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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
zu der Stadt gehörigem Landgebiete. Wir haben uns die griechischen Städte vor der
hellenistischen Zeit meist nicht über 2--10000 Seelen, aber auch die zugehörigen Gebiete
mit der Stadt meist nicht größer als 30--150000 Seelen zu denken; nur Athen und
Syrakus waren damals schon Städte von etwa 100000 Seelen. Kreta hatte zur Zeit
seiner Blüte auf 190 Geviertmeilen 100 Stadtbezirke, also hatte einer durchschnittlich
nur 1,9. Die Stadtstaaten waren Kantone, ihre Wirtschaft war eine Stadtwirtschaft;
das ganze Volk wurde als Stadtvolk bezeichnet; die Anlage und der Bau der Stadt
war das Wichtigste für die ganze Volksgemeinde; die Burg, die Tempel, die Markt-
hallen, die Straßen, die Wasserleitungen, die Häfen waren künstlerische und technische,
oft viel bewunderte Werke großer Meister.

Mit König Philipp und Alexander, sowie unter ihren Nachfolgern breitet sich
über Makedonien und den ganzen Orient eine hellenistische, systematisch geförderte
Städtegründung aus: in den weit ausgedehnten Reichen entstehen zahlreichere, teilweise
die altgriechischen Städte weit übertreffende Großstädte. Die konsularische Provinz Asien
hatte zur Römerzeit 500 Städte oder Stadtbezirke. Alexandria stieg auf 5--700000,
Seleukia auf 600000, Antiochia, Pergamum und manche andere Städte auf über
100000 Seelen.

Die italische Entwickelung war der griechischen entsprechend. Die Italiker kamen
wahrscheinlich schon aus der Poebene mit der Kunst des Feldmessens, Lager- und Städte-
bauens nach Mittelitalien (Nissen). Die Römer kennen eine historische Entwickelung
nur ab urbe condita. Die städtisch-kriegerische Konzentration ihres Gemeinwesens hat
sie an die Spitze des Latinerbundes, dann der übrigen italischen Städtegebiete, endlich
des ganzen Erdkreises gebracht. Das römische Reich war von Anfang bis zu Ende nie
etwas wesentlich anderes als ein Städtebund mit führender Spitze; die verschiedenen,
nach innen sämtlich eine gewisse Selbständigkeit und eigene Verwaltung genießenden
Stadtbezirke waren nur je nach den verschiedenen Klassen von städtischen Rechten in
ihrer auswärtigen Politik, ihrem Gerichtswesen, ihrem Heerwesen, ihrem Steuerwesen der
römischen Herrschaft abgestuft unterthan. Nach der Eroberung Spaniens, Galliens, Afrikas,
Noricums, Illyriens, Daciens war es die Hauptaufgabe der römischen Politik, überall
an Stelle der alten ländlichen Stammesverfassung die höhere Stadtbezirksverfassung zu
setzen, eine Anzahl kleiner Stämme zu Stadtgebieten zusammenzulegen, die höheren
Klassen für die Reize der städtischen Kultur zu gewinnen, und so in den zu Städten
auswachsenden Lagern wie in den zu Städten und Bezirksmittelpunkten erhobenen
größeren befestigten Orten eine geordnete lokale Administration zu schaffen. Vor allem
die ersten zwei bis drei Jahrhunderte der Kaiserzeit waren dieser großen volkswirtschaft-
lichen und administrativen Aufgabe gewidmet. In der spanischen Provinz Tarraconensis
gab es in der älteren Kaiserzeit neben 179 Städten und Stadtbezirken noch 114 länd-
liche Bezirke, als Ptolomäus im 2. Jahrhundert n. Chr. schrieb, 248 Stadt- auf
27 Landbezirke. Gallien hatte unter Augustus 64, später 125 Stadtbezirke; das kar-
thagische und das mauretanische Gebiet waren je auf 300 Städte gekommen.

Überall siegten dabei die hellenisch-italischen Sitten: alle großen Grundbesitzer,
alle reichen Leute des Gebietes zogen nach der Stadt; alles platte Land, alle Dörfer
und Weiler gehörten zum Stadtbezirke, standen unter den städtischen Magistraten. Mögen
die ländlichen Gemeinden meist ein Gemeindevermögen, eigene Sakra, jährlich wechselnde
Ortsvorsteher, eine gewisse administrative Bedeutung gehabt haben, in allem Wichtigen
unterstand das platte Land den Stadtbeamten; die lokalen Allmenden sind wahrschein-
lich frühe in dem großen staatlichen ager publicus verschwunden.

Nachdem dieser Prozeß der Ausbildung von Städten als Spitzen der Bezirks-
verwaltung sich vollendet, nachdem in den großen Reichen der Diadochen und später
Roms ein Zustand der friedlichen, wirtschaftlichen Entwickelung und des großen Ver-
kehrs sich ausgebildet hatte, traten naturgemäß andere Ursachen für die Zunahme der
Städte mehr in den Vordergrund: Handel und Verkehr steigerten zumal an den Küsten
und Flüssen, an den großen Landstraßen und Straßenkreuzungen das Gedeihen; die
Gewerbe erblühten da und dort in den Städten; Kunst und Litteratur, Theater und

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
zu der Stadt gehörigem Landgebiete. Wir haben uns die griechiſchen Städte vor der
helleniſtiſchen Zeit meiſt nicht über 2—10000 Seelen, aber auch die zugehörigen Gebiete
mit der Stadt meiſt nicht größer als 30—150000 Seelen zu denken; nur Athen und
Syrakus waren damals ſchon Städte von etwa 100000 Seelen. Kreta hatte zur Zeit
ſeiner Blüte auf 190 Geviertmeilen 100 Stadtbezirke, alſo hatte einer durchſchnittlich
nur 1,9. Die Stadtſtaaten waren Kantone, ihre Wirtſchaft war eine Stadtwirtſchaft;
das ganze Volk wurde als Stadtvolk bezeichnet; die Anlage und der Bau der Stadt
war das Wichtigſte für die ganze Volksgemeinde; die Burg, die Tempel, die Markt-
hallen, die Straßen, die Waſſerleitungen, die Häfen waren künſtleriſche und techniſche,
oft viel bewunderte Werke großer Meiſter.

Mit König Philipp und Alexander, ſowie unter ihren Nachfolgern breitet ſich
über Makedonien und den ganzen Orient eine helleniſtiſche, ſyſtematiſch geförderte
Städtegründung aus: in den weit ausgedehnten Reichen entſtehen zahlreichere, teilweiſe
die altgriechiſchen Städte weit übertreffende Großſtädte. Die konſulariſche Provinz Aſien
hatte zur Römerzeit 500 Städte oder Stadtbezirke. Alexandria ſtieg auf 5—700000,
Seleukia auf 600000, Antiochia, Pergamum und manche andere Städte auf über
100000 Seelen.

Die italiſche Entwickelung war der griechiſchen entſprechend. Die Italiker kamen
wahrſcheinlich ſchon aus der Poebene mit der Kunſt des Feldmeſſens, Lager- und Städte-
bauens nach Mittelitalien (Niſſen). Die Römer kennen eine hiſtoriſche Entwickelung
nur ab urbe condita. Die ſtädtiſch-kriegeriſche Konzentration ihres Gemeinweſens hat
ſie an die Spitze des Latinerbundes, dann der übrigen italiſchen Städtegebiete, endlich
des ganzen Erdkreiſes gebracht. Das römiſche Reich war von Anfang bis zu Ende nie
etwas weſentlich anderes als ein Städtebund mit führender Spitze; die verſchiedenen,
nach innen ſämtlich eine gewiſſe Selbſtändigkeit und eigene Verwaltung genießenden
Stadtbezirke waren nur je nach den verſchiedenen Klaſſen von ſtädtiſchen Rechten in
ihrer auswärtigen Politik, ihrem Gerichtsweſen, ihrem Heerweſen, ihrem Steuerweſen der
römiſchen Herrſchaft abgeſtuft unterthan. Nach der Eroberung Spaniens, Galliens, Afrikas,
Noricums, Illyriens, Daciens war es die Hauptaufgabe der römiſchen Politik, überall
an Stelle der alten ländlichen Stammesverfaſſung die höhere Stadtbezirksverfaſſung zu
ſetzen, eine Anzahl kleiner Stämme zu Stadtgebieten zuſammenzulegen, die höheren
Klaſſen für die Reize der ſtädtiſchen Kultur zu gewinnen, und ſo in den zu Städten
auswachſenden Lagern wie in den zu Städten und Bezirksmittelpunkten erhobenen
größeren befeſtigten Orten eine geordnete lokale Adminiſtration zu ſchaffen. Vor allem
die erſten zwei bis drei Jahrhunderte der Kaiſerzeit waren dieſer großen volkswirtſchaft-
lichen und adminiſtrativen Aufgabe gewidmet. In der ſpaniſchen Provinz Tarraconenſis
gab es in der älteren Kaiſerzeit neben 179 Städten und Stadtbezirken noch 114 länd-
liche Bezirke, als Ptolomäus im 2. Jahrhundert n. Chr. ſchrieb, 248 Stadt- auf
27 Landbezirke. Gallien hatte unter Auguſtus 64, ſpäter 125 Stadtbezirke; das kar-
thagiſche und das mauretaniſche Gebiet waren je auf 300 Städte gekommen.

Überall ſiegten dabei die helleniſch-italiſchen Sitten: alle großen Grundbeſitzer,
alle reichen Leute des Gebietes zogen nach der Stadt; alles platte Land, alle Dörfer
und Weiler gehörten zum Stadtbezirke, ſtanden unter den ſtädtiſchen Magiſtraten. Mögen
die ländlichen Gemeinden meiſt ein Gemeindevermögen, eigene Sakra, jährlich wechſelnde
Ortsvorſteher, eine gewiſſe adminiſtrative Bedeutung gehabt haben, in allem Wichtigen
unterſtand das platte Land den Stadtbeamten; die lokalen Allmenden ſind wahrſchein-
lich frühe in dem großen ſtaatlichen ager publicus verſchwunden.

Nachdem dieſer Prozeß der Ausbildung von Städten als Spitzen der Bezirks-
verwaltung ſich vollendet, nachdem in den großen Reichen der Diadochen und ſpäter
Roms ein Zuſtand der friedlichen, wirtſchaftlichen Entwickelung und des großen Ver-
kehrs ſich ausgebildet hatte, traten naturgemäß andere Urſachen für die Zunahme der
Städte mehr in den Vordergrund: Handel und Verkehr ſteigerten zumal an den Küſten
und Flüſſen, an den großen Landſtraßen und Straßenkreuzungen das Gedeihen; die
Gewerbe erblühten da und dort in den Städten; Kunſt und Litteratur, Theater und

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[258/0274] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. zu der Stadt gehörigem Landgebiete. Wir haben uns die griechiſchen Städte vor der helleniſtiſchen Zeit meiſt nicht über 2—10000 Seelen, aber auch die zugehörigen Gebiete mit der Stadt meiſt nicht größer als 30—150000 Seelen zu denken; nur Athen und Syrakus waren damals ſchon Städte von etwa 100000 Seelen. Kreta hatte zur Zeit ſeiner Blüte auf 190 Geviertmeilen 100 Stadtbezirke, alſo hatte einer durchſchnittlich nur 1,9. Die Stadtſtaaten waren Kantone, ihre Wirtſchaft war eine Stadtwirtſchaft; das ganze Volk wurde als Stadtvolk bezeichnet; die Anlage und der Bau der Stadt war das Wichtigſte für die ganze Volksgemeinde; die Burg, die Tempel, die Markt- hallen, die Straßen, die Waſſerleitungen, die Häfen waren künſtleriſche und techniſche, oft viel bewunderte Werke großer Meiſter. Mit König Philipp und Alexander, ſowie unter ihren Nachfolgern breitet ſich über Makedonien und den ganzen Orient eine helleniſtiſche, ſyſtematiſch geförderte Städtegründung aus: in den weit ausgedehnten Reichen entſtehen zahlreichere, teilweiſe die altgriechiſchen Städte weit übertreffende Großſtädte. Die konſulariſche Provinz Aſien hatte zur Römerzeit 500 Städte oder Stadtbezirke. Alexandria ſtieg auf 5—700000, Seleukia auf 600000, Antiochia, Pergamum und manche andere Städte auf über 100000 Seelen. Die italiſche Entwickelung war der griechiſchen entſprechend. Die Italiker kamen wahrſcheinlich ſchon aus der Poebene mit der Kunſt des Feldmeſſens, Lager- und Städte- bauens nach Mittelitalien (Niſſen). Die Römer kennen eine hiſtoriſche Entwickelung nur ab urbe condita. Die ſtädtiſch-kriegeriſche Konzentration ihres Gemeinweſens hat ſie an die Spitze des Latinerbundes, dann der übrigen italiſchen Städtegebiete, endlich des ganzen Erdkreiſes gebracht. Das römiſche Reich war von Anfang bis zu Ende nie etwas weſentlich anderes als ein Städtebund mit führender Spitze; die verſchiedenen, nach innen ſämtlich eine gewiſſe Selbſtändigkeit und eigene Verwaltung genießenden Stadtbezirke waren nur je nach den verſchiedenen Klaſſen von ſtädtiſchen Rechten in ihrer auswärtigen Politik, ihrem Gerichtsweſen, ihrem Heerweſen, ihrem Steuerweſen der römiſchen Herrſchaft abgeſtuft unterthan. Nach der Eroberung Spaniens, Galliens, Afrikas, Noricums, Illyriens, Daciens war es die Hauptaufgabe der römiſchen Politik, überall an Stelle der alten ländlichen Stammesverfaſſung die höhere Stadtbezirksverfaſſung zu ſetzen, eine Anzahl kleiner Stämme zu Stadtgebieten zuſammenzulegen, die höheren Klaſſen für die Reize der ſtädtiſchen Kultur zu gewinnen, und ſo in den zu Städten auswachſenden Lagern wie in den zu Städten und Bezirksmittelpunkten erhobenen größeren befeſtigten Orten eine geordnete lokale Adminiſtration zu ſchaffen. Vor allem die erſten zwei bis drei Jahrhunderte der Kaiſerzeit waren dieſer großen volkswirtſchaft- lichen und adminiſtrativen Aufgabe gewidmet. In der ſpaniſchen Provinz Tarraconenſis gab es in der älteren Kaiſerzeit neben 179 Städten und Stadtbezirken noch 114 länd- liche Bezirke, als Ptolomäus im 2. Jahrhundert n. Chr. ſchrieb, 248 Stadt- auf 27 Landbezirke. Gallien hatte unter Auguſtus 64, ſpäter 125 Stadtbezirke; das kar- thagiſche und das mauretaniſche Gebiet waren je auf 300 Städte gekommen. Überall ſiegten dabei die helleniſch-italiſchen Sitten: alle großen Grundbeſitzer, alle reichen Leute des Gebietes zogen nach der Stadt; alles platte Land, alle Dörfer und Weiler gehörten zum Stadtbezirke, ſtanden unter den ſtädtiſchen Magiſtraten. Mögen die ländlichen Gemeinden meiſt ein Gemeindevermögen, eigene Sakra, jährlich wechſelnde Ortsvorſteher, eine gewiſſe adminiſtrative Bedeutung gehabt haben, in allem Wichtigen unterſtand das platte Land den Stadtbeamten; die lokalen Allmenden ſind wahrſchein- lich frühe in dem großen ſtaatlichen ager publicus verſchwunden. Nachdem dieſer Prozeß der Ausbildung von Städten als Spitzen der Bezirks- verwaltung ſich vollendet, nachdem in den großen Reichen der Diadochen und ſpäter Roms ein Zuſtand der friedlichen, wirtſchaftlichen Entwickelung und des großen Ver- kehrs ſich ausgebildet hatte, traten naturgemäß andere Urſachen für die Zunahme der Städte mehr in den Vordergrund: Handel und Verkehr ſteigerten zumal an den Küſten und Flüſſen, an den großen Landſtraßen und Straßenkreuzungen das Gedeihen; die Gewerbe erblühten da und dort in den Städten; Kunſt und Litteratur, Theater und

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/274>, abgerufen am 23.04.2024.