.04.2024.