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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
Hand bedurfte. Der Mann mußte die Zügel der Herrschaft im Hause ergreifen, der
Frauen und Knechte gekauft hatte und mit ihnen wirtschaftete. Man könnte auch an
den Sieg der monogamischen Beziehungen denken, welcher den Wunsch des dauernden
Zusammenlebens von Mann und Frau gesteigert hätte. Aber vielfach verband die
patriarchalische Familie sich zunächst mit Polygamie. Ihre älteren Züge sind hart und
roh. Es handelte sich jedenfalls ebenso um die Ausbildung von Herrschaftsverhältnissen
über Nichtverwandte, über Knechte und Sklaven, wie um die von Verwandtschafts-
verhältnissen. Paterfamilias, so definiert Ulpian, appellatur qui in domo dominium
habet.
Maine sagt, wo wir die väterliche Gewalt ausgebildet finden, können wir
stets zweifeln, ob der Zusammenhalt mehr auf dem Blute oder der Gewalt beruhte.
Das Vaterrecht entstand in den Zeiten, da Vieh- und Menschenraub an der Tages-
ordnung, da Frauenraub nicht selten war. Die erbeutete Frau gehörte dem Manne,
sie wohnte bei ihm, sie hatte keine Gens, keine Brüder in der Nähe, die sie schützten.
Eine Verschlechterung in der Stellung der Frau begleitet die Entstehung der patriarcha-
lischen Familie und hat sehr lange Zeit gedauert. Wer mehr Weiber raubte oder kaufte,
wollte nicht bloß den Genuß, sondern die Mehrung der Arbeitskräfte. Der Weiberkauf
bildet sich allgemein aus, weil die herangewachsenen Töchter dem Vater wertvolle Ar-
beiterinnen sind, die er nicht ohne Entgelt hergiebt. Kann der Bräutigam nicht Vieh
oder anderen Geldeswert bieten, können nicht zwei Familien die Töchter tauschen, so
muß der besitzlose Bräutigam als Knecht ins Haus des Schwiegervaters ziehen. Die
Kinder werden wie die Frau und die Knechte vom Vater als Besitz geschätzt; die Söhne
gelten als Segen Gottes. Wer mit 70 auftreten kann, wie Gideon in Israel, erscheint
damit schon als ein mächtiger, gefürchteter Mann.

Ist so die fortschreitende wirtschaftliche Entwickelung und Differenzierung der
Menschen, das Bedürfnis festerer Organisation im kleinsten Kreise das Treibende in der
Entstehung der patriarchalischen Familie, so waren doch die religiösen und sittlichen
Vorstellungen nicht minder beteiligt, die neuen Verhältnisse in Sitte und Recht zu
fixieren, ihnen den geistigen Stempel aufzudrücken. Aller Fortschritt der Erziehung
beruhte auf einer starken Vatergewalt. Die Ahnenverehrung, das System der Toten-
opfer, die nur der Sohn dem Vater darbringen darf, das Gefühl des Zusammenhanges
mit den Ahnen, der Verantwortlichkeit vor ihnen konnte, wie alle höheren Religions-
systeme, nur bei Völkern mit Vaterrecht entstehen. Der Gottesbegriff entlehnt noch heute
seine Vorstellungen vom Verhältnis des strengen, gerechten Vaters zu seinen Kindern.
Nicht unwichtig ist es anzumerken, daß, wo heute Islam und Christentum eindringen,
sie das Mutterrecht auflösen, das Vaterrecht sich ausbildet.

Die patriarchalische Familie ist ein Institut der Sitte und des Rechtes zur legi-
timen Kindererzeugung und zur gemeinsamen Wirtschaftsführung; gemeinsames Arbeiten
und Produzieren unter der Herrschaft des Vaters für die Familie, gemeinsames Essen
und Trinken, gemeinsame Geselligkeit, das bindet die Weiber, die Kinder, die Knechte
und Mägde mit dem Patriarchen zusammen. Je mehr bei der Arbeit zusammenhielten,
und je dauernder sie zusammen wirkten, desto angesehener, reicher wurde der Patriarch.
Aber in der Natur der Familie und der Dauer der Generationen lagen doch enge, wenn
auch elastische Grenzen. Eine Mehrzahl von Weibern konnten immer nur die Vor-
nehmeren sich rauben und kaufen; eine starke Erwerbung und Benutzung von Sklaven
war nur kriegerischen Völkern zu bestimmter Zeit möglich. So handelte es sich für die
Mehrzahl aller Völker und Familien nur darum, ob und wie sich die Kinder und
Kindeskinder im Stammfamilienhause zusammenhalten lassen, ob im Todesfalle des
Patriarchen die bisher Zusammenlebenden auseinanderfallen oder zusammenbleiben, ob
nun der älteste Sohn oder ein gewählter Vorstand, wie in Indien oder in der slavischen
Zadruga, an die Spitze trete. Und schon von 5 und 10 die Familie auszudehnen auf
20, 30 oder gar 50 und 100 Mitglieder, war immer ein Kunststück socialer Ordnung
und Zucht, das nur den fähigeren Rassen bei einer bestimmten Höhe der Gesittung,
häufig auch nur den höheren Klassen, den mit einem gewissen Grundbesitz ausgestatteten,
ganz gelang.

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Hand bedurfte. Der Mann mußte die Zügel der Herrſchaft im Hauſe ergreifen, der
Frauen und Knechte gekauft hatte und mit ihnen wirtſchaftete. Man könnte auch an
den Sieg der monogamiſchen Beziehungen denken, welcher den Wunſch des dauernden
Zuſammenlebens von Mann und Frau geſteigert hätte. Aber vielfach verband die
patriarchaliſche Familie ſich zunächſt mit Polygamie. Ihre älteren Züge ſind hart und
roh. Es handelte ſich jedenfalls ebenſo um die Ausbildung von Herrſchaftsverhältniſſen
über Nichtverwandte, über Knechte und Sklaven, wie um die von Verwandtſchafts-
verhältniſſen. Paterfamilias, ſo definiert Ulpian, appellatur qui in domo dominium
habet.
Maine ſagt, wo wir die väterliche Gewalt ausgebildet finden, können wir
ſtets zweifeln, ob der Zuſammenhalt mehr auf dem Blute oder der Gewalt beruhte.
Das Vaterrecht entſtand in den Zeiten, da Vieh- und Menſchenraub an der Tages-
ordnung, da Frauenraub nicht ſelten war. Die erbeutete Frau gehörte dem Manne,
ſie wohnte bei ihm, ſie hatte keine Gens, keine Brüder in der Nähe, die ſie ſchützten.
Eine Verſchlechterung in der Stellung der Frau begleitet die Entſtehung der patriarcha-
liſchen Familie und hat ſehr lange Zeit gedauert. Wer mehr Weiber raubte oder kaufte,
wollte nicht bloß den Genuß, ſondern die Mehrung der Arbeitskräfte. Der Weiberkauf
bildet ſich allgemein aus, weil die herangewachſenen Töchter dem Vater wertvolle Ar-
beiterinnen ſind, die er nicht ohne Entgelt hergiebt. Kann der Bräutigam nicht Vieh
oder anderen Geldeswert bieten, können nicht zwei Familien die Töchter tauſchen, ſo
muß der beſitzloſe Bräutigam als Knecht ins Haus des Schwiegervaters ziehen. Die
Kinder werden wie die Frau und die Knechte vom Vater als Beſitz geſchätzt; die Söhne
gelten als Segen Gottes. Wer mit 70 auftreten kann, wie Gideon in Israel, erſcheint
damit ſchon als ein mächtiger, gefürchteter Mann.

Iſt ſo die fortſchreitende wirtſchaftliche Entwickelung und Differenzierung der
Menſchen, das Bedürfnis feſterer Organiſation im kleinſten Kreiſe das Treibende in der
Entſtehung der patriarchaliſchen Familie, ſo waren doch die religiöſen und ſittlichen
Vorſtellungen nicht minder beteiligt, die neuen Verhältniſſe in Sitte und Recht zu
fixieren, ihnen den geiſtigen Stempel aufzudrücken. Aller Fortſchritt der Erziehung
beruhte auf einer ſtarken Vatergewalt. Die Ahnenverehrung, das Syſtem der Toten-
opfer, die nur der Sohn dem Vater darbringen darf, das Gefühl des Zuſammenhanges
mit den Ahnen, der Verantwortlichkeit vor ihnen konnte, wie alle höheren Religions-
ſyſteme, nur bei Völkern mit Vaterrecht entſtehen. Der Gottesbegriff entlehnt noch heute
ſeine Vorſtellungen vom Verhältnis des ſtrengen, gerechten Vaters zu ſeinen Kindern.
Nicht unwichtig iſt es anzumerken, daß, wo heute Islam und Chriſtentum eindringen,
ſie das Mutterrecht auflöſen, das Vaterrecht ſich ausbildet.

Die patriarchaliſche Familie iſt ein Inſtitut der Sitte und des Rechtes zur legi-
timen Kindererzeugung und zur gemeinſamen Wirtſchaftsführung; gemeinſames Arbeiten
und Produzieren unter der Herrſchaft des Vaters für die Familie, gemeinſames Eſſen
und Trinken, gemeinſame Geſelligkeit, das bindet die Weiber, die Kinder, die Knechte
und Mägde mit dem Patriarchen zuſammen. Je mehr bei der Arbeit zuſammenhielten,
und je dauernder ſie zuſammen wirkten, deſto angeſehener, reicher wurde der Patriarch.
Aber in der Natur der Familie und der Dauer der Generationen lagen doch enge, wenn
auch elaſtiſche Grenzen. Eine Mehrzahl von Weibern konnten immer nur die Vor-
nehmeren ſich rauben und kaufen; eine ſtarke Erwerbung und Benutzung von Sklaven
war nur kriegeriſchen Völkern zu beſtimmter Zeit möglich. So handelte es ſich für die
Mehrzahl aller Völker und Familien nur darum, ob und wie ſich die Kinder und
Kindeskinder im Stammfamilienhauſe zuſammenhalten laſſen, ob im Todesfalle des
Patriarchen die bisher Zuſammenlebenden auseinanderfallen oder zuſammenbleiben, ob
nun der älteſte Sohn oder ein gewählter Vorſtand, wie in Indien oder in der ſlaviſchen
Zadruga, an die Spitze trete. Und ſchon von 5 und 10 die Familie auszudehnen auf
20, 30 oder gar 50 und 100 Mitglieder, war immer ein Kunſtſtück ſocialer Ordnung
und Zucht, das nur den fähigeren Raſſen bei einer beſtimmten Höhe der Geſittung,
häufig auch nur den höheren Klaſſen, den mit einem gewiſſen Grundbeſitz ausgeſtatteten,
ganz gelang.

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[240/0256] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. Hand bedurfte. Der Mann mußte die Zügel der Herrſchaft im Hauſe ergreifen, der Frauen und Knechte gekauft hatte und mit ihnen wirtſchaftete. Man könnte auch an den Sieg der monogamiſchen Beziehungen denken, welcher den Wunſch des dauernden Zuſammenlebens von Mann und Frau geſteigert hätte. Aber vielfach verband die patriarchaliſche Familie ſich zunächſt mit Polygamie. Ihre älteren Züge ſind hart und roh. Es handelte ſich jedenfalls ebenſo um die Ausbildung von Herrſchaftsverhältniſſen über Nichtverwandte, über Knechte und Sklaven, wie um die von Verwandtſchafts- verhältniſſen. Paterfamilias, ſo definiert Ulpian, appellatur qui in domo dominium habet. Maine ſagt, wo wir die väterliche Gewalt ausgebildet finden, können wir ſtets zweifeln, ob der Zuſammenhalt mehr auf dem Blute oder der Gewalt beruhte. Das Vaterrecht entſtand in den Zeiten, da Vieh- und Menſchenraub an der Tages- ordnung, da Frauenraub nicht ſelten war. Die erbeutete Frau gehörte dem Manne, ſie wohnte bei ihm, ſie hatte keine Gens, keine Brüder in der Nähe, die ſie ſchützten. Eine Verſchlechterung in der Stellung der Frau begleitet die Entſtehung der patriarcha- liſchen Familie und hat ſehr lange Zeit gedauert. Wer mehr Weiber raubte oder kaufte, wollte nicht bloß den Genuß, ſondern die Mehrung der Arbeitskräfte. Der Weiberkauf bildet ſich allgemein aus, weil die herangewachſenen Töchter dem Vater wertvolle Ar- beiterinnen ſind, die er nicht ohne Entgelt hergiebt. Kann der Bräutigam nicht Vieh oder anderen Geldeswert bieten, können nicht zwei Familien die Töchter tauſchen, ſo muß der beſitzloſe Bräutigam als Knecht ins Haus des Schwiegervaters ziehen. Die Kinder werden wie die Frau und die Knechte vom Vater als Beſitz geſchätzt; die Söhne gelten als Segen Gottes. Wer mit 70 auftreten kann, wie Gideon in Israel, erſcheint damit ſchon als ein mächtiger, gefürchteter Mann. Iſt ſo die fortſchreitende wirtſchaftliche Entwickelung und Differenzierung der Menſchen, das Bedürfnis feſterer Organiſation im kleinſten Kreiſe das Treibende in der Entſtehung der patriarchaliſchen Familie, ſo waren doch die religiöſen und ſittlichen Vorſtellungen nicht minder beteiligt, die neuen Verhältniſſe in Sitte und Recht zu fixieren, ihnen den geiſtigen Stempel aufzudrücken. Aller Fortſchritt der Erziehung beruhte auf einer ſtarken Vatergewalt. Die Ahnenverehrung, das Syſtem der Toten- opfer, die nur der Sohn dem Vater darbringen darf, das Gefühl des Zuſammenhanges mit den Ahnen, der Verantwortlichkeit vor ihnen konnte, wie alle höheren Religions- ſyſteme, nur bei Völkern mit Vaterrecht entſtehen. Der Gottesbegriff entlehnt noch heute ſeine Vorſtellungen vom Verhältnis des ſtrengen, gerechten Vaters zu ſeinen Kindern. Nicht unwichtig iſt es anzumerken, daß, wo heute Islam und Chriſtentum eindringen, ſie das Mutterrecht auflöſen, das Vaterrecht ſich ausbildet. Die patriarchaliſche Familie iſt ein Inſtitut der Sitte und des Rechtes zur legi- timen Kindererzeugung und zur gemeinſamen Wirtſchaftsführung; gemeinſames Arbeiten und Produzieren unter der Herrſchaft des Vaters für die Familie, gemeinſames Eſſen und Trinken, gemeinſame Geſelligkeit, das bindet die Weiber, die Kinder, die Knechte und Mägde mit dem Patriarchen zuſammen. Je mehr bei der Arbeit zuſammenhielten, und je dauernder ſie zuſammen wirkten, deſto angeſehener, reicher wurde der Patriarch. Aber in der Natur der Familie und der Dauer der Generationen lagen doch enge, wenn auch elaſtiſche Grenzen. Eine Mehrzahl von Weibern konnten immer nur die Vor- nehmeren ſich rauben und kaufen; eine ſtarke Erwerbung und Benutzung von Sklaven war nur kriegeriſchen Völkern zu beſtimmter Zeit möglich. So handelte es ſich für die Mehrzahl aller Völker und Familien nur darum, ob und wie ſich die Kinder und Kindeskinder im Stammfamilienhauſe zuſammenhalten laſſen, ob im Todesfalle des Patriarchen die bisher Zuſammenlebenden auseinanderfallen oder zuſammenbleiben, ob nun der älteſte Sohn oder ein gewählter Vorſtand, wie in Indien oder in der ſlaviſchen Zadruga, an die Spitze trete. Und ſchon von 5 und 10 die Familie auszudehnen auf 20, 30 oder gar 50 und 100 Mitglieder, war immer ein Kunſtſtück ſocialer Ordnung und Zucht, das nur den fähigeren Raſſen bei einer beſtimmten Höhe der Geſittung, häufig auch nur den höheren Klaſſen, den mit einem gewiſſen Grundbeſitz ausgeſtatteten, ganz gelang.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/256>, abgerufen am 29.03.2024.