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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
Morgengabe vom Manne bedacht, steigt dadurch an Achtung und Selbständigkeit.
Ihre Verstoßung wird erschwert. Das ursprüngliche Gewaltverhältnis wandelt sich in
ein sittliches, fürs Leben geschlossenes Ehebündnis um. Die Monogamie wird schon
von Menu und Zoroaster empfohlen, bei den Griechen ist sie die, freilich durch das
Hetärentum verunzierte, überwiegende Sitte, bei den Römern Gesetz; das Christentum
verhilft ihr definitiv zum Siege.

Die Kinder, welche in ältester Zeit in Liebe nur der Mutter anhingen, welche
der Mann behandelte wie junges, gezüchtetes Vieh, welche er töten und verkaufen konnte,
treten nun auch zum früher ihnen ferner stehenden Vater, als klar bewußte Fortsetzer seines
Blutes, in ein Verhältnis der Liebe und Sympathie, der Treue und der Verehrung.
Der Kindesmord verschwindet, wird zuletzt gesetzlich verboten, der Kinderverkauf beschränkt
sich auf Notfälle, die Verheiratung der Tochter hört auf ein Geschäft zu sein; die harte
Ausnutzung der Kinder für die Wirtschaft verwandelt sich in jene harte, zu Zeiten des
Mutterrechtes noch fast ganz fehlende Erziehung, welche Ehrfurcht vor dem Alter und
vor den Eltern predigt, welche das Fundament wird für die feste Überlieferung aller
sittlichen und praktischen Errungenschaften der Menschheit von Generation zu Generation.

Indem die alten Eltern nicht mehr totgeschlagen, sondern als ein Gegenstand der
Ehrfurcht behandelt, als die Quelle aller Weisheit verehrt werden, indem in den
patriarchalischen Familien der Sinn für Genealogien entsteht, indem die Bilder der
Ahnen am Hausaltar aufgestellt werden, erhält das Leben in der Familie jene ideale
Weihe, entsteht jene Versittlichung der Beziehungen der Gatten und Kinder unter-
einander, welche die patriarchalische Familienverfassung allen folgenden Jahrhunderten
überliefert hat.

Die Fürsorge der Eltern für die Kinder wird eine unendlich umfassendere, nicht
bloß einige Jahre andauernde, wie zur Zeit des Mutterrechtes; die Fürsorge der Kinder
für die alten Eltern entsteht jetzt erst. Die maßlose Kindersterblichkeit nimmt nach und
nach ab; die Lebensdauer der Eltern über die Kindererzeugung hinaus wächst, und damit
beginnt, wie H. Spencer zeigt, erst die rechte Befähigung der Menschen zu den höheren
Kulturleistungen. Die Summe sympathischer Bande zwischen Eltern und Kindern und
zwischen Verwandten überhaupt, sowie die daraus entspringenden höchsten und dauer-
haftesten Freuden nehmen in der patriarchalischen Familie gegenüber den älteren Zu-
ständen wesentlich zu. Die früher nur nach der Mutterseite gepflegte Verwandtschaft
wird jetzt nach Vater- und Mutterseite hin gleichmäßig anerkannt, verknüpft deshalb in
sympathischer Weise einen viel größeren Kreis von Stammesgenossen.

In wirtschaftlicher Beziehung ist die patriarchalische Familie ganz anders leistungs-
fähig als die Muttergruppe und als die Gens. Die Muttergruppe hatte keinen erheb-
lichen Besitz, keine dauernde Existenz gehabt. Die patriarchalische Familie ist hierin ihr
Gegenteil; die väterliche Gewalt und der Besitz geben ihr den festen, für Generationen
sich erhaltenden Mittelpunkt. Die Gens war eine Verknüpfung von Brüdern und
Schwestern und Schwesterkindern zu einzelnen Zwecken; die Familie verknüpft eine kleine
Zahl Verwandter und Beherrschter viel enger für alle Zwecke des Lebens; sie erzeugt
eine sehr viel intensivere Gemeinwirtschaft, sie schafft die natürlichste, systematisch und
einheitlich geleitete Arbeitsteilung, die vorher überhaupt kaum vorhanden ist; sie
ermöglicht erst die richtige Verwertung jeder Arbeitskraft an der rechten Stelle und
sichert durch den für rohe Menschen unentbehrlichen Arbeitszwang zum erstenmale
die Überwindung der natürlichen Faulheit; sie ist zugleich die einfachste Art, für
Kranke, Alte, Sieche, Gebrechliche zu sorgen. Die Wirtschaft der patriarchalischen Familie
umfaßt die ganze Produktion, die Sorge für Wohnung, für Kleidung, für Speise und
Trank, die Herrichtung für den Verbrauch, kurz den ganzen Wirtschaftsprozeß von An-
fang bis zu Ende. In einer Zeit erheblicher technischer Fortschritte entstanden, die
aber noch keinen nennenswerten Verkehr, kein Geld, keinen bedeutenden Absatz kennt,
wird die Wirtschaft der Hirten- und Ackerbaufamilien wohl von Gentil-, Gemeinde- und
Stammesgenossen in diesem und jenem noch unterstützt, ist von den Ordnungen der
Verbände abhängig, aber sie ist doch wirtschaftlich in der Hauptsache selbständig, sie

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Morgengabe vom Manne bedacht, ſteigt dadurch an Achtung und Selbſtändigkeit.
Ihre Verſtoßung wird erſchwert. Das urſprüngliche Gewaltverhältnis wandelt ſich in
ein ſittliches, fürs Leben geſchloſſenes Ehebündnis um. Die Monogamie wird ſchon
von Menu und Zoroaſter empfohlen, bei den Griechen iſt ſie die, freilich durch das
Hetärentum verunzierte, überwiegende Sitte, bei den Römern Geſetz; das Chriſtentum
verhilft ihr definitiv zum Siege.

Die Kinder, welche in älteſter Zeit in Liebe nur der Mutter anhingen, welche
der Mann behandelte wie junges, gezüchtetes Vieh, welche er töten und verkaufen konnte,
treten nun auch zum früher ihnen ferner ſtehenden Vater, als klar bewußte Fortſetzer ſeines
Blutes, in ein Verhältnis der Liebe und Sympathie, der Treue und der Verehrung.
Der Kindesmord verſchwindet, wird zuletzt geſetzlich verboten, der Kinderverkauf beſchränkt
ſich auf Notfälle, die Verheiratung der Tochter hört auf ein Geſchäft zu ſein; die harte
Ausnutzung der Kinder für die Wirtſchaft verwandelt ſich in jene harte, zu Zeiten des
Mutterrechtes noch faſt ganz fehlende Erziehung, welche Ehrfurcht vor dem Alter und
vor den Eltern predigt, welche das Fundament wird für die feſte Überlieferung aller
ſittlichen und praktiſchen Errungenſchaften der Menſchheit von Generation zu Generation.

Indem die alten Eltern nicht mehr totgeſchlagen, ſondern als ein Gegenſtand der
Ehrfurcht behandelt, als die Quelle aller Weisheit verehrt werden, indem in den
patriarchaliſchen Familien der Sinn für Genealogien entſteht, indem die Bilder der
Ahnen am Hausaltar aufgeſtellt werden, erhält das Leben in der Familie jene ideale
Weihe, entſteht jene Verſittlichung der Beziehungen der Gatten und Kinder unter-
einander, welche die patriarchaliſche Familienverfaſſung allen folgenden Jahrhunderten
überliefert hat.

Die Fürſorge der Eltern für die Kinder wird eine unendlich umfaſſendere, nicht
bloß einige Jahre andauernde, wie zur Zeit des Mutterrechtes; die Fürſorge der Kinder
für die alten Eltern entſteht jetzt erſt. Die maßloſe Kinderſterblichkeit nimmt nach und
nach ab; die Lebensdauer der Eltern über die Kindererzeugung hinaus wächſt, und damit
beginnt, wie H. Spencer zeigt, erſt die rechte Befähigung der Menſchen zu den höheren
Kulturleiſtungen. Die Summe ſympathiſcher Bande zwiſchen Eltern und Kindern und
zwiſchen Verwandten überhaupt, ſowie die daraus entſpringenden höchſten und dauer-
hafteſten Freuden nehmen in der patriarchaliſchen Familie gegenüber den älteren Zu-
ſtänden weſentlich zu. Die früher nur nach der Mutterſeite gepflegte Verwandtſchaft
wird jetzt nach Vater- und Mutterſeite hin gleichmäßig anerkannt, verknüpft deshalb in
ſympathiſcher Weiſe einen viel größeren Kreis von Stammesgenoſſen.

In wirtſchaftlicher Beziehung iſt die patriarchaliſche Familie ganz anders leiſtungs-
fähig als die Muttergruppe und als die Gens. Die Muttergruppe hatte keinen erheb-
lichen Beſitz, keine dauernde Exiſtenz gehabt. Die patriarchaliſche Familie iſt hierin ihr
Gegenteil; die väterliche Gewalt und der Beſitz geben ihr den feſten, für Generationen
ſich erhaltenden Mittelpunkt. Die Gens war eine Verknüpfung von Brüdern und
Schweſtern und Schweſterkindern zu einzelnen Zwecken; die Familie verknüpft eine kleine
Zahl Verwandter und Beherrſchter viel enger für alle Zwecke des Lebens; ſie erzeugt
eine ſehr viel intenſivere Gemeinwirtſchaft, ſie ſchafft die natürlichſte, ſyſtematiſch und
einheitlich geleitete Arbeitsteilung, die vorher überhaupt kaum vorhanden iſt; ſie
ermöglicht erſt die richtige Verwertung jeder Arbeitskraft an der rechten Stelle und
ſichert durch den für rohe Menſchen unentbehrlichen Arbeitszwang zum erſtenmale
die Überwindung der natürlichen Faulheit; ſie iſt zugleich die einfachſte Art, für
Kranke, Alte, Sieche, Gebrechliche zu ſorgen. Die Wirtſchaft der patriarchaliſchen Familie
umfaßt die ganze Produktion, die Sorge für Wohnung, für Kleidung, für Speiſe und
Trank, die Herrichtung für den Verbrauch, kurz den ganzen Wirtſchaftsprozeß von An-
fang bis zu Ende. In einer Zeit erheblicher techniſcher Fortſchritte entſtanden, die
aber noch keinen nennenswerten Verkehr, kein Geld, keinen bedeutenden Abſatz kennt,
wird die Wirtſchaft der Hirten- und Ackerbaufamilien wohl von Gentil-, Gemeinde- und
Stammesgenoſſen in dieſem und jenem noch unterſtützt, iſt von den Ordnungen der
Verbände abhängig, aber ſie iſt doch wirtſchaftlich in der Hauptſache ſelbſtändig, ſie

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[242/0258] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. Morgengabe vom Manne bedacht, ſteigt dadurch an Achtung und Selbſtändigkeit. Ihre Verſtoßung wird erſchwert. Das urſprüngliche Gewaltverhältnis wandelt ſich in ein ſittliches, fürs Leben geſchloſſenes Ehebündnis um. Die Monogamie wird ſchon von Menu und Zoroaſter empfohlen, bei den Griechen iſt ſie die, freilich durch das Hetärentum verunzierte, überwiegende Sitte, bei den Römern Geſetz; das Chriſtentum verhilft ihr definitiv zum Siege. Die Kinder, welche in älteſter Zeit in Liebe nur der Mutter anhingen, welche der Mann behandelte wie junges, gezüchtetes Vieh, welche er töten und verkaufen konnte, treten nun auch zum früher ihnen ferner ſtehenden Vater, als klar bewußte Fortſetzer ſeines Blutes, in ein Verhältnis der Liebe und Sympathie, der Treue und der Verehrung. Der Kindesmord verſchwindet, wird zuletzt geſetzlich verboten, der Kinderverkauf beſchränkt ſich auf Notfälle, die Verheiratung der Tochter hört auf ein Geſchäft zu ſein; die harte Ausnutzung der Kinder für die Wirtſchaft verwandelt ſich in jene harte, zu Zeiten des Mutterrechtes noch faſt ganz fehlende Erziehung, welche Ehrfurcht vor dem Alter und vor den Eltern predigt, welche das Fundament wird für die feſte Überlieferung aller ſittlichen und praktiſchen Errungenſchaften der Menſchheit von Generation zu Generation. Indem die alten Eltern nicht mehr totgeſchlagen, ſondern als ein Gegenſtand der Ehrfurcht behandelt, als die Quelle aller Weisheit verehrt werden, indem in den patriarchaliſchen Familien der Sinn für Genealogien entſteht, indem die Bilder der Ahnen am Hausaltar aufgeſtellt werden, erhält das Leben in der Familie jene ideale Weihe, entſteht jene Verſittlichung der Beziehungen der Gatten und Kinder unter- einander, welche die patriarchaliſche Familienverfaſſung allen folgenden Jahrhunderten überliefert hat. Die Fürſorge der Eltern für die Kinder wird eine unendlich umfaſſendere, nicht bloß einige Jahre andauernde, wie zur Zeit des Mutterrechtes; die Fürſorge der Kinder für die alten Eltern entſteht jetzt erſt. Die maßloſe Kinderſterblichkeit nimmt nach und nach ab; die Lebensdauer der Eltern über die Kindererzeugung hinaus wächſt, und damit beginnt, wie H. Spencer zeigt, erſt die rechte Befähigung der Menſchen zu den höheren Kulturleiſtungen. Die Summe ſympathiſcher Bande zwiſchen Eltern und Kindern und zwiſchen Verwandten überhaupt, ſowie die daraus entſpringenden höchſten und dauer- hafteſten Freuden nehmen in der patriarchaliſchen Familie gegenüber den älteren Zu- ſtänden weſentlich zu. Die früher nur nach der Mutterſeite gepflegte Verwandtſchaft wird jetzt nach Vater- und Mutterſeite hin gleichmäßig anerkannt, verknüpft deshalb in ſympathiſcher Weiſe einen viel größeren Kreis von Stammesgenoſſen. In wirtſchaftlicher Beziehung iſt die patriarchaliſche Familie ganz anders leiſtungs- fähig als die Muttergruppe und als die Gens. Die Muttergruppe hatte keinen erheb- lichen Beſitz, keine dauernde Exiſtenz gehabt. Die patriarchaliſche Familie iſt hierin ihr Gegenteil; die väterliche Gewalt und der Beſitz geben ihr den feſten, für Generationen ſich erhaltenden Mittelpunkt. Die Gens war eine Verknüpfung von Brüdern und Schweſtern und Schweſterkindern zu einzelnen Zwecken; die Familie verknüpft eine kleine Zahl Verwandter und Beherrſchter viel enger für alle Zwecke des Lebens; ſie erzeugt eine ſehr viel intenſivere Gemeinwirtſchaft, ſie ſchafft die natürlichſte, ſyſtematiſch und einheitlich geleitete Arbeitsteilung, die vorher überhaupt kaum vorhanden iſt; ſie ermöglicht erſt die richtige Verwertung jeder Arbeitskraft an der rechten Stelle und ſichert durch den für rohe Menſchen unentbehrlichen Arbeitszwang zum erſtenmale die Überwindung der natürlichen Faulheit; ſie iſt zugleich die einfachſte Art, für Kranke, Alte, Sieche, Gebrechliche zu ſorgen. Die Wirtſchaft der patriarchaliſchen Familie umfaßt die ganze Produktion, die Sorge für Wohnung, für Kleidung, für Speiſe und Trank, die Herrichtung für den Verbrauch, kurz den ganzen Wirtſchaftsprozeß von An- fang bis zu Ende. In einer Zeit erheblicher techniſcher Fortſchritte entſtanden, die aber noch keinen nennenswerten Verkehr, kein Geld, keinen bedeutenden Abſatz kennt, wird die Wirtſchaft der Hirten- und Ackerbaufamilien wohl von Gentil-, Gemeinde- und Stammesgenoſſen in dieſem und jenem noch unterſtützt, iſt von den Ordnungen der Verbände abhängig, aber ſie iſt doch wirtſchaftlich in der Hauptſache ſelbſtändig, ſie

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/258>, abgerufen am 24.04.2024.