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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
hängfel der neuen Gebilde; jedes Dorf, jede Grundherrschaft suchte davon zu erhalten,
was möglich war; man teilte bei Gelegenheit, was noch von dem alten großen Gebiete
unbesetzt vorhanden war.

Die Markgenossenschaft war ein loser Verband gewesen, der auf 100--400 Geviert-
kilometern etwa 100 Familien, 1000 Seelen, später auch mehr umschloß; die Dorf-
genossenschaft, welche mit der Seßhaftigkeit, mit dem Siege der Dreifelderwirtschaft sich
ausbildete, besaß eine Gemarkung von etwa 15--40, später 5--15 Geviertkilometern,
in deren Mittelpunkte, im Dorfe, 5--10, später oft 20--50 Hufner (siehe S. 261) seit
dem späteren Mittelalter nebst einigen Kossäten oder Kleinstellenbesitzern, Handwerkern
und Tagelöhnern enge zusammen saßen. Die engere Siedlung und das engere Band
gemeinsamer agrarisch-wirtschaftlicher Interessen erzeugte eine kräftigere, dauerhaftere
Organisation als es die Markgenossenschaft je gewesen war. Die Dorfbewohner bildeten
im Anschluß an die alten brüderlichen Traditionen der Sippe eine Friedens-, Rechts- und
Unterstützungsgenossenschaft, ihre Organe übten eine gewisse Rechtsprechung und Polizei
aus, schlossen sich ursprünglich persönlich und für den Verkehr ähnlich ab wie die
Markgenossenschaft. Der Schwerpunkt ihres wirtschaftlichen Lebens lag in der eigentüm-
lichen Verbindung der selbständigen Eigenwirtschaft der Familie mit der genossenschaft-
lichen Gemeinsamkeit, wie sie sich aus dem Gemeinbesitz der Allmende, aus der gemein-
samen Planlegung des Ackerlandes, aus der Einteilung desselben in zahlreiche Gewanne
von gleicher Bodenqualität, aus der Zuweisung eines Loses von je 1/2--1 Morgen in
jedem Gewann an jeden Hufner, aus der Umlegung aller öffentlichen und grundherrlichen
Lasten auf die Hufner ergab.

Das Dorf bildete einen persönlichen und dinglichen Verband; die Genossenschaft
hatte ein Gesamtrecht an der Dorfmark; jeder Genosse führte für sich eine rein auf die
eigene Produktion und Befriedigung aller Lebensbedürfnisse begründete Haus- und Acker-
wirtschaft, aber alle zusammen führten doch zugleich eine planvoll geordnete Gesamt-
und Gesellenwirtschaft, welche, ohne einen Sonderhaushalt darzustellen, die unentbehrliche
Ergänzung der einzelnen Hauswirtschaften war.

Haus und Hof waren dem einzelnen im Dorfe dauernd zugewiesen; das
Haus lag an der Dorfstraße, in bestimmter Reihe und Entfernung vom anderen, es
war mit der unentgeltlichen Hülfe der Genossen aus dem gemeinsamen, unbezahlten
Holze des Waldes gebaut; Haus und Hof standen unter verwandtschaftlichen und
genossenschaftlichen Vorkaufs- und Näherrechten, unter einer Bau- und Feuerpolizei, die
ihre Wurzeln im gemeinsamen Besitz hatte; sie waren des Nachts geschützt durch eine
im Reihedienst herumgehende Nachtwache. Das Vieh gehörte dem einzelnen, aber es
durfte nur vom gemeinsamen Hirten ausgetrieben werden, es erhielt seine Nahrung
durch die gemeinsame Nutzung der Brache, des abgeernteten Sommer- und Winterfeldes,
der Weiden, des Waldes. Der dem Hufner zugeteilte Acker unterlag dem Flurzwange,
d. h. er stand unter der genossenschaftlichen Feldpolizei, unterlag den genossenschaftlichen
Weide-, Trift- und Wegerechten, konnte nur gepflügt, besät, abgeerntet werden nach den
genossenschaftlichen Ordnungen und Beschlüssen. Wald, Weide und Wasser waren
genossenschaftliches Gesamteigentum; und wenn die Rechte der einzelnen daran nach
und nach individuelle Sonderrechte wurden, so standen sie doch ganz unter den genossen-
schaftlichen Beschlüssen, unter der gemeinsamen Weide-, Forst- und Wasserpolizei.

Die Wirtschaft des einzelnen Hufners verkaufte und tauschte lange nichts oder
sehr wenig; erst mit dem Aufkommen der Städte lieferte man einige Überschüsse auf den
städtischen Markt; im ganzen lebte die Familie durchaus von ihren eigenen Produkten,
stellte auch Kleidung und Geräte selbst her. Die Familie verteilte die Arbeit unter
ihre Glieder und sorgte für jedes derselben; ein starker Erwerbssinn konnte sich nicht
entwickeln, Kapitalbildung, Zins, Abhängigkeit vom Markte fehlten lange. Die einzelne
auf sich ruhende Hauswirtschaft war von der Dorfgenossenschaft, später von der Grund-
oder Gutsherrschaft, aber nicht vom Spiel der Preise beeinflußt und beherrscht.

Der Besitz der vollen Dorfgenossen, Haus, Garten, Acker und Anteil an der Allmende
(zusammen 15--50 ha, je nach der Bodengüte), hieß die Hufe. Mehr und mehr dem freien

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
hängfel der neuen Gebilde; jedes Dorf, jede Grundherrſchaft ſuchte davon zu erhalten,
was möglich war; man teilte bei Gelegenheit, was noch von dem alten großen Gebiete
unbeſetzt vorhanden war.

Die Markgenoſſenſchaft war ein loſer Verband geweſen, der auf 100—400 Geviert-
kilometern etwa 100 Familien, 1000 Seelen, ſpäter auch mehr umſchloß; die Dorf-
genoſſenſchaft, welche mit der Seßhaftigkeit, mit dem Siege der Dreifelderwirtſchaft ſich
ausbildete, beſaß eine Gemarkung von etwa 15—40, ſpäter 5—15 Geviertkilometern,
in deren Mittelpunkte, im Dorfe, 5—10, ſpäter oft 20—50 Hufner (ſiehe S. 261) ſeit
dem ſpäteren Mittelalter nebſt einigen Koſſäten oder Kleinſtellenbeſitzern, Handwerkern
und Tagelöhnern enge zuſammen ſaßen. Die engere Siedlung und das engere Band
gemeinſamer agrariſch-wirtſchaftlicher Intereſſen erzeugte eine kräftigere, dauerhaftere
Organiſation als es die Markgenoſſenſchaft je geweſen war. Die Dorfbewohner bildeten
im Anſchluß an die alten brüderlichen Traditionen der Sippe eine Friedens-, Rechts- und
Unterſtützungsgenoſſenſchaft, ihre Organe übten eine gewiſſe Rechtſprechung und Polizei
aus, ſchloſſen ſich urſprünglich perſönlich und für den Verkehr ähnlich ab wie die
Markgenoſſenſchaft. Der Schwerpunkt ihres wirtſchaftlichen Lebens lag in der eigentüm-
lichen Verbindung der ſelbſtändigen Eigenwirtſchaft der Familie mit der genoſſenſchaft-
lichen Gemeinſamkeit, wie ſie ſich aus dem Gemeinbeſitz der Allmende, aus der gemein-
ſamen Planlegung des Ackerlandes, aus der Einteilung desſelben in zahlreiche Gewanne
von gleicher Bodenqualität, aus der Zuweiſung eines Loſes von je ½—1 Morgen in
jedem Gewann an jeden Hufner, aus der Umlegung aller öffentlichen und grundherrlichen
Laſten auf die Hufner ergab.

Das Dorf bildete einen perſönlichen und dinglichen Verband; die Genoſſenſchaft
hatte ein Geſamtrecht an der Dorfmark; jeder Genoſſe führte für ſich eine rein auf die
eigene Produktion und Befriedigung aller Lebensbedürfniſſe begründete Haus- und Acker-
wirtſchaft, aber alle zuſammen führten doch zugleich eine planvoll geordnete Geſamt-
und Geſellenwirtſchaft, welche, ohne einen Sonderhaushalt darzuſtellen, die unentbehrliche
Ergänzung der einzelnen Hauswirtſchaften war.

Haus und Hof waren dem einzelnen im Dorfe dauernd zugewieſen; das
Haus lag an der Dorfſtraße, in beſtimmter Reihe und Entfernung vom anderen, es
war mit der unentgeltlichen Hülfe der Genoſſen aus dem gemeinſamen, unbezahlten
Holze des Waldes gebaut; Haus und Hof ſtanden unter verwandtſchaftlichen und
genoſſenſchaftlichen Vorkaufs- und Näherrechten, unter einer Bau- und Feuerpolizei, die
ihre Wurzeln im gemeinſamen Beſitz hatte; ſie waren des Nachts geſchützt durch eine
im Reihedienſt herumgehende Nachtwache. Das Vieh gehörte dem einzelnen, aber es
durfte nur vom gemeinſamen Hirten ausgetrieben werden, es erhielt ſeine Nahrung
durch die gemeinſame Nutzung der Brache, des abgeernteten Sommer- und Winterfeldes,
der Weiden, des Waldes. Der dem Hufner zugeteilte Acker unterlag dem Flurzwange,
d. h. er ſtand unter der genoſſenſchaftlichen Feldpolizei, unterlag den genoſſenſchaftlichen
Weide-, Trift- und Wegerechten, konnte nur gepflügt, beſät, abgeerntet werden nach den
genoſſenſchaftlichen Ordnungen und Beſchlüſſen. Wald, Weide und Waſſer waren
genoſſenſchaftliches Geſamteigentum; und wenn die Rechte der einzelnen daran nach
und nach individuelle Sonderrechte wurden, ſo ſtanden ſie doch ganz unter den genoſſen-
ſchaftlichen Beſchlüſſen, unter der gemeinſamen Weide-, Forſt- und Waſſerpolizei.

Die Wirtſchaft des einzelnen Hufners verkaufte und tauſchte lange nichts oder
ſehr wenig; erſt mit dem Aufkommen der Städte lieferte man einige Überſchüſſe auf den
ſtädtiſchen Markt; im ganzen lebte die Familie durchaus von ihren eigenen Produkten,
ſtellte auch Kleidung und Geräte ſelbſt her. Die Familie verteilte die Arbeit unter
ihre Glieder und ſorgte für jedes derſelben; ein ſtarker Erwerbsſinn konnte ſich nicht
entwickeln, Kapitalbildung, Zins, Abhängigkeit vom Markte fehlten lange. Die einzelne
auf ſich ruhende Hauswirtſchaft war von der Dorfgenoſſenſchaft, ſpäter von der Grund-
oder Gutsherrſchaft, aber nicht vom Spiel der Preiſe beeinflußt und beherrſcht.

Der Beſitz der vollen Dorfgenoſſen, Haus, Garten, Acker und Anteil an der Allmende
(zuſammen 15—50 ha, je nach der Bodengüte), hieß die Hufe. Mehr und mehr dem freien

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[288/0304] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. hängfel der neuen Gebilde; jedes Dorf, jede Grundherrſchaft ſuchte davon zu erhalten, was möglich war; man teilte bei Gelegenheit, was noch von dem alten großen Gebiete unbeſetzt vorhanden war. Die Markgenoſſenſchaft war ein loſer Verband geweſen, der auf 100—400 Geviert- kilometern etwa 100 Familien, 1000 Seelen, ſpäter auch mehr umſchloß; die Dorf- genoſſenſchaft, welche mit der Seßhaftigkeit, mit dem Siege der Dreifelderwirtſchaft ſich ausbildete, beſaß eine Gemarkung von etwa 15—40, ſpäter 5—15 Geviertkilometern, in deren Mittelpunkte, im Dorfe, 5—10, ſpäter oft 20—50 Hufner (ſiehe S. 261) ſeit dem ſpäteren Mittelalter nebſt einigen Koſſäten oder Kleinſtellenbeſitzern, Handwerkern und Tagelöhnern enge zuſammen ſaßen. Die engere Siedlung und das engere Band gemeinſamer agrariſch-wirtſchaftlicher Intereſſen erzeugte eine kräftigere, dauerhaftere Organiſation als es die Markgenoſſenſchaft je geweſen war. Die Dorfbewohner bildeten im Anſchluß an die alten brüderlichen Traditionen der Sippe eine Friedens-, Rechts- und Unterſtützungsgenoſſenſchaft, ihre Organe übten eine gewiſſe Rechtſprechung und Polizei aus, ſchloſſen ſich urſprünglich perſönlich und für den Verkehr ähnlich ab wie die Markgenoſſenſchaft. Der Schwerpunkt ihres wirtſchaftlichen Lebens lag in der eigentüm- lichen Verbindung der ſelbſtändigen Eigenwirtſchaft der Familie mit der genoſſenſchaft- lichen Gemeinſamkeit, wie ſie ſich aus dem Gemeinbeſitz der Allmende, aus der gemein- ſamen Planlegung des Ackerlandes, aus der Einteilung desſelben in zahlreiche Gewanne von gleicher Bodenqualität, aus der Zuweiſung eines Loſes von je ½—1 Morgen in jedem Gewann an jeden Hufner, aus der Umlegung aller öffentlichen und grundherrlichen Laſten auf die Hufner ergab. Das Dorf bildete einen perſönlichen und dinglichen Verband; die Genoſſenſchaft hatte ein Geſamtrecht an der Dorfmark; jeder Genoſſe führte für ſich eine rein auf die eigene Produktion und Befriedigung aller Lebensbedürfniſſe begründete Haus- und Acker- wirtſchaft, aber alle zuſammen führten doch zugleich eine planvoll geordnete Geſamt- und Geſellenwirtſchaft, welche, ohne einen Sonderhaushalt darzuſtellen, die unentbehrliche Ergänzung der einzelnen Hauswirtſchaften war. Haus und Hof waren dem einzelnen im Dorfe dauernd zugewieſen; das Haus lag an der Dorfſtraße, in beſtimmter Reihe und Entfernung vom anderen, es war mit der unentgeltlichen Hülfe der Genoſſen aus dem gemeinſamen, unbezahlten Holze des Waldes gebaut; Haus und Hof ſtanden unter verwandtſchaftlichen und genoſſenſchaftlichen Vorkaufs- und Näherrechten, unter einer Bau- und Feuerpolizei, die ihre Wurzeln im gemeinſamen Beſitz hatte; ſie waren des Nachts geſchützt durch eine im Reihedienſt herumgehende Nachtwache. Das Vieh gehörte dem einzelnen, aber es durfte nur vom gemeinſamen Hirten ausgetrieben werden, es erhielt ſeine Nahrung durch die gemeinſame Nutzung der Brache, des abgeernteten Sommer- und Winterfeldes, der Weiden, des Waldes. Der dem Hufner zugeteilte Acker unterlag dem Flurzwange, d. h. er ſtand unter der genoſſenſchaftlichen Feldpolizei, unterlag den genoſſenſchaftlichen Weide-, Trift- und Wegerechten, konnte nur gepflügt, beſät, abgeerntet werden nach den genoſſenſchaftlichen Ordnungen und Beſchlüſſen. Wald, Weide und Waſſer waren genoſſenſchaftliches Geſamteigentum; und wenn die Rechte der einzelnen daran nach und nach individuelle Sonderrechte wurden, ſo ſtanden ſie doch ganz unter den genoſſen- ſchaftlichen Beſchlüſſen, unter der gemeinſamen Weide-, Forſt- und Waſſerpolizei. Die Wirtſchaft des einzelnen Hufners verkaufte und tauſchte lange nichts oder ſehr wenig; erſt mit dem Aufkommen der Städte lieferte man einige Überſchüſſe auf den ſtädtiſchen Markt; im ganzen lebte die Familie durchaus von ihren eigenen Produkten, ſtellte auch Kleidung und Geräte ſelbſt her. Die Familie verteilte die Arbeit unter ihre Glieder und ſorgte für jedes derſelben; ein ſtarker Erwerbsſinn konnte ſich nicht entwickeln, Kapitalbildung, Zins, Abhängigkeit vom Markte fehlten lange. Die einzelne auf ſich ruhende Hauswirtſchaft war von der Dorfgenoſſenſchaft, ſpäter von der Grund- oder Gutsherrſchaft, aber nicht vom Spiel der Preiſe beeinflußt und beherrſcht. Der Beſitz der vollen Dorfgenoſſen, Haus, Garten, Acker und Anteil an der Allmende (zuſammen 15—50 ha, je nach der Bodengüte), hieß die Hufe. Mehr und mehr dem freien

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/304>, abgerufen am 23.04.2024.