Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
amt der Besitzenden und Gebildeten, der zeitweise Militärdienst aller Staatsbürger gegen
geringe Entschädigung. Indem viele Tausende heute als Geschworene, Schöffen, Steuer-
einschätzer, Abgeordnete, als Reserve- und Landwehroffiziere, als Soldaten zeitweise für
den Staat thätig sind, werden ihm große Summen erspart, wird neben den Söldnergeist
der zahlreichen mittelmäßigen Beamten ein ganz anderes, bürgerlich unabhängiges Ele-
ment in die Staatsmaschine eingefügt. Wir haben darauf oben (S. 305/6) schon hin-
gewiesen. Da die Herstellung eines solchen Mechanismus mit der Arbeitsteilung der
heutigen Gesellschaft in einem natürlichen Widerspruche steht, so ist er nur in einem
mäßigen Umfange möglich und muß den Anforderungen der arbeitsteiligen Gesellschaft,
den Carrieren und Berufsstellungen, dem Einkommen der Betreffenden vorsichtig angepaßt
sein. Die Leistungen in solchen Ehrenämtern behalten teilweise notwendig etwas Dilettan-
tisches; sie lassen sich, wo den Betreffenden ein größerer Einfluß eingeräumt wird, nicht
freihalten von egoistisch-wirtschaftlichen Mißbräuchen, denen diese Elemente mehr als
eigentliche Staatsbeamte unterliegen; man hat deshalb schon gesagt, die ehrenamtliche
Selbstverwaltung und der Parlamentarismus mit seinen Majoritätsbeschlüssen sei eine
Art Klassenherrschaft. Und es muß daher der Hauptteil und Schwerpunkt der staatlichen
Arbeit bei berufsmäßig geschulten, ganz dem Staatsamte lebenden bezahlten Beamten
bleiben. Aber die Einrichtung ist ein notwendiges und heilsames Korrektiv der geld-
bezahlten, arbeitsteiligen Beamten- und Berufssoldatenarbeit; sie erzieht die ehrenamtlich
Thätigen zu politischem Verständnisse, erhebt den Bürger über sein egoistisches Sonder-
interesse auf das Niveau der Gesamtinteressen, erzeugt in ihnen ein höheres Streben
und ein staatliches Bewußtsein. Sie ist vor allem im Gemeindeleben in breiterer
Weise zu benutzen, wie wir gleich sehen werden.

Immer wird hiedurch wie durch das vollkommenste Beamtenrecht, das beste
Besoldungssystem, die straffste Disciplin und Kontrolle des Beamtentums nichts absolut
Vollkommenes zu erreichen sein. Nur nach dem Maße alles Menschlichen darf hier
gemessen werden. Gewiß sind heute in den Kulturstaaten die gröbsten, früher üblichen
Mißbräuche beseitigt; die Herrschenden und die Beamten haben nur ausnahmsweise noch
ihre Hände in den Taschen des Fiskus, auch die zahllosen kleinen Mißbräuche der
Beamten sind etwas weiter zurückgedrängt bei uns als in Rußland oder in den Ver-
einigten Staaten. Aber niemand wird behaupten, daß alle Beamten für ihr Amt so
interessiert seien wie für ihr Vermögen, niemand wird leugnen, daß selbst in Deutsch-
land auf 30 ausgezeichnete und fähige Staatsdiener 50 mittelmäßige und 20 schlechte
und indolente kommen. Damit ist heute, damit wäre in unendlich gesteigerter Pro-
portion zu rechnen, wenn die Staatsthätigkeit im Sinne des Socialismus die ganze
Volkswirtschaft erfaßte.

111. Die heutige Einwohnergemeinde und ihre Wirtschaft. Liegt
die Hauptschwierigkeit eines immer größer werdenden Staatshaushaltes in der Schwer-
fälligkeit und Unkontrollierbarkeit des persönlichen Riesenapparates der ungeheuren
Geldverwaltung, so liegt es nahe, daß, je größer die Staaten und ihre Aufgaben werden,
sie desto mehr die Provinzen, Kreise und Gemeinden als halb selbständige Gebiets-
körperschaften organisieren, ihnen bestimmte Zwecke auftragen und die Mittel hiefür
überlassen müssen. Wir haben darauf schon oben hingewiesen; es in allen Einzelheiten
hier darzustellen, ist nicht unsere Aufgabe. Nur von der wichtigsten dieser Bildungen,
der modernen Einwohnergemeinde und ihrer Wirtschaft, ist hier noch kurz zu reden.

Die heutige Gemeinde ist eine unter staatlicher Oberhoheit stehende Gebiets-
körperschaft, welche nicht mehr kraft Sonderrechts und Privilegs, sondern nach allgemein
gültigen Rechtsgrundsätzen die auf dem Gebiete befindlichen Grundstücke und Wohnungen
und die dauernd da sich aufhaltenden Personen zwangsmäßig zu gemeinsamen, wesentlich
auch wirtschaftlichen Zwecken zusammenfaßt; ihre Organe sind nicht mehr, wie zeitweise
im 17. und 18. Jahrhundert, zu reinen Staatsorganen herabgedrückt; das Gemeinde-
gebiet ist nicht mehr eine bloße geographische Abteilung des Staatsgebietes wie damals.
Die Gemeinde steht unter dem staatlichen Gesetze, führt vielfach staatliche Aufträge aus;
ihre eigenen Aufgaben sind ihr vom Gesetze zum großen Teile vorgeschrieben; aber sie

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
amt der Beſitzenden und Gebildeten, der zeitweiſe Militärdienſt aller Staatsbürger gegen
geringe Entſchädigung. Indem viele Tauſende heute als Geſchworene, Schöffen, Steuer-
einſchätzer, Abgeordnete, als Reſerve- und Landwehroffiziere, als Soldaten zeitweiſe für
den Staat thätig ſind, werden ihm große Summen erſpart, wird neben den Söldnergeiſt
der zahlreichen mittelmäßigen Beamten ein ganz anderes, bürgerlich unabhängiges Ele-
ment in die Staatsmaſchine eingefügt. Wir haben darauf oben (S. 305/6) ſchon hin-
gewieſen. Da die Herſtellung eines ſolchen Mechanismus mit der Arbeitsteilung der
heutigen Geſellſchaft in einem natürlichen Widerſpruche ſteht, ſo iſt er nur in einem
mäßigen Umfange möglich und muß den Anforderungen der arbeitsteiligen Geſellſchaft,
den Carrieren und Berufsſtellungen, dem Einkommen der Betreffenden vorſichtig angepaßt
ſein. Die Leiſtungen in ſolchen Ehrenämtern behalten teilweiſe notwendig etwas Dilettan-
tiſches; ſie laſſen ſich, wo den Betreffenden ein größerer Einfluß eingeräumt wird, nicht
freihalten von egoiſtiſch-wirtſchaftlichen Mißbräuchen, denen dieſe Elemente mehr als
eigentliche Staatsbeamte unterliegen; man hat deshalb ſchon geſagt, die ehrenamtliche
Selbſtverwaltung und der Parlamentarismus mit ſeinen Majoritätsbeſchlüſſen ſei eine
Art Klaſſenherrſchaft. Und es muß daher der Hauptteil und Schwerpunkt der ſtaatlichen
Arbeit bei berufsmäßig geſchulten, ganz dem Staatsamte lebenden bezahlten Beamten
bleiben. Aber die Einrichtung iſt ein notwendiges und heilſames Korrektiv der geld-
bezahlten, arbeitsteiligen Beamten- und Berufsſoldatenarbeit; ſie erzieht die ehrenamtlich
Thätigen zu politiſchem Verſtändniſſe, erhebt den Bürger über ſein egoiſtiſches Sonder-
intereſſe auf das Niveau der Geſamtintereſſen, erzeugt in ihnen ein höheres Streben
und ein ſtaatliches Bewußtſein. Sie iſt vor allem im Gemeindeleben in breiterer
Weiſe zu benutzen, wie wir gleich ſehen werden.

Immer wird hiedurch wie durch das vollkommenſte Beamtenrecht, das beſte
Beſoldungsſyſtem, die ſtraffſte Disciplin und Kontrolle des Beamtentums nichts abſolut
Vollkommenes zu erreichen ſein. Nur nach dem Maße alles Menſchlichen darf hier
gemeſſen werden. Gewiß ſind heute in den Kulturſtaaten die gröbſten, früher üblichen
Mißbräuche beſeitigt; die Herrſchenden und die Beamten haben nur ausnahmsweiſe noch
ihre Hände in den Taſchen des Fiskus, auch die zahlloſen kleinen Mißbräuche der
Beamten ſind etwas weiter zurückgedrängt bei uns als in Rußland oder in den Ver-
einigten Staaten. Aber niemand wird behaupten, daß alle Beamten für ihr Amt ſo
intereſſiert ſeien wie für ihr Vermögen, niemand wird leugnen, daß ſelbſt in Deutſch-
land auf 30 ausgezeichnete und fähige Staatsdiener 50 mittelmäßige und 20 ſchlechte
und indolente kommen. Damit iſt heute, damit wäre in unendlich geſteigerter Pro-
portion zu rechnen, wenn die Staatsthätigkeit im Sinne des Socialismus die ganze
Volkswirtſchaft erfaßte.

111. Die heutige Einwohnergemeinde und ihre Wirtſchaft. Liegt
die Hauptſchwierigkeit eines immer größer werdenden Staatshaushaltes in der Schwer-
fälligkeit und Unkontrollierbarkeit des perſönlichen Rieſenapparates der ungeheuren
Geldverwaltung, ſo liegt es nahe, daß, je größer die Staaten und ihre Aufgaben werden,
ſie deſto mehr die Provinzen, Kreiſe und Gemeinden als halb ſelbſtändige Gebiets-
körperſchaften organiſieren, ihnen beſtimmte Zwecke auftragen und die Mittel hiefür
überlaſſen müſſen. Wir haben darauf ſchon oben hingewieſen; es in allen Einzelheiten
hier darzuſtellen, iſt nicht unſere Aufgabe. Nur von der wichtigſten dieſer Bildungen,
der modernen Einwohnergemeinde und ihrer Wirtſchaft, iſt hier noch kurz zu reden.

Die heutige Gemeinde iſt eine unter ſtaatlicher Oberhoheit ſtehende Gebiets-
körperſchaft, welche nicht mehr kraft Sonderrechts und Privilegs, ſondern nach allgemein
gültigen Rechtsgrundſätzen die auf dem Gebiete befindlichen Grundſtücke und Wohnungen
und die dauernd da ſich aufhaltenden Perſonen zwangsmäßig zu gemeinſamen, weſentlich
auch wirtſchaftlichen Zwecken zuſammenfaßt; ihre Organe ſind nicht mehr, wie zeitweiſe
im 17. und 18. Jahrhundert, zu reinen Staatsorganen herabgedrückt; das Gemeinde-
gebiet iſt nicht mehr eine bloße geographiſche Abteilung des Staatsgebietes wie damals.
Die Gemeinde ſteht unter dem ſtaatlichen Geſetze, führt vielfach ſtaatliche Aufträge aus;
ihre eigenen Aufgaben ſind ihr vom Geſetze zum großen Teile vorgeſchrieben; aber ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0330" n="314"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die ge&#x017F;ell&#x017F;chaftliche Verfa&#x017F;&#x017F;ung der Volkswirt&#x017F;chaft.</fw><lb/>
amt der Be&#x017F;itzenden und Gebildeten, der zeitwei&#x017F;e Militärdien&#x017F;t aller Staatsbürger gegen<lb/>
geringe Ent&#x017F;chädigung. Indem viele Tau&#x017F;ende heute als Ge&#x017F;chworene, Schöffen, Steuer-<lb/>
ein&#x017F;chätzer, Abgeordnete, als Re&#x017F;erve- und Landwehroffiziere, als Soldaten zeitwei&#x017F;e für<lb/>
den Staat thätig &#x017F;ind, werden ihm große Summen er&#x017F;part, wird neben den Söldnergei&#x017F;t<lb/>
der zahlreichen mittelmäßigen Beamten ein ganz anderes, bürgerlich unabhängiges Ele-<lb/>
ment in die Staatsma&#x017F;chine eingefügt. Wir haben darauf oben (S. 305/6) &#x017F;chon hin-<lb/>
gewie&#x017F;en. Da die Her&#x017F;tellung eines &#x017F;olchen Mechanismus mit der Arbeitsteilung der<lb/>
heutigen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft in einem natürlichen Wider&#x017F;pruche &#x017F;teht, &#x017F;o i&#x017F;t er nur in einem<lb/>
mäßigen Umfange möglich und muß den Anforderungen der arbeitsteiligen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft,<lb/>
den Carrieren und Berufs&#x017F;tellungen, dem Einkommen der Betreffenden vor&#x017F;ichtig angepaßt<lb/>
&#x017F;ein. Die Lei&#x017F;tungen in &#x017F;olchen Ehrenämtern behalten teilwei&#x017F;e notwendig etwas Dilettan-<lb/>
ti&#x017F;ches; &#x017F;ie la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich, wo den Betreffenden ein größerer Einfluß eingeräumt wird, nicht<lb/>
freihalten von egoi&#x017F;ti&#x017F;ch-wirt&#x017F;chaftlichen Mißbräuchen, denen die&#x017F;e Elemente mehr als<lb/>
eigentliche Staatsbeamte unterliegen; man hat deshalb &#x017F;chon ge&#x017F;agt, die ehrenamtliche<lb/>
Selb&#x017F;tverwaltung und der Parlamentarismus mit &#x017F;einen Majoritätsbe&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ei eine<lb/>
Art Kla&#x017F;&#x017F;enherr&#x017F;chaft. Und es muß daher der Hauptteil und Schwerpunkt der &#x017F;taatlichen<lb/>
Arbeit bei berufsmäßig ge&#x017F;chulten, ganz dem Staatsamte lebenden bezahlten Beamten<lb/>
bleiben. Aber die Einrichtung i&#x017F;t ein notwendiges und heil&#x017F;ames Korrektiv der geld-<lb/>
bezahlten, arbeitsteiligen Beamten- und Berufs&#x017F;oldatenarbeit; &#x017F;ie erzieht die ehrenamtlich<lb/>
Thätigen zu politi&#x017F;chem Ver&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;e, erhebt den Bürger über &#x017F;ein egoi&#x017F;ti&#x017F;ches Sonder-<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;e auf das Niveau der Ge&#x017F;amtintere&#x017F;&#x017F;en, erzeugt in ihnen ein höheres Streben<lb/>
und ein &#x017F;taatliches Bewußt&#x017F;ein. Sie i&#x017F;t vor allem im Gemeindeleben in breiterer<lb/>
Wei&#x017F;e zu benutzen, wie wir gleich &#x017F;ehen werden.</p><lb/>
          <p>Immer wird hiedurch wie durch das vollkommen&#x017F;te Beamtenrecht, das be&#x017F;te<lb/>
Be&#x017F;oldungs&#x017F;y&#x017F;tem, die &#x017F;traff&#x017F;te Disciplin und Kontrolle des Beamtentums nichts ab&#x017F;olut<lb/>
Vollkommenes zu erreichen &#x017F;ein. Nur nach dem Maße alles Men&#x017F;chlichen darf hier<lb/>
geme&#x017F;&#x017F;en werden. Gewiß &#x017F;ind heute in den Kultur&#x017F;taaten die gröb&#x017F;ten, früher üblichen<lb/>
Mißbräuche be&#x017F;eitigt; die Herr&#x017F;chenden und die Beamten haben nur ausnahmswei&#x017F;e noch<lb/>
ihre Hände in den Ta&#x017F;chen des Fiskus, auch die zahllo&#x017F;en kleinen Mißbräuche der<lb/>
Beamten &#x017F;ind etwas weiter zurückgedrängt bei uns als in Rußland oder in den Ver-<lb/>
einigten Staaten. Aber niemand wird behaupten, daß alle Beamten für ihr Amt &#x017F;o<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;iert &#x017F;eien wie für ihr Vermögen, niemand wird leugnen, daß &#x017F;elb&#x017F;t in Deut&#x017F;ch-<lb/>
land auf 30 ausgezeichnete und fähige Staatsdiener 50 mittelmäßige und 20 &#x017F;chlechte<lb/>
und indolente kommen. Damit i&#x017F;t heute, damit wäre in unendlich ge&#x017F;teigerter Pro-<lb/>
portion zu rechnen, wenn die Staatsthätigkeit im Sinne des Socialismus die ganze<lb/>
Volkswirt&#x017F;chaft erfaßte.</p><lb/>
          <p>111. <hi rendition="#g">Die heutige Einwohnergemeinde und ihre Wirt&#x017F;chaft</hi>. Liegt<lb/>
die Haupt&#x017F;chwierigkeit eines immer größer werdenden Staatshaushaltes in der Schwer-<lb/>
fälligkeit und Unkontrollierbarkeit des per&#x017F;önlichen Rie&#x017F;enapparates der ungeheuren<lb/>
Geldverwaltung, &#x017F;o liegt es nahe, daß, je größer die Staaten und ihre Aufgaben werden,<lb/>
&#x017F;ie de&#x017F;to mehr die Provinzen, Krei&#x017F;e und Gemeinden als halb &#x017F;elb&#x017F;tändige Gebiets-<lb/>
körper&#x017F;chaften organi&#x017F;ieren, ihnen be&#x017F;timmte Zwecke auftragen und die Mittel hiefür<lb/>
überla&#x017F;&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;en. Wir haben darauf &#x017F;chon oben hingewie&#x017F;en; es in allen Einzelheiten<lb/>
hier darzu&#x017F;tellen, i&#x017F;t nicht un&#x017F;ere Aufgabe. Nur von der wichtig&#x017F;ten die&#x017F;er Bildungen,<lb/>
der modernen Einwohnergemeinde und ihrer Wirt&#x017F;chaft, i&#x017F;t hier noch kurz zu reden.</p><lb/>
          <p>Die heutige Gemeinde i&#x017F;t eine unter &#x017F;taatlicher Oberhoheit &#x017F;tehende Gebiets-<lb/>
körper&#x017F;chaft, welche nicht mehr kraft Sonderrechts und Privilegs, &#x017F;ondern nach allgemein<lb/>
gültigen Rechtsgrund&#x017F;ätzen die auf dem Gebiete befindlichen Grund&#x017F;tücke und Wohnungen<lb/>
und die dauernd da &#x017F;ich aufhaltenden Per&#x017F;onen zwangsmäßig zu gemein&#x017F;amen, we&#x017F;entlich<lb/>
auch wirt&#x017F;chaftlichen Zwecken zu&#x017F;ammenfaßt; ihre Organe &#x017F;ind nicht mehr, wie zeitwei&#x017F;e<lb/>
im 17. und 18. Jahrhundert, zu reinen Staatsorganen herabgedrückt; das Gemeinde-<lb/>
gebiet i&#x017F;t nicht mehr eine bloße geographi&#x017F;che Abteilung des Staatsgebietes wie damals.<lb/>
Die Gemeinde &#x017F;teht unter dem &#x017F;taatlichen Ge&#x017F;etze, führt vielfach &#x017F;taatliche Aufträge aus;<lb/>
ihre eigenen Aufgaben &#x017F;ind ihr vom Ge&#x017F;etze zum großen Teile vorge&#x017F;chrieben; aber &#x017F;ie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0330] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. amt der Beſitzenden und Gebildeten, der zeitweiſe Militärdienſt aller Staatsbürger gegen geringe Entſchädigung. Indem viele Tauſende heute als Geſchworene, Schöffen, Steuer- einſchätzer, Abgeordnete, als Reſerve- und Landwehroffiziere, als Soldaten zeitweiſe für den Staat thätig ſind, werden ihm große Summen erſpart, wird neben den Söldnergeiſt der zahlreichen mittelmäßigen Beamten ein ganz anderes, bürgerlich unabhängiges Ele- ment in die Staatsmaſchine eingefügt. Wir haben darauf oben (S. 305/6) ſchon hin- gewieſen. Da die Herſtellung eines ſolchen Mechanismus mit der Arbeitsteilung der heutigen Geſellſchaft in einem natürlichen Widerſpruche ſteht, ſo iſt er nur in einem mäßigen Umfange möglich und muß den Anforderungen der arbeitsteiligen Geſellſchaft, den Carrieren und Berufsſtellungen, dem Einkommen der Betreffenden vorſichtig angepaßt ſein. Die Leiſtungen in ſolchen Ehrenämtern behalten teilweiſe notwendig etwas Dilettan- tiſches; ſie laſſen ſich, wo den Betreffenden ein größerer Einfluß eingeräumt wird, nicht freihalten von egoiſtiſch-wirtſchaftlichen Mißbräuchen, denen dieſe Elemente mehr als eigentliche Staatsbeamte unterliegen; man hat deshalb ſchon geſagt, die ehrenamtliche Selbſtverwaltung und der Parlamentarismus mit ſeinen Majoritätsbeſchlüſſen ſei eine Art Klaſſenherrſchaft. Und es muß daher der Hauptteil und Schwerpunkt der ſtaatlichen Arbeit bei berufsmäßig geſchulten, ganz dem Staatsamte lebenden bezahlten Beamten bleiben. Aber die Einrichtung iſt ein notwendiges und heilſames Korrektiv der geld- bezahlten, arbeitsteiligen Beamten- und Berufsſoldatenarbeit; ſie erzieht die ehrenamtlich Thätigen zu politiſchem Verſtändniſſe, erhebt den Bürger über ſein egoiſtiſches Sonder- intereſſe auf das Niveau der Geſamtintereſſen, erzeugt in ihnen ein höheres Streben und ein ſtaatliches Bewußtſein. Sie iſt vor allem im Gemeindeleben in breiterer Weiſe zu benutzen, wie wir gleich ſehen werden. Immer wird hiedurch wie durch das vollkommenſte Beamtenrecht, das beſte Beſoldungsſyſtem, die ſtraffſte Disciplin und Kontrolle des Beamtentums nichts abſolut Vollkommenes zu erreichen ſein. Nur nach dem Maße alles Menſchlichen darf hier gemeſſen werden. Gewiß ſind heute in den Kulturſtaaten die gröbſten, früher üblichen Mißbräuche beſeitigt; die Herrſchenden und die Beamten haben nur ausnahmsweiſe noch ihre Hände in den Taſchen des Fiskus, auch die zahlloſen kleinen Mißbräuche der Beamten ſind etwas weiter zurückgedrängt bei uns als in Rußland oder in den Ver- einigten Staaten. Aber niemand wird behaupten, daß alle Beamten für ihr Amt ſo intereſſiert ſeien wie für ihr Vermögen, niemand wird leugnen, daß ſelbſt in Deutſch- land auf 30 ausgezeichnete und fähige Staatsdiener 50 mittelmäßige und 20 ſchlechte und indolente kommen. Damit iſt heute, damit wäre in unendlich geſteigerter Pro- portion zu rechnen, wenn die Staatsthätigkeit im Sinne des Socialismus die ganze Volkswirtſchaft erfaßte. 111. Die heutige Einwohnergemeinde und ihre Wirtſchaft. Liegt die Hauptſchwierigkeit eines immer größer werdenden Staatshaushaltes in der Schwer- fälligkeit und Unkontrollierbarkeit des perſönlichen Rieſenapparates der ungeheuren Geldverwaltung, ſo liegt es nahe, daß, je größer die Staaten und ihre Aufgaben werden, ſie deſto mehr die Provinzen, Kreiſe und Gemeinden als halb ſelbſtändige Gebiets- körperſchaften organiſieren, ihnen beſtimmte Zwecke auftragen und die Mittel hiefür überlaſſen müſſen. Wir haben darauf ſchon oben hingewieſen; es in allen Einzelheiten hier darzuſtellen, iſt nicht unſere Aufgabe. Nur von der wichtigſten dieſer Bildungen, der modernen Einwohnergemeinde und ihrer Wirtſchaft, iſt hier noch kurz zu reden. Die heutige Gemeinde iſt eine unter ſtaatlicher Oberhoheit ſtehende Gebiets- körperſchaft, welche nicht mehr kraft Sonderrechts und Privilegs, ſondern nach allgemein gültigen Rechtsgrundſätzen die auf dem Gebiete befindlichen Grundſtücke und Wohnungen und die dauernd da ſich aufhaltenden Perſonen zwangsmäßig zu gemeinſamen, weſentlich auch wirtſchaftlichen Zwecken zuſammenfaßt; ihre Organe ſind nicht mehr, wie zeitweiſe im 17. und 18. Jahrhundert, zu reinen Staatsorganen herabgedrückt; das Gemeinde- gebiet iſt nicht mehr eine bloße geographiſche Abteilung des Staatsgebietes wie damals. Die Gemeinde ſteht unter dem ſtaatlichen Geſetze, führt vielfach ſtaatliche Aufträge aus; ihre eigenen Aufgaben ſind ihr vom Geſetze zum großen Teile vorgeſchrieben; aber ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/330
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/330>, abgerufen am 29.03.2024.