Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

Die wirtschaftliche Bedeutung der Größe und Grenzen der Gebietskörperschaften.
wechselseitige Austausch dringendes Bedürfnis wäre. Alle Handels-, Wirtschafts- und
staatliche Gebietsgeschichte ist von hier aus zu erklären. Schon die asiatischen Eroberungs-
reiche, der attische Seebund, die Herrschaft der Hellenen im Orient, der Karthager im
Occident, das römische Reich, die Bildung der großen Nationalstaaten von 1300--1800,
der Versuch Napoleons I., die halbe Welt zu unterwerfen, die Geschichte des Zollvereins,
des Deutschen Reiches und Italiens in unserem Jahrhundert sind wesentlich mit aus
diesen wirtschaftlichen Tendenzen zu erklären. Heute handelt es sich trotz aller Siege
des Freihandels darum, daß es doch viel leichter ist, sich in abhängigen Gebieten, in
Kolonien als in fremden Staaten Märkte zu sichern und Absatz zu schaffen. Daher haben
sich die Vereinigten Staaten von 1800--1900 von etwas über 2 auf 9,3 Mill. Geviert-
kilometer, haben sich von 1866--99 das großbritannische Weltreich von 12,6 auf 27,8,
das russische von 12,9 auf 22,4 Geviertkilometer vergrößert; darum hat Frankreich
sich in Nordafrika eine zweite Heimat geschaffen; darum wird heute um die Teilung
der Erde allerwärts gekämpft. Die Größe der Gebiete ist an sich ein ungeheures
wirtschaftliches Machtmittel; und die Lage der Teile zu einander, die Grenzbildung ist
es oft nicht minder. --

Doch genug. Wir gehen nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen über die
Gebietskörperschaften zur Darstellung des einzelnen über. Wir können daraus nur
einige Ausschnitte geben, vor die Darlegung der heutigen Wirtschaft des Staates und
der Gemeinde nur einige Skizzen über die ältere mitteleuropäische Dorfwirtschaft, Grund-
herrschaft und Stadtwirtschaft setzen.

103. Die ältere Dorfwirtschaft. Die Markgenossenschaft der germanischen
Völker, die wir schon mehrmals (S. 237, 261) berührt haben, die wahrscheinlich über-
wiegend oder teilweise mit der Hundertschaft und dem Hundertschaftsbezirke zusammen-
fällt, ist das erste uns deutlicher erkennbare Beispiel eines sippenartig und genossen-
schaftlich gestalteten Familienverbandes, der zugleich durch ein fest abgegrenztes, von ihm
innegehabtes Gebiet zu einer Gebietskörperschaft wird. Mögen diese dem ersten Jahr-
tausend unserer Zeitrechnung angehörenden Verbände mehr politisch-kriegerischen oder
mehr sippenartigen und wirtschaftlichen Charakter gehabt, mögen ihre Zwecke im Laufe
der Jahrhunderte sich vielfach verschoben haben, später nach und nach auf andere Organe
(Grafschaft, Zendnerei, Dorf, Genossenschaft, Territorium, Staat) übergegangen sein,
mögen sie ursprünglich mehr Viehweidegenossenschaften, später mehr Organe der Acker-,
Forst-, Weide-, Fischwasserverteilung an die Häuptlinge und Dorfschaften gewesen sein,
so viel ist aus der Überlieferung zu erkennen, die freilich aus der Zeit des Rückganges
und der Auflösung der Markgenossenschaft stammt, daß die Markgenossenschaft eine
ziemlich lose Verfassung in dem obersten Märker, dem Markgericht und der Märker-
versammlung hatte, daß sie über die wirtschaftlichen Nutzungen der Mark verfügte, die
entsprechenden Ordnungen erließ und Beschlüsse faßte, daß die Mark als ein geschlossenes
Wirtschaftsgebiet galt, aus dem Holz, Kohlen, Heu, Mist, Mergel, Fische, Vieh auszu-
führen verboten oder erschwert wurde, weil sie als Produkte des großen Gemeinbesitzes,
des Waldes und der Weide, nur dann den Genossen dauernd und gleichmäßig dienen
und in ihrer Menge ausreichen konnten, wenn nicht einzelne Betriebsame durch Ausfuhr
die zehn- bis zwanzigfache Nutzung der übrigen in Anspruch nahmen. So viel wir
sehen können, hatten die Markgenossenschaften aber es zu einer kräftig handelnden Spitze,
zu einem von dem genossenschaftlichen Eigentume getrennten Korporationsbesitze, zu einer
gemeinsamen Vermögensverwaltung, einer Kasse nie gebracht.

In dem Maße, wie die Bevölkerung sich vermehrte, der Ackerbau gegenüber der
Viehwirtschaft wichtiger wurde, in zahlreichen Dörfern mit besonderen aus der gemeinen
Mark ausgesonderten Ackerfluren und Weiden sich einrichtete, der Besitz der Großen,
teilweise auch des Königs zunahm, die Anfänge der Grundherrschaft sich bildeten, die
Schenkung der Hufen an die Kirche erlaubt wurde, mit königlichem Briefe Nichtgenossen
in die Markgenossenschaft eindringen konnten, da lockerte sich das Gefüge der alten
Markgenossenschaften. Sie traten zurück gegenüber den neuen, kräftigeren Organen, dem
Dorfe und der Grundherrschaft. Die Mark erschien mehr und mehr nur als ein An-

Die wirtſchaftliche Bedeutung der Größe und Grenzen der Gebietskörperſchaften.
wechſelſeitige Austauſch dringendes Bedürfnis wäre. Alle Handels-, Wirtſchafts- und
ſtaatliche Gebietsgeſchichte iſt von hier aus zu erklären. Schon die aſiatiſchen Eroberungs-
reiche, der attiſche Seebund, die Herrſchaft der Hellenen im Orient, der Karthager im
Occident, das römiſche Reich, die Bildung der großen Nationalſtaaten von 1300—1800,
der Verſuch Napoleons I., die halbe Welt zu unterwerfen, die Geſchichte des Zollvereins,
des Deutſchen Reiches und Italiens in unſerem Jahrhundert ſind weſentlich mit aus
dieſen wirtſchaftlichen Tendenzen zu erklären. Heute handelt es ſich trotz aller Siege
des Freihandels darum, daß es doch viel leichter iſt, ſich in abhängigen Gebieten, in
Kolonien als in fremden Staaten Märkte zu ſichern und Abſatz zu ſchaffen. Daher haben
ſich die Vereinigten Staaten von 1800—1900 von etwas über 2 auf 9,3 Mill. Geviert-
kilometer, haben ſich von 1866—99 das großbritanniſche Weltreich von 12,6 auf 27,8,
das ruſſiſche von 12,9 auf 22,4 Geviertkilometer vergrößert; darum hat Frankreich
ſich in Nordafrika eine zweite Heimat geſchaffen; darum wird heute um die Teilung
der Erde allerwärts gekämpft. Die Größe der Gebiete iſt an ſich ein ungeheures
wirtſchaftliches Machtmittel; und die Lage der Teile zu einander, die Grenzbildung iſt
es oft nicht minder. —

Doch genug. Wir gehen nach dieſen allgemeinen Vorbemerkungen über die
Gebietskörperſchaften zur Darſtellung des einzelnen über. Wir können daraus nur
einige Ausſchnitte geben, vor die Darlegung der heutigen Wirtſchaft des Staates und
der Gemeinde nur einige Skizzen über die ältere mitteleuropäiſche Dorfwirtſchaft, Grund-
herrſchaft und Stadtwirtſchaft ſetzen.

103. Die ältere Dorfwirtſchaft. Die Markgenoſſenſchaft der germaniſchen
Völker, die wir ſchon mehrmals (S. 237, 261) berührt haben, die wahrſcheinlich über-
wiegend oder teilweiſe mit der Hundertſchaft und dem Hundertſchaftsbezirke zuſammen-
fällt, iſt das erſte uns deutlicher erkennbare Beiſpiel eines ſippenartig und genoſſen-
ſchaftlich geſtalteten Familienverbandes, der zugleich durch ein feſt abgegrenztes, von ihm
innegehabtes Gebiet zu einer Gebietskörperſchaft wird. Mögen dieſe dem erſten Jahr-
tauſend unſerer Zeitrechnung angehörenden Verbände mehr politiſch-kriegeriſchen oder
mehr ſippenartigen und wirtſchaftlichen Charakter gehabt, mögen ihre Zwecke im Laufe
der Jahrhunderte ſich vielfach verſchoben haben, ſpäter nach und nach auf andere Organe
(Grafſchaft, Zendnerei, Dorf, Genoſſenſchaft, Territorium, Staat) übergegangen ſein,
mögen ſie urſprünglich mehr Viehweidegenoſſenſchaften, ſpäter mehr Organe der Acker-,
Forſt-, Weide-, Fiſchwaſſerverteilung an die Häuptlinge und Dorfſchaften geweſen ſein,
ſo viel iſt aus der Überlieferung zu erkennen, die freilich aus der Zeit des Rückganges
und der Auflöſung der Markgenoſſenſchaft ſtammt, daß die Markgenoſſenſchaft eine
ziemlich loſe Verfaſſung in dem oberſten Märker, dem Markgericht und der Märker-
verſammlung hatte, daß ſie über die wirtſchaftlichen Nutzungen der Mark verfügte, die
entſprechenden Ordnungen erließ und Beſchlüſſe faßte, daß die Mark als ein geſchloſſenes
Wirtſchaftsgebiet galt, aus dem Holz, Kohlen, Heu, Miſt, Mergel, Fiſche, Vieh auszu-
führen verboten oder erſchwert wurde, weil ſie als Produkte des großen Gemeinbeſitzes,
des Waldes und der Weide, nur dann den Genoſſen dauernd und gleichmäßig dienen
und in ihrer Menge ausreichen konnten, wenn nicht einzelne Betriebſame durch Ausfuhr
die zehn- bis zwanzigfache Nutzung der übrigen in Anſpruch nahmen. So viel wir
ſehen können, hatten die Markgenoſſenſchaften aber es zu einer kräftig handelnden Spitze,
zu einem von dem genoſſenſchaftlichen Eigentume getrennten Korporationsbeſitze, zu einer
gemeinſamen Vermögensverwaltung, einer Kaſſe nie gebracht.

In dem Maße, wie die Bevölkerung ſich vermehrte, der Ackerbau gegenüber der
Viehwirtſchaft wichtiger wurde, in zahlreichen Dörfern mit beſonderen aus der gemeinen
Mark ausgeſonderten Ackerfluren und Weiden ſich einrichtete, der Beſitz der Großen,
teilweiſe auch des Königs zunahm, die Anfänge der Grundherrſchaft ſich bildeten, die
Schenkung der Hufen an die Kirche erlaubt wurde, mit königlichem Briefe Nichtgenoſſen
in die Markgenoſſenſchaft eindringen konnten, da lockerte ſich das Gefüge der alten
Markgenoſſenſchaften. Sie traten zurück gegenüber den neuen, kräftigeren Organen, dem
Dorfe und der Grundherrſchaft. Die Mark erſchien mehr und mehr nur als ein An-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0303" n="287"/><fw place="top" type="header">Die wirt&#x017F;chaftliche Bedeutung der Größe und Grenzen der Gebietskörper&#x017F;chaften.</fw><lb/>
wech&#x017F;el&#x017F;eitige Austau&#x017F;ch dringendes Bedürfnis wäre. Alle Handels-, Wirt&#x017F;chafts- und<lb/>
&#x017F;taatliche Gebietsge&#x017F;chichte i&#x017F;t von hier aus zu erklären. Schon die a&#x017F;iati&#x017F;chen Eroberungs-<lb/>
reiche, der atti&#x017F;che Seebund, die Herr&#x017F;chaft der Hellenen im Orient, der Karthager im<lb/>
Occident, das römi&#x017F;che Reich, die Bildung der großen National&#x017F;taaten von 1300&#x2014;1800,<lb/>
der Ver&#x017F;uch Napoleons <hi rendition="#aq">I.</hi>, die halbe Welt zu unterwerfen, die Ge&#x017F;chichte des Zollvereins,<lb/>
des Deut&#x017F;chen Reiches und Italiens in un&#x017F;erem Jahrhundert &#x017F;ind we&#x017F;entlich mit aus<lb/>
die&#x017F;en wirt&#x017F;chaftlichen Tendenzen zu erklären. Heute handelt es &#x017F;ich trotz aller Siege<lb/>
des Freihandels darum, daß es doch viel leichter i&#x017F;t, &#x017F;ich in abhängigen Gebieten, in<lb/>
Kolonien als in fremden Staaten Märkte zu &#x017F;ichern und Ab&#x017F;atz zu &#x017F;chaffen. Daher haben<lb/>
&#x017F;ich die Vereinigten Staaten von 1800&#x2014;1900 von etwas über 2 auf 9,<hi rendition="#sub">3</hi> Mill. Geviert-<lb/>
kilometer, haben &#x017F;ich von 1866&#x2014;99 das großbritanni&#x017F;che Weltreich von 12,<hi rendition="#sub">6</hi> auf 27,<hi rendition="#sub">8</hi>,<lb/>
das ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che von 12,<hi rendition="#sub">9</hi> auf 22,<hi rendition="#sub">4</hi> Geviertkilometer vergrößert; darum hat Frankreich<lb/>
&#x017F;ich in Nordafrika eine zweite Heimat ge&#x017F;chaffen; darum wird heute um die Teilung<lb/>
der Erde allerwärts gekämpft. Die Größe der Gebiete i&#x017F;t an &#x017F;ich ein ungeheures<lb/>
wirt&#x017F;chaftliches Machtmittel; und die Lage der Teile zu einander, die Grenzbildung i&#x017F;t<lb/>
es oft nicht minder. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Doch genug. Wir gehen nach die&#x017F;en allgemeinen Vorbemerkungen über die<lb/>
Gebietskörper&#x017F;chaften zur Dar&#x017F;tellung des einzelnen über. Wir können daraus nur<lb/>
einige Aus&#x017F;chnitte geben, vor die Darlegung der heutigen Wirt&#x017F;chaft des Staates und<lb/>
der Gemeinde nur einige Skizzen über die ältere mitteleuropäi&#x017F;che Dorfwirt&#x017F;chaft, Grund-<lb/>
herr&#x017F;chaft und Stadtwirt&#x017F;chaft &#x017F;etzen.</p><lb/>
          <p>103. <hi rendition="#g">Die ältere Dorfwirt&#x017F;chaft</hi>. Die Markgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft der germani&#x017F;chen<lb/>
Völker, die wir &#x017F;chon mehrmals (S. 237, 261) berührt haben, die wahr&#x017F;cheinlich über-<lb/>
wiegend oder teilwei&#x017F;e mit der Hundert&#x017F;chaft und dem Hundert&#x017F;chaftsbezirke zu&#x017F;ammen-<lb/>
fällt, i&#x017F;t das er&#x017F;te uns deutlicher erkennbare Bei&#x017F;piel eines &#x017F;ippenartig und geno&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaftlich ge&#x017F;talteten Familienverbandes, der zugleich durch ein fe&#x017F;t abgegrenztes, von ihm<lb/>
innegehabtes Gebiet zu einer Gebietskörper&#x017F;chaft wird. Mögen die&#x017F;e dem er&#x017F;ten Jahr-<lb/>
tau&#x017F;end un&#x017F;erer Zeitrechnung angehörenden Verbände mehr politi&#x017F;ch-kriegeri&#x017F;chen oder<lb/>
mehr &#x017F;ippenartigen und wirt&#x017F;chaftlichen Charakter gehabt, mögen ihre Zwecke im Laufe<lb/>
der Jahrhunderte &#x017F;ich vielfach ver&#x017F;choben haben, &#x017F;päter nach und nach auf andere Organe<lb/>
(Graf&#x017F;chaft, Zendnerei, Dorf, Geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, Territorium, Staat) übergegangen &#x017F;ein,<lb/>
mögen &#x017F;ie ur&#x017F;prünglich mehr Viehweidegeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, &#x017F;päter mehr Organe der Acker-,<lb/>
For&#x017F;t-, Weide-, Fi&#x017F;chwa&#x017F;&#x017F;erverteilung an die Häuptlinge und Dorf&#x017F;chaften gewe&#x017F;en &#x017F;ein,<lb/>
&#x017F;o viel i&#x017F;t aus der Überlieferung zu erkennen, die freilich aus der Zeit des Rückganges<lb/>
und der Auflö&#x017F;ung der Markgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;tammt, daß die Markgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft eine<lb/>
ziemlich lo&#x017F;e Verfa&#x017F;&#x017F;ung in dem ober&#x017F;ten Märker, dem Markgericht und der Märker-<lb/>
ver&#x017F;ammlung hatte, daß &#x017F;ie über die wirt&#x017F;chaftlichen Nutzungen der Mark verfügte, die<lb/>
ent&#x017F;prechenden Ordnungen erließ und Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e faßte, daß die Mark als ein ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enes<lb/>
Wirt&#x017F;chaftsgebiet galt, aus dem Holz, Kohlen, Heu, Mi&#x017F;t, Mergel, Fi&#x017F;che, Vieh auszu-<lb/>
führen verboten oder er&#x017F;chwert wurde, weil &#x017F;ie als Produkte des großen Gemeinbe&#x017F;itzes,<lb/>
des Waldes und der Weide, nur dann den Geno&#x017F;&#x017F;en dauernd und gleichmäßig dienen<lb/>
und in ihrer Menge ausreichen konnten, wenn nicht einzelne Betrieb&#x017F;ame durch Ausfuhr<lb/>
die zehn- bis zwanzigfache Nutzung der übrigen in An&#x017F;pruch nahmen. So viel wir<lb/>
&#x017F;ehen können, hatten die Markgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften aber es zu einer kräftig handelnden Spitze,<lb/>
zu einem von dem geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Eigentume getrennten Korporationsbe&#x017F;itze, zu einer<lb/>
gemein&#x017F;amen Vermögensverwaltung, einer Ka&#x017F;&#x017F;e nie gebracht.</p><lb/>
          <p>In dem Maße, wie die Bevölkerung &#x017F;ich vermehrte, der Ackerbau gegenüber der<lb/>
Viehwirt&#x017F;chaft wichtiger wurde, in zahlreichen Dörfern mit be&#x017F;onderen aus der gemeinen<lb/>
Mark ausge&#x017F;onderten Ackerfluren und Weiden &#x017F;ich einrichtete, der Be&#x017F;itz der Großen,<lb/>
teilwei&#x017F;e auch des Königs zunahm, die Anfänge der Grundherr&#x017F;chaft &#x017F;ich bildeten, die<lb/>
Schenkung der Hufen an die Kirche erlaubt wurde, mit königlichem Briefe Nichtgeno&#x017F;&#x017F;en<lb/>
in die Markgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft eindringen konnten, da lockerte &#x017F;ich das Gefüge der alten<lb/>
Markgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften. Sie traten zurück gegenüber den neuen, kräftigeren Organen, dem<lb/>
Dorfe und der Grundherr&#x017F;chaft. Die Mark er&#x017F;chien mehr und mehr nur als ein An-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0303] Die wirtſchaftliche Bedeutung der Größe und Grenzen der Gebietskörperſchaften. wechſelſeitige Austauſch dringendes Bedürfnis wäre. Alle Handels-, Wirtſchafts- und ſtaatliche Gebietsgeſchichte iſt von hier aus zu erklären. Schon die aſiatiſchen Eroberungs- reiche, der attiſche Seebund, die Herrſchaft der Hellenen im Orient, der Karthager im Occident, das römiſche Reich, die Bildung der großen Nationalſtaaten von 1300—1800, der Verſuch Napoleons I., die halbe Welt zu unterwerfen, die Geſchichte des Zollvereins, des Deutſchen Reiches und Italiens in unſerem Jahrhundert ſind weſentlich mit aus dieſen wirtſchaftlichen Tendenzen zu erklären. Heute handelt es ſich trotz aller Siege des Freihandels darum, daß es doch viel leichter iſt, ſich in abhängigen Gebieten, in Kolonien als in fremden Staaten Märkte zu ſichern und Abſatz zu ſchaffen. Daher haben ſich die Vereinigten Staaten von 1800—1900 von etwas über 2 auf 9,3 Mill. Geviert- kilometer, haben ſich von 1866—99 das großbritanniſche Weltreich von 12,6 auf 27,8, das ruſſiſche von 12,9 auf 22,4 Geviertkilometer vergrößert; darum hat Frankreich ſich in Nordafrika eine zweite Heimat geſchaffen; darum wird heute um die Teilung der Erde allerwärts gekämpft. Die Größe der Gebiete iſt an ſich ein ungeheures wirtſchaftliches Machtmittel; und die Lage der Teile zu einander, die Grenzbildung iſt es oft nicht minder. — Doch genug. Wir gehen nach dieſen allgemeinen Vorbemerkungen über die Gebietskörperſchaften zur Darſtellung des einzelnen über. Wir können daraus nur einige Ausſchnitte geben, vor die Darlegung der heutigen Wirtſchaft des Staates und der Gemeinde nur einige Skizzen über die ältere mitteleuropäiſche Dorfwirtſchaft, Grund- herrſchaft und Stadtwirtſchaft ſetzen. 103. Die ältere Dorfwirtſchaft. Die Markgenoſſenſchaft der germaniſchen Völker, die wir ſchon mehrmals (S. 237, 261) berührt haben, die wahrſcheinlich über- wiegend oder teilweiſe mit der Hundertſchaft und dem Hundertſchaftsbezirke zuſammen- fällt, iſt das erſte uns deutlicher erkennbare Beiſpiel eines ſippenartig und genoſſen- ſchaftlich geſtalteten Familienverbandes, der zugleich durch ein feſt abgegrenztes, von ihm innegehabtes Gebiet zu einer Gebietskörperſchaft wird. Mögen dieſe dem erſten Jahr- tauſend unſerer Zeitrechnung angehörenden Verbände mehr politiſch-kriegeriſchen oder mehr ſippenartigen und wirtſchaftlichen Charakter gehabt, mögen ihre Zwecke im Laufe der Jahrhunderte ſich vielfach verſchoben haben, ſpäter nach und nach auf andere Organe (Grafſchaft, Zendnerei, Dorf, Genoſſenſchaft, Territorium, Staat) übergegangen ſein, mögen ſie urſprünglich mehr Viehweidegenoſſenſchaften, ſpäter mehr Organe der Acker-, Forſt-, Weide-, Fiſchwaſſerverteilung an die Häuptlinge und Dorfſchaften geweſen ſein, ſo viel iſt aus der Überlieferung zu erkennen, die freilich aus der Zeit des Rückganges und der Auflöſung der Markgenoſſenſchaft ſtammt, daß die Markgenoſſenſchaft eine ziemlich loſe Verfaſſung in dem oberſten Märker, dem Markgericht und der Märker- verſammlung hatte, daß ſie über die wirtſchaftlichen Nutzungen der Mark verfügte, die entſprechenden Ordnungen erließ und Beſchlüſſe faßte, daß die Mark als ein geſchloſſenes Wirtſchaftsgebiet galt, aus dem Holz, Kohlen, Heu, Miſt, Mergel, Fiſche, Vieh auszu- führen verboten oder erſchwert wurde, weil ſie als Produkte des großen Gemeinbeſitzes, des Waldes und der Weide, nur dann den Genoſſen dauernd und gleichmäßig dienen und in ihrer Menge ausreichen konnten, wenn nicht einzelne Betriebſame durch Ausfuhr die zehn- bis zwanzigfache Nutzung der übrigen in Anſpruch nahmen. So viel wir ſehen können, hatten die Markgenoſſenſchaften aber es zu einer kräftig handelnden Spitze, zu einem von dem genoſſenſchaftlichen Eigentume getrennten Korporationsbeſitze, zu einer gemeinſamen Vermögensverwaltung, einer Kaſſe nie gebracht. In dem Maße, wie die Bevölkerung ſich vermehrte, der Ackerbau gegenüber der Viehwirtſchaft wichtiger wurde, in zahlreichen Dörfern mit beſonderen aus der gemeinen Mark ausgeſonderten Ackerfluren und Weiden ſich einrichtete, der Beſitz der Großen, teilweiſe auch des Königs zunahm, die Anfänge der Grundherrſchaft ſich bildeten, die Schenkung der Hufen an die Kirche erlaubt wurde, mit königlichem Briefe Nichtgenoſſen in die Markgenoſſenſchaft eindringen konnten, da lockerte ſich das Gefüge der alten Markgenoſſenſchaften. Sie traten zurück gegenüber den neuen, kräftigeren Organen, dem Dorfe und der Grundherrſchaft. Die Mark erſchien mehr und mehr nur als ein An-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/303
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/303>, abgerufen am 19.04.2024.