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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Stadtwirtschaft; der Rat und die Bürgerschaft.

Die Bürgerschaft enthält in den Zeiten des raschen Stadtwachstums viele neue
Elemente; sie ist in sich keineswegs homogen; aber die Stadtmauern, das Stadtrecht
und die Stadtfreiheit, die besonderen Privilegien schaffen doch zwischen den meist die
Zahl von 500--2000 nicht übersteigenden Familien einen engen Zusammenhalt. Die
mittelalterliche Stadtfreiheit giebt dem Stadtbürger viele kostbare Rechte, die der Grund-
hörige, ja teilweise auch der Freie des platten Landes entbehrte: so vor allem die
persönliche Freiheit und die gratia emendi et vendendi, den freien Verkehr auf dem
städtischen Markte, das Recht, Handel und Gewerbe zu treiben, die dem Landbewohner
ganz oder teilweise verboten sind, sowie das Recht, die Hülfe der Stadt für alle Ge-
schäfte außerhalb der Stadt in Anspruch zu nehmen, ferner das Vorrecht auf den
Gerichtsstand in der Stadt, die Befreiung von mancherlei Abgaben, das Vorrecht auf
Zollfreiheiten da und dort. Jede Stadt hatte so ihre besonderen Rechte, und schon
deshalb konnte damals von einer allgemeinen Freizügigkeit der Einwohner eines Landes
in Bezug auf die einzelnen Städte nicht eigentlich die Rede sein. Bürger der Stadt
wurde ursprünglich, wer eine Hufe in der Stadt erwarb, Jahr und Tag hier eigenen
Rauch hatte und von der Stadt d. h. dem Rate aufgenommen war. Als es dann beim
Emporblühen der Stadt sich darum handelte, neben den besitzenden Altbürgern rasch
eine größere Menge Händler, Handwerker und Arbeitskräfte von nah und fern heran-
zuziehen, als man den Hörigen, der Jahr und Tag in der Stadt unreklamiert gesessen,
nicht mehr auslieferte, stellte sich neben die Bürgergemeinde die steigende Zahl von
Schutzgenossen, Bei- oder Hinterfassen, die späteren Kleinbürger. Ihre Rechtsstellung
war eine schwankende, vielfach eine demütigende; sie selbst suchen natürlich ins volle
Bürgerrecht mit seinem Einflusse, seinen Benefizien einzudringen; nach der Ausbildung
des Zunftwesens verbindet sich mit der Aufnahme in die Zunft in vielen Städten die
Aufnahme ins Bürgerrecht; aber wenn der Aufzunehmende jetzt nicht mehr Haus und
Hufe als Eigentum nachweisen muß, so fordert man von ihm nicht unerhebliche Ein-
kaufsgelder, den Nachweis eines Vermögens, des Meisterrechtes und Stellung von Bürg-
schaft für sein Verhalten, für sein längeres Verbleiben in der Stadt. Und selbst für
Städte mit Zunftherrschaft, wie Basel, hat man (Geering) neuerdings nachgewiesen, daß
die meisten Zunftmeister zuerst Jahre lang nur Zunftgenossen, dann erst durch Einkauf,
durch geleistete Kriegsreisen etc. Bürger wurden. Noch später schloß man gar, wie in
Basel gegen 1700, das Burgrecht; alle weiter etwa Zuziehenden waren und blieben
Beisassen. Teilweise duldete man die Neuzuziehenden wohl gar nur als Fremde, um
sie jederzeit beliebig ausweisen zu können, wie das Herkner für Mühlhausen nachwies.
Kurz, im ganzen haben die Städte mehr als nach feststehenden liberalen Grundsätzen,
nach ihrem jeweiligen, richtig oder falsch verstandenen Interesse die Aufnahme neuer
Bürger oder Beisassen behandelt, die Zulassung in Zeiten des Aufschwunges erleichtert,
sonst aber meist erschwert, obwohl eine rechtliche Verpflichtung zur Armenunterstützung
damals noch nicht bestand, die Armenpflege noch überwiegend der Kirche und den Klöstern
überlassen wurde.

Das Recht des freien Wiederaustrittes aus der Stadt ist in einigen städtischen
Stiftungsbriefen, um Ansiedler zu locken, ausgesprochen; den Besitzlosen hat man wohl
stets, zumal wenn es an Arbeitskräften nicht mangelte, ziehen lassen. Der wohlhabende
Vollbürger aber wurde meist nicht so ohne weiteres entlassen; er mußte dem Rate
feierlich aufsagen, erhebliche Abzugssteuern bezahlen, oft bis zu 10 % seines Vermögens,
schwören, für die Schulden der Stadt zu haften und eine Anzahl Jahre die Steuern
der Stadt noch zu zahlen. Das freie Eherecht für die Töchter der Bürger bestand im
Gegensatz zu Ministerialen und Hörigen darin, daß kein Herr sie beliebig verheiraten
durfte; aber im übrigen wurde z. B. der Wienerin durch das Stadtrecht nur erlaubt,
nubere cui velit, dummodo nubat utiliter civitati. Außerdem galt der Rechtssatz, daß
an sich durch Erbschaft nichts aus der Stadt heraus dürfe, der freilich, durch Verträge
ermäßigt, in Erbschaftssteuer umgewandelt wurde. Noch Fischer sagt in seinem Polizei-
recht 1782, jeder Stadt und jedem Gutsherrn komme das Abzugsrecht, d. h. ein Teil
des aus der Gemeinde herausgehenden Nachlasses zu.

Die Stadtwirtſchaft; der Rat und die Bürgerſchaft.

Die Bürgerſchaft enthält in den Zeiten des raſchen Stadtwachstums viele neue
Elemente; ſie iſt in ſich keineswegs homogen; aber die Stadtmauern, das Stadtrecht
und die Stadtfreiheit, die beſonderen Privilegien ſchaffen doch zwiſchen den meiſt die
Zahl von 500—2000 nicht überſteigenden Familien einen engen Zuſammenhalt. Die
mittelalterliche Stadtfreiheit giebt dem Stadtbürger viele koſtbare Rechte, die der Grund-
hörige, ja teilweiſe auch der Freie des platten Landes entbehrte: ſo vor allem die
perſönliche Freiheit und die gratia emendi et vendendi, den freien Verkehr auf dem
ſtädtiſchen Markte, das Recht, Handel und Gewerbe zu treiben, die dem Landbewohner
ganz oder teilweiſe verboten ſind, ſowie das Recht, die Hülfe der Stadt für alle Ge-
ſchäfte außerhalb der Stadt in Anſpruch zu nehmen, ferner das Vorrecht auf den
Gerichtsſtand in der Stadt, die Befreiung von mancherlei Abgaben, das Vorrecht auf
Zollfreiheiten da und dort. Jede Stadt hatte ſo ihre beſonderen Rechte, und ſchon
deshalb konnte damals von einer allgemeinen Freizügigkeit der Einwohner eines Landes
in Bezug auf die einzelnen Städte nicht eigentlich die Rede ſein. Bürger der Stadt
wurde urſprünglich, wer eine Hufe in der Stadt erwarb, Jahr und Tag hier eigenen
Rauch hatte und von der Stadt d. h. dem Rate aufgenommen war. Als es dann beim
Emporblühen der Stadt ſich darum handelte, neben den beſitzenden Altbürgern raſch
eine größere Menge Händler, Handwerker und Arbeitskräfte von nah und fern heran-
zuziehen, als man den Hörigen, der Jahr und Tag in der Stadt unreklamiert geſeſſen,
nicht mehr auslieferte, ſtellte ſich neben die Bürgergemeinde die ſteigende Zahl von
Schutzgenoſſen, Bei- oder Hinterfaſſen, die ſpäteren Kleinbürger. Ihre Rechtsſtellung
war eine ſchwankende, vielfach eine demütigende; ſie ſelbſt ſuchen natürlich ins volle
Bürgerrecht mit ſeinem Einfluſſe, ſeinen Benefizien einzudringen; nach der Ausbildung
des Zunftweſens verbindet ſich mit der Aufnahme in die Zunft in vielen Städten die
Aufnahme ins Bürgerrecht; aber wenn der Aufzunehmende jetzt nicht mehr Haus und
Hufe als Eigentum nachweiſen muß, ſo fordert man von ihm nicht unerhebliche Ein-
kaufsgelder, den Nachweis eines Vermögens, des Meiſterrechtes und Stellung von Bürg-
ſchaft für ſein Verhalten, für ſein längeres Verbleiben in der Stadt. Und ſelbſt für
Städte mit Zunftherrſchaft, wie Baſel, hat man (Geering) neuerdings nachgewieſen, daß
die meiſten Zunftmeiſter zuerſt Jahre lang nur Zunftgenoſſen, dann erſt durch Einkauf,
durch geleiſtete Kriegsreiſen ꝛc. Bürger wurden. Noch ſpäter ſchloß man gar, wie in
Baſel gegen 1700, das Burgrecht; alle weiter etwa Zuziehenden waren und blieben
Beiſaſſen. Teilweiſe duldete man die Neuzuziehenden wohl gar nur als Fremde, um
ſie jederzeit beliebig ausweiſen zu können, wie das Herkner für Mühlhauſen nachwies.
Kurz, im ganzen haben die Städte mehr als nach feſtſtehenden liberalen Grundſätzen,
nach ihrem jeweiligen, richtig oder falſch verſtandenen Intereſſe die Aufnahme neuer
Bürger oder Beiſaſſen behandelt, die Zulaſſung in Zeiten des Aufſchwunges erleichtert,
ſonſt aber meiſt erſchwert, obwohl eine rechtliche Verpflichtung zur Armenunterſtützung
damals noch nicht beſtand, die Armenpflege noch überwiegend der Kirche und den Klöſtern
überlaſſen wurde.

Das Recht des freien Wiederaustrittes aus der Stadt iſt in einigen ſtädtiſchen
Stiftungsbriefen, um Anſiedler zu locken, ausgeſprochen; den Beſitzloſen hat man wohl
ſtets, zumal wenn es an Arbeitskräften nicht mangelte, ziehen laſſen. Der wohlhabende
Vollbürger aber wurde meiſt nicht ſo ohne weiteres entlaſſen; er mußte dem Rate
feierlich aufſagen, erhebliche Abzugsſteuern bezahlen, oft bis zu 10 % ſeines Vermögens,
ſchwören, für die Schulden der Stadt zu haften und eine Anzahl Jahre die Steuern
der Stadt noch zu zahlen. Das freie Eherecht für die Töchter der Bürger beſtand im
Gegenſatz zu Miniſterialen und Hörigen darin, daß kein Herr ſie beliebig verheiraten
durfte; aber im übrigen wurde z. B. der Wienerin durch das Stadtrecht nur erlaubt,
nubere cui velit, dummodo nubat utiliter civitati. Außerdem galt der Rechtsſatz, daß
an ſich durch Erbſchaft nichts aus der Stadt heraus dürfe, der freilich, durch Verträge
ermäßigt, in Erbſchaftsſteuer umgewandelt wurde. Noch Fiſcher ſagt in ſeinem Polizei-
recht 1782, jeder Stadt und jedem Gutsherrn komme das Abzugsrecht, d. h. ein Teil
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[295/0311] Die Stadtwirtſchaft; der Rat und die Bürgerſchaft. Die Bürgerſchaft enthält in den Zeiten des raſchen Stadtwachstums viele neue Elemente; ſie iſt in ſich keineswegs homogen; aber die Stadtmauern, das Stadtrecht und die Stadtfreiheit, die beſonderen Privilegien ſchaffen doch zwiſchen den meiſt die Zahl von 500—2000 nicht überſteigenden Familien einen engen Zuſammenhalt. Die mittelalterliche Stadtfreiheit giebt dem Stadtbürger viele koſtbare Rechte, die der Grund- hörige, ja teilweiſe auch der Freie des platten Landes entbehrte: ſo vor allem die perſönliche Freiheit und die gratia emendi et vendendi, den freien Verkehr auf dem ſtädtiſchen Markte, das Recht, Handel und Gewerbe zu treiben, die dem Landbewohner ganz oder teilweiſe verboten ſind, ſowie das Recht, die Hülfe der Stadt für alle Ge- ſchäfte außerhalb der Stadt in Anſpruch zu nehmen, ferner das Vorrecht auf den Gerichtsſtand in der Stadt, die Befreiung von mancherlei Abgaben, das Vorrecht auf Zollfreiheiten da und dort. Jede Stadt hatte ſo ihre beſonderen Rechte, und ſchon deshalb konnte damals von einer allgemeinen Freizügigkeit der Einwohner eines Landes in Bezug auf die einzelnen Städte nicht eigentlich die Rede ſein. Bürger der Stadt wurde urſprünglich, wer eine Hufe in der Stadt erwarb, Jahr und Tag hier eigenen Rauch hatte und von der Stadt d. h. dem Rate aufgenommen war. Als es dann beim Emporblühen der Stadt ſich darum handelte, neben den beſitzenden Altbürgern raſch eine größere Menge Händler, Handwerker und Arbeitskräfte von nah und fern heran- zuziehen, als man den Hörigen, der Jahr und Tag in der Stadt unreklamiert geſeſſen, nicht mehr auslieferte, ſtellte ſich neben die Bürgergemeinde die ſteigende Zahl von Schutzgenoſſen, Bei- oder Hinterfaſſen, die ſpäteren Kleinbürger. Ihre Rechtsſtellung war eine ſchwankende, vielfach eine demütigende; ſie ſelbſt ſuchen natürlich ins volle Bürgerrecht mit ſeinem Einfluſſe, ſeinen Benefizien einzudringen; nach der Ausbildung des Zunftweſens verbindet ſich mit der Aufnahme in die Zunft in vielen Städten die Aufnahme ins Bürgerrecht; aber wenn der Aufzunehmende jetzt nicht mehr Haus und Hufe als Eigentum nachweiſen muß, ſo fordert man von ihm nicht unerhebliche Ein- kaufsgelder, den Nachweis eines Vermögens, des Meiſterrechtes und Stellung von Bürg- ſchaft für ſein Verhalten, für ſein längeres Verbleiben in der Stadt. Und ſelbſt für Städte mit Zunftherrſchaft, wie Baſel, hat man (Geering) neuerdings nachgewieſen, daß die meiſten Zunftmeiſter zuerſt Jahre lang nur Zunftgenoſſen, dann erſt durch Einkauf, durch geleiſtete Kriegsreiſen ꝛc. Bürger wurden. Noch ſpäter ſchloß man gar, wie in Baſel gegen 1700, das Burgrecht; alle weiter etwa Zuziehenden waren und blieben Beiſaſſen. Teilweiſe duldete man die Neuzuziehenden wohl gar nur als Fremde, um ſie jederzeit beliebig ausweiſen zu können, wie das Herkner für Mühlhauſen nachwies. Kurz, im ganzen haben die Städte mehr als nach feſtſtehenden liberalen Grundſätzen, nach ihrem jeweiligen, richtig oder falſch verſtandenen Intereſſe die Aufnahme neuer Bürger oder Beiſaſſen behandelt, die Zulaſſung in Zeiten des Aufſchwunges erleichtert, ſonſt aber meiſt erſchwert, obwohl eine rechtliche Verpflichtung zur Armenunterſtützung damals noch nicht beſtand, die Armenpflege noch überwiegend der Kirche und den Klöſtern überlaſſen wurde. Das Recht des freien Wiederaustrittes aus der Stadt iſt in einigen ſtädtiſchen Stiftungsbriefen, um Anſiedler zu locken, ausgeſprochen; den Beſitzloſen hat man wohl ſtets, zumal wenn es an Arbeitskräften nicht mangelte, ziehen laſſen. Der wohlhabende Vollbürger aber wurde meiſt nicht ſo ohne weiteres entlaſſen; er mußte dem Rate feierlich aufſagen, erhebliche Abzugsſteuern bezahlen, oft bis zu 10 % ſeines Vermögens, ſchwören, für die Schulden der Stadt zu haften und eine Anzahl Jahre die Steuern der Stadt noch zu zahlen. Das freie Eherecht für die Töchter der Bürger beſtand im Gegenſatz zu Miniſterialen und Hörigen darin, daß kein Herr ſie beliebig verheiraten durfte; aber im übrigen wurde z. B. der Wienerin durch das Stadtrecht nur erlaubt, nubere cui velit, dummodo nubat utiliter civitati. Außerdem galt der Rechtsſatz, daß an ſich durch Erbſchaft nichts aus der Stadt heraus dürfe, der freilich, durch Verträge ermäßigt, in Erbſchaftsſteuer umgewandelt wurde. Noch Fiſcher ſagt in ſeinem Polizei- recht 1782, jeder Stadt und jedem Gutsherrn komme das Abzugsrecht, d. h. ein Teil des aus der Gemeinde herausgehenden Nachlaſſes zu.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/311>, abgerufen am 24.04.2024.