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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Bevölkerungslehre.
Finanzverhältnisse der Stadt Basel im 14. u. 15. Jahrhundert. 1879. --
Bücher, Die Bevölkerung
von Frankfurt a. M. im 14. u. 15. Jahrhundert. 1886. --
Jastrow, Die Volkszahl deutscher
Städte zu Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit. 1886. --
Beloch, Die Bevölkerung
der griechisch-römischen Welt. 1886. --
Die Artikel im H.W. über Geschichte der Bevölkerung von
Ed. Meyer, Inama-Sternegg, Rauchberg.
Kolonisation und Wanderungen. Roscher und Jannasch, Kolonien, Kolonialpolitik und
Auswanderung. 1856 u. 1885. --
Leroy-Beaulieu, De la colonisation chez les peuples
modernes.
1874 u. öfter. --
Hübbe-Schleiden, Überseeische Politik. 1883. -- A. Zimmermann,
Die europäischen Kolonien. 1 u. 2, 1896--98.
Schriften des Ver. für Socialpol. 32 (von Schmoller, Thiel, Rimpler und Sombart,
1886) u. 56 (von Sering, 1893) über innere Kolonisation. --
Randow, Die Wanderbewegung der
centraleuropäischen Bevölkerung. Öst. stat. Monatsschr. 1884. --
Schumann, Die inneren Wanderungen
in Deutschland. Stat. Archiv 1, 1890. --
Auswanderung und Auswanderungspolitik. Schriften d.
Ver. f. Socialpol, 52 von Philippovich, 1892; 72 von Rathgen, Mayo-Smith und Hehl,
1896. --
Die Artikel über Auswanderung im H.W. und W.V.

68. Vorbemerkung. Haben wir in den beiden letzten Abschnitten Erscheinungen
und Zusammenhänge behandelt, die, an sich unendlich kompliziert, in ihren Einzelheiten
weit auseinanderliegen, der wissenschaftlichen Beherrschung heute noch zu einem großen
Teile spröde gegenüber stehen, so kommen wir mit den Bevölkerungsverhältnissen auf
einen festeren, durch die Statistik geebneten Boden. Die Bevölkerungslehre faßt die durch
Rasse, Gebiet und Geschichte gegebenen menschlichen Gemeinschaften in der Weise, daß
sie ihre biologischen Erscheinungen, Geburt und Tod, ihre Gliederung nach Alter und
Geschlecht, ihre Größenverhältnisse, ihre Zu- und Abnahme untersucht, dabei aber von
den übrigen Seiten des Volkslebens, der socialen Gliederung, der wirtschaftlichen Organi-
sation und derartigem absieht, nur den generellen Zusammenhang zwischen der Größe
und Bewegung der Bevölkerung und ihrem Wohlstand erörtert.

Schon im Altertum hat man die Zu- oder Abnahme der Bevölkerung als wichtige
sociale und politische Thatsache erkannt; mit der Renaissance der Wissenschaften und
der neueren Staaten- und Volkswirtschaftsbildung kam man auf diese Probleme zurück,
fing man an, über die Größe der Bevölkerung zu verschiedenen Zeiten (Hume) nach-
zudenken, den politischen Vorteil der Bevölkerungsdichtigkeit einzusehen (die Populatio-
nisten des 17. und 18. Jahrhunderts). Aber erst seit die Kirchenbücher die Geburten,
Eheschließungen und Todesfälle verzeichneten, seit Süßmilch dieses Material zum ersten
Versuche einer Bevölkerungslehre verdichtet, Malthus energisch auf die Schattenseiten
einer zu raschen Bevölkerungszunahme hingewiesen und die amtliche Statistik unseres
Jahrhunderts sich auszubilden angefangen hatte, konnte von Quetelet, Bernoulli,
Wappäus an von einer wissenschaftlichen Bevölkerungslehre gesprochen werden. Aus
ihren Resultaten haben wir hier das mitzuteilen, was als Grundlage einer zusammen-
hängenden volkswirtschaftlichen Erkenntnis unentbehrlich ist. Wir müssen dabei verzichten,
auf die Technik der Zahlengewinnung einzugehen; wir müssen neben den gesicherten da
und dort Schätzungszahlen zu Hülfe nehmen. Die statistische Zahl ist uns hier nur ein
Hülfsmittel der Darstellung, nicht Selbstzweck, wie in den statistischen Werken.

69. Die Altersverhältnisse. Aus dem natürlichen Ablauf des menschlichen
Lebens ergiebt sich die Thatsache, daß wir keinen Stamm und kein Volk treffen, die sich
nicht aus älteren, erwachsenen und jüngeren Individuen zusammensetzten. Alle mensch-
liche Gesellschaft ist dem Generationswechsel unterworfen, zeigt, wie jeder Baum, eine
Summe von verschiedenen Altersringen, ist damit in jedem folgenden Jahre aus teil-
weise anderen Individuen zusammengesetzt. Schon Süßmilch erschien diese Ordnung,
die er mit dem Vorbeimarsch eines Regiments Soldaten vor seinem Fürsten vergleicht,
als die größte Offenbarung der göttlichen Vorsehung. Der Ewige, ruft er, lässet das
Heer des menschlichen Geschlechtes in fest bestimmten Abteilungen aus dem Nichts
erscheinen; sie folgen sich, werden in jedem Stadium ausgemustert; die Abteilungen
werden immer kleiner, bis sie nach Erreichung des einem jeden gesteckten Zieles wieder
verschwinden.

Keine Erscheinung der menschlichen Gesellschaft, des Staates und der Volkswirt-
schaft ist verständlich ohne den Gedanken dieses steten Generationswechsels. Auch alles

Die Bevölkerungslehre.
Finanzverhältniſſe der Stadt Baſel im 14. u. 15. Jahrhundert. 1879. —
Bücher, Die Bevölkerung
von Frankfurt a. M. im 14. u. 15. Jahrhundert. 1886. —
Jaſtrow, Die Volkszahl deutſcher
Städte zu Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit. 1886. —
Beloch, Die Bevölkerung
der griechiſch-römiſchen Welt. 1886. —
Die Artikel im H.W. über Geſchichte der Bevölkerung von
Ed. Meyer, Inama-Sternegg, Rauchberg.
Koloniſation und Wanderungen. Roſcher und Jannaſch, Kolonien, Kolonialpolitik und
Auswanderung. 1856 u. 1885. —
Leroy-Beaulieu, De la colonisation chez les peuples
modernes.
1874 u. öfter. —
Hübbe-Schleiden, Überſeeiſche Politik. 1883. — A. Zimmermann,
Die europäiſchen Kolonien. 1 u. 2, 1896—98.
Schriften des Ver. für Socialpol. 32 (von Schmoller, Thiel, Rimpler und Sombart,
1886) u. 56 (von Sering, 1893) über innere Koloniſation. —
Randow, Die Wanderbewegung der
centraleuropäiſchen Bevölkerung. Öſt. ſtat. Monatsſchr. 1884. —
Schumann, Die inneren Wanderungen
in Deutſchland. Stat. Archiv 1, 1890. —
Auswanderung und Auswanderungspolitik. Schriften d.
Ver. f. Socialpol, 52 von Philippovich, 1892; 72 von Rathgen, Mayo-Smith und Hehl,
1896. —
Die Artikel über Auswanderung im H.W. und W.V.

68. Vorbemerkung. Haben wir in den beiden letzten Abſchnitten Erſcheinungen
und Zuſammenhänge behandelt, die, an ſich unendlich kompliziert, in ihren Einzelheiten
weit auseinanderliegen, der wiſſenſchaftlichen Beherrſchung heute noch zu einem großen
Teile ſpröde gegenüber ſtehen, ſo kommen wir mit den Bevölkerungsverhältniſſen auf
einen feſteren, durch die Statiſtik geebneten Boden. Die Bevölkerungslehre faßt die durch
Raſſe, Gebiet und Geſchichte gegebenen menſchlichen Gemeinſchaften in der Weiſe, daß
ſie ihre biologiſchen Erſcheinungen, Geburt und Tod, ihre Gliederung nach Alter und
Geſchlecht, ihre Größenverhältniſſe, ihre Zu- und Abnahme unterſucht, dabei aber von
den übrigen Seiten des Volkslebens, der ſocialen Gliederung, der wirtſchaftlichen Organi-
ſation und derartigem abſieht, nur den generellen Zuſammenhang zwiſchen der Größe
und Bewegung der Bevölkerung und ihrem Wohlſtand erörtert.

Schon im Altertum hat man die Zu- oder Abnahme der Bevölkerung als wichtige
ſociale und politiſche Thatſache erkannt; mit der Renaiſſance der Wiſſenſchaften und
der neueren Staaten- und Volkswirtſchaftsbildung kam man auf dieſe Probleme zurück,
fing man an, über die Größe der Bevölkerung zu verſchiedenen Zeiten (Hume) nach-
zudenken, den politiſchen Vorteil der Bevölkerungsdichtigkeit einzuſehen (die Populatio-
niſten des 17. und 18. Jahrhunderts). Aber erſt ſeit die Kirchenbücher die Geburten,
Eheſchließungen und Todesfälle verzeichneten, ſeit Süßmilch dieſes Material zum erſten
Verſuche einer Bevölkerungslehre verdichtet, Malthus energiſch auf die Schattenſeiten
einer zu raſchen Bevölkerungszunahme hingewieſen und die amtliche Statiſtik unſeres
Jahrhunderts ſich auszubilden angefangen hatte, konnte von Quételet, Bernoulli,
Wappäus an von einer wiſſenſchaftlichen Bevölkerungslehre geſprochen werden. Aus
ihren Reſultaten haben wir hier das mitzuteilen, was als Grundlage einer zuſammen-
hängenden volkswirtſchaftlichen Erkenntnis unentbehrlich iſt. Wir müſſen dabei verzichten,
auf die Technik der Zahlengewinnung einzugehen; wir müſſen neben den geſicherten da
und dort Schätzungszahlen zu Hülfe nehmen. Die ſtatiſtiſche Zahl iſt uns hier nur ein
Hülfsmittel der Darſtellung, nicht Selbſtzweck, wie in den ſtatiſtiſchen Werken.

69. Die Altersverhältniſſe. Aus dem natürlichen Ablauf des menſchlichen
Lebens ergiebt ſich die Thatſache, daß wir keinen Stamm und kein Volk treffen, die ſich
nicht aus älteren, erwachſenen und jüngeren Individuen zuſammenſetzten. Alle menſch-
liche Geſellſchaft iſt dem Generationswechſel unterworfen, zeigt, wie jeder Baum, eine
Summe von verſchiedenen Altersringen, iſt damit in jedem folgenden Jahre aus teil-
weiſe anderen Individuen zuſammengeſetzt. Schon Süßmilch erſchien dieſe Ordnung,
die er mit dem Vorbeimarſch eines Regiments Soldaten vor ſeinem Fürſten vergleicht,
als die größte Offenbarung der göttlichen Vorſehung. Der Ewige, ruft er, läſſet das
Heer des menſchlichen Geſchlechtes in feſt beſtimmten Abteilungen aus dem Nichts
erſcheinen; ſie folgen ſich, werden in jedem Stadium ausgemuſtert; die Abteilungen
werden immer kleiner, bis ſie nach Erreichung des einem jeden geſteckten Zieles wieder
verſchwinden.

Keine Erſcheinung der menſchlichen Geſellſchaft, des Staates und der Volkswirt-
ſchaft iſt verſtändlich ohne den Gedanken dieſes ſteten Generationswechſels. Auch alles

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[159/0175] Die Bevölkerungslehre. Finanzverhältniſſe der Stadt Baſel im 14. u. 15. Jahrhundert. 1879. — Bücher, Die Bevölkerung von Frankfurt a. M. im 14. u. 15. Jahrhundert. 1886. — Jaſtrow, Die Volkszahl deutſcher Städte zu Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit. 1886. — Beloch, Die Bevölkerung der griechiſch-römiſchen Welt. 1886. — Die Artikel im H.W. über Geſchichte der Bevölkerung von Ed. Meyer, Inama-Sternegg, Rauchberg. Koloniſation und Wanderungen. Roſcher und Jannaſch, Kolonien, Kolonialpolitik und Auswanderung. 1856 u. 1885. — Leroy-Beaulieu, De la colonisation chez les peuples modernes. 1874 u. öfter. — Hübbe-Schleiden, Überſeeiſche Politik. 1883. — A. Zimmermann, Die europäiſchen Kolonien. 1 u. 2, 1896—98. Schriften des Ver. für Socialpol. 32 (von Schmoller, Thiel, Rimpler und Sombart, 1886) u. 56 (von Sering, 1893) über innere Koloniſation. — Randow, Die Wanderbewegung der centraleuropäiſchen Bevölkerung. Öſt. ſtat. Monatsſchr. 1884. — Schumann, Die inneren Wanderungen in Deutſchland. Stat. Archiv 1, 1890. — Auswanderung und Auswanderungspolitik. Schriften d. Ver. f. Socialpol, 52 von Philippovich, 1892; 72 von Rathgen, Mayo-Smith und Hehl, 1896. — Die Artikel über Auswanderung im H.W. und W.V. 68. Vorbemerkung. Haben wir in den beiden letzten Abſchnitten Erſcheinungen und Zuſammenhänge behandelt, die, an ſich unendlich kompliziert, in ihren Einzelheiten weit auseinanderliegen, der wiſſenſchaftlichen Beherrſchung heute noch zu einem großen Teile ſpröde gegenüber ſtehen, ſo kommen wir mit den Bevölkerungsverhältniſſen auf einen feſteren, durch die Statiſtik geebneten Boden. Die Bevölkerungslehre faßt die durch Raſſe, Gebiet und Geſchichte gegebenen menſchlichen Gemeinſchaften in der Weiſe, daß ſie ihre biologiſchen Erſcheinungen, Geburt und Tod, ihre Gliederung nach Alter und Geſchlecht, ihre Größenverhältniſſe, ihre Zu- und Abnahme unterſucht, dabei aber von den übrigen Seiten des Volkslebens, der ſocialen Gliederung, der wirtſchaftlichen Organi- ſation und derartigem abſieht, nur den generellen Zuſammenhang zwiſchen der Größe und Bewegung der Bevölkerung und ihrem Wohlſtand erörtert. Schon im Altertum hat man die Zu- oder Abnahme der Bevölkerung als wichtige ſociale und politiſche Thatſache erkannt; mit der Renaiſſance der Wiſſenſchaften und der neueren Staaten- und Volkswirtſchaftsbildung kam man auf dieſe Probleme zurück, fing man an, über die Größe der Bevölkerung zu verſchiedenen Zeiten (Hume) nach- zudenken, den politiſchen Vorteil der Bevölkerungsdichtigkeit einzuſehen (die Populatio- niſten des 17. und 18. Jahrhunderts). Aber erſt ſeit die Kirchenbücher die Geburten, Eheſchließungen und Todesfälle verzeichneten, ſeit Süßmilch dieſes Material zum erſten Verſuche einer Bevölkerungslehre verdichtet, Malthus energiſch auf die Schattenſeiten einer zu raſchen Bevölkerungszunahme hingewieſen und die amtliche Statiſtik unſeres Jahrhunderts ſich auszubilden angefangen hatte, konnte von Quételet, Bernoulli, Wappäus an von einer wiſſenſchaftlichen Bevölkerungslehre geſprochen werden. Aus ihren Reſultaten haben wir hier das mitzuteilen, was als Grundlage einer zuſammen- hängenden volkswirtſchaftlichen Erkenntnis unentbehrlich iſt. Wir müſſen dabei verzichten, auf die Technik der Zahlengewinnung einzugehen; wir müſſen neben den geſicherten da und dort Schätzungszahlen zu Hülfe nehmen. Die ſtatiſtiſche Zahl iſt uns hier nur ein Hülfsmittel der Darſtellung, nicht Selbſtzweck, wie in den ſtatiſtiſchen Werken. 69. Die Altersverhältniſſe. Aus dem natürlichen Ablauf des menſchlichen Lebens ergiebt ſich die Thatſache, daß wir keinen Stamm und kein Volk treffen, die ſich nicht aus älteren, erwachſenen und jüngeren Individuen zuſammenſetzten. Alle menſch- liche Geſellſchaft iſt dem Generationswechſel unterworfen, zeigt, wie jeder Baum, eine Summe von verſchiedenen Altersringen, iſt damit in jedem folgenden Jahre aus teil- weiſe anderen Individuen zuſammengeſetzt. Schon Süßmilch erſchien dieſe Ordnung, die er mit dem Vorbeimarſch eines Regiments Soldaten vor ſeinem Fürſten vergleicht, als die größte Offenbarung der göttlichen Vorſehung. Der Ewige, ruft er, läſſet das Heer des menſchlichen Geſchlechtes in feſt beſtimmten Abteilungen aus dem Nichts erſcheinen; ſie folgen ſich, werden in jedem Stadium ausgemuſtert; die Abteilungen werden immer kleiner, bis ſie nach Erreichung des einem jeden geſteckten Zieles wieder verſchwinden. Keine Erſcheinung der menſchlichen Geſellſchaft, des Staates und der Volkswirt- ſchaft iſt verſtändlich ohne den Gedanken dieſes ſteten Generationswechſels. Auch alles

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/175>, abgerufen am 19.04.2024.