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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die steigenden wirtschaftlichen Staatsaufgaben.

Alles Straßen-, Verkehrs- und Marktwesen beruht auf gemeinsamer Veranstaltung,
nämlich auf Straßen-, Brücken- und sonstigen Bauten, Kosten für Urmaße, Münzprägung,
Warenschau. Je größer die Gemeinwesen wurden, desto weniger genügte die Sorge von
Vereinen, Genossenschaften, Gemeinden, desto mehr mußten diese Veranstaltungen im
Gesamtinteresse gemacht, gerecht gehandhabt, von den egoistischen Sonderinteressen ein-
zelner Geschäfte, Orte und Klassen befreit werden. Deshalb mußte die Münzprägung
und das Postwesen verstaatlicht werden (in Deutschland hauptsächlich 1600--1866); die
wichtigsten großen Straßen übernahm allerwärts der Staat; die Eisenbahnen sind auch
besser in Staats- und Reichshänden, sind in Deutschland und in einer Reihe anderer
Länder wenigstens, hauptsächlich 1870--90, verstaatlicht worden. Aller Eisenbahnbetrieb
stellt ein großes wirtschaftliches Monopol dar; die Aktienbahnen bauen nur die centralen
Haupt-, nicht die Nebenlinien; ihre Konkurrenz stellt eine Verschwendung an National-
vermögen dar; die Verschiedenheit ihrer Verwaltung, Einrichtung, Tarife hindert die
Landesverteidigung, erschwert und verteuert den Verkehr, macht eine nationale Verkehrs-
und Tarifpolitik unmöglich; nicht umsonst rief Bismarck, die 63 deutschen Eisenbahn-
gebiete schaffen ein Fehderecht wie im Mittelalter. In der Hand von privaten
Kapitalmagnaten sind die Eisenbahnen und ihre Aktien das Mittel der Börsenspekulation,
der ungeheuren Bereicherung der Aktionäre, der politischen und wirtschaftlichen Herrschaft
der Großkapitalisten über Staat und Volkswirtschaft. Für gewisse Teile der Kredit-
organisation, besonders die, welche das Notenwesen betreffen, mit der Geldcirkulation
zusammenhängen, verlangen ähnliche Gründe eine staatliche Organisation oder staatliche
Kontrolle. Für eine Verstaatlichung der Kohlenbergwerke, gewisser Teile der Eisen- und
Waffenindustrie, für eine staatliche Verwaltung der Wasserkräfte, der Elektricitätswerke,
aller großen mechanischen Kräfte haben sich neuerdings manche Stimmen erhoben. Ob
man sich Derartigem weiter nähert, wird von den socialen Kämpfen in diesen Industrien
und der Art abhängen, wie Ringe und Kartelle in ihnen ihre Macht ge- oder miß-
brauchen.

Die steigende Rolle des Staates im Bildungs- und Schulwesen beruht auf anderen
Ursachen. Eine gewisse Einheit der sittlich-religiösen Gefühle und der Bildung war
stets die Voraussetzung eines höheren Kulturlebens, zumal freier Verfassungsformen;
sie war früher unter einfacheren Verhältnissen leichter herzustellen, zumal wo Staat und
Kirche noch zusammenfielen. Als sie sich trennten, als die Gesellschaft und ihre Bildung
gespaltener wurden, entstanden Privatschulen, Korporations- und Gemeindeschulen, kirch-
liche Schulen, staatliche Schulanstalten, kurz eine Summe sich kreuzender und bekämpfender
Einrichtungen. Je mehr ein weltlicher paritätischer Staat sich ausbildete, je verschiedenere
Religions- und Sittlichkeitssysteme sich in einem Lande um den Vorrang stritten, desto
mehr hatte der Staat Anlaß, zuerst höhere, dann auch niedere Schulen, zu deren Unter-
halt er die Gemeinden zwang oder heranzog, zu schaffen. Nur damit konnte er hoffen,
im ganzen Volke diejenige einigermaßen homogene geistige Atmosphäre herzustellen, ohne
welche die verschiedenen Elemente sich nicht verstehen können, ohne welche vor allem die
unteren Klassen den schweren Kampf des heutigen freien Erwerbslebens nicht kämpfen
können.

Die Verkehrs- und die Schulanstalten stellen die Gebiete der größten neueren
Ausdehnung der Staatsthätigkeit dar; ich füge den oben angegebenen Zahlen die Notiz
bei, daß Württemberg 1889--90 auf 3093 gewöhnliche Beamte 6000 im Schul- und
5400 im Verkehrsdienste hatte. --

Man versuchte, für die ganze Grenzbestimmung zwischen öffentlicher und Privat-
thätigkeit einfache, feste, klare Formeln aufzustellen: der Staat oder die Gemeinde solle
alle Monopole übernehmen, weil sie in Privathänden zur mißbräuchlichen Ausnutzung
führen; aber was ist ein Monopol? Der Staat solle alle Anstalten, die ihrer wirtschaft-
lichen und sonstigen Gesellschaftsnatur nach über das ganze Land sich ausdehnen müssen,
alle die, welche mehr für die Zukunft als für die Gegenwart arbeiten, alle, deren Produkte
im Wege des gewöhnlichen Tauschverkehrs nicht leicht gerecht zu bezahlen sind, deren
Leistungen ohne große Kostensteigerung Tausenden und Millionen zugänglich gemacht

Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre. I. 21
Die ſteigenden wirtſchaftlichen Staatsaufgaben.

Alles Straßen-, Verkehrs- und Marktweſen beruht auf gemeinſamer Veranſtaltung,
nämlich auf Straßen-, Brücken- und ſonſtigen Bauten, Koſten für Urmaße, Münzprägung,
Warenſchau. Je größer die Gemeinweſen wurden, deſto weniger genügte die Sorge von
Vereinen, Genoſſenſchaften, Gemeinden, deſto mehr mußten dieſe Veranſtaltungen im
Geſamtintereſſe gemacht, gerecht gehandhabt, von den egoiſtiſchen Sonderintereſſen ein-
zelner Geſchäfte, Orte und Klaſſen befreit werden. Deshalb mußte die Münzprägung
und das Poſtweſen verſtaatlicht werden (in Deutſchland hauptſächlich 1600—1866); die
wichtigſten großen Straßen übernahm allerwärts der Staat; die Eiſenbahnen ſind auch
beſſer in Staats- und Reichshänden, ſind in Deutſchland und in einer Reihe anderer
Länder wenigſtens, hauptſächlich 1870—90, verſtaatlicht worden. Aller Eiſenbahnbetrieb
ſtellt ein großes wirtſchaftliches Monopol dar; die Aktienbahnen bauen nur die centralen
Haupt-, nicht die Nebenlinien; ihre Konkurrenz ſtellt eine Verſchwendung an National-
vermögen dar; die Verſchiedenheit ihrer Verwaltung, Einrichtung, Tarife hindert die
Landesverteidigung, erſchwert und verteuert den Verkehr, macht eine nationale Verkehrs-
und Tarifpolitik unmöglich; nicht umſonſt rief Bismarck, die 63 deutſchen Eiſenbahn-
gebiete ſchaffen ein Fehderecht wie im Mittelalter. In der Hand von privaten
Kapitalmagnaten ſind die Eiſenbahnen und ihre Aktien das Mittel der Börſenſpekulation,
der ungeheuren Bereicherung der Aktionäre, der politiſchen und wirtſchaftlichen Herrſchaft
der Großkapitaliſten über Staat und Volkswirtſchaft. Für gewiſſe Teile der Kredit-
organiſation, beſonders die, welche das Notenweſen betreffen, mit der Geldcirkulation
zuſammenhängen, verlangen ähnliche Gründe eine ſtaatliche Organiſation oder ſtaatliche
Kontrolle. Für eine Verſtaatlichung der Kohlenbergwerke, gewiſſer Teile der Eiſen- und
Waffeninduſtrie, für eine ſtaatliche Verwaltung der Waſſerkräfte, der Elektricitätswerke,
aller großen mechaniſchen Kräfte haben ſich neuerdings manche Stimmen erhoben. Ob
man ſich Derartigem weiter nähert, wird von den ſocialen Kämpfen in dieſen Induſtrien
und der Art abhängen, wie Ringe und Kartelle in ihnen ihre Macht ge- oder miß-
brauchen.

Die ſteigende Rolle des Staates im Bildungs- und Schulweſen beruht auf anderen
Urſachen. Eine gewiſſe Einheit der ſittlich-religiöſen Gefühle und der Bildung war
ſtets die Vorausſetzung eines höheren Kulturlebens, zumal freier Verfaſſungsformen;
ſie war früher unter einfacheren Verhältniſſen leichter herzuſtellen, zumal wo Staat und
Kirche noch zuſammenfielen. Als ſie ſich trennten, als die Geſellſchaft und ihre Bildung
geſpaltener wurden, entſtanden Privatſchulen, Korporations- und Gemeindeſchulen, kirch-
liche Schulen, ſtaatliche Schulanſtalten, kurz eine Summe ſich kreuzender und bekämpfender
Einrichtungen. Je mehr ein weltlicher paritätiſcher Staat ſich ausbildete, je verſchiedenere
Religions- und Sittlichkeitsſyſteme ſich in einem Lande um den Vorrang ſtritten, deſto
mehr hatte der Staat Anlaß, zuerſt höhere, dann auch niedere Schulen, zu deren Unter-
halt er die Gemeinden zwang oder heranzog, zu ſchaffen. Nur damit konnte er hoffen,
im ganzen Volke diejenige einigermaßen homogene geiſtige Atmoſphäre herzuſtellen, ohne
welche die verſchiedenen Elemente ſich nicht verſtehen können, ohne welche vor allem die
unteren Klaſſen den ſchweren Kampf des heutigen freien Erwerbslebens nicht kämpfen
können.

Die Verkehrs- und die Schulanſtalten ſtellen die Gebiete der größten neueren
Ausdehnung der Staatsthätigkeit dar; ich füge den oben angegebenen Zahlen die Notiz
bei, daß Württemberg 1889—90 auf 3093 gewöhnliche Beamte 6000 im Schul- und
5400 im Verkehrsdienſte hatte. —

Man verſuchte, für die ganze Grenzbeſtimmung zwiſchen öffentlicher und Privat-
thätigkeit einfache, feſte, klare Formeln aufzuſtellen: der Staat oder die Gemeinde ſolle
alle Monopole übernehmen, weil ſie in Privathänden zur mißbräuchlichen Ausnutzung
führen; aber was iſt ein Monopol? Der Staat ſolle alle Anſtalten, die ihrer wirtſchaft-
lichen und ſonſtigen Geſellſchaftsnatur nach über das ganze Land ſich ausdehnen müſſen,
alle die, welche mehr für die Zukunft als für die Gegenwart arbeiten, alle, deren Produkte
im Wege des gewöhnlichen Tauſchverkehrs nicht leicht gerecht zu bezahlen ſind, deren
Leiſtungen ohne große Koſtenſteigerung Tauſenden und Millionen zugänglich gemacht

Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 21
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[321/0337] Die ſteigenden wirtſchaftlichen Staatsaufgaben. Alles Straßen-, Verkehrs- und Marktweſen beruht auf gemeinſamer Veranſtaltung, nämlich auf Straßen-, Brücken- und ſonſtigen Bauten, Koſten für Urmaße, Münzprägung, Warenſchau. Je größer die Gemeinweſen wurden, deſto weniger genügte die Sorge von Vereinen, Genoſſenſchaften, Gemeinden, deſto mehr mußten dieſe Veranſtaltungen im Geſamtintereſſe gemacht, gerecht gehandhabt, von den egoiſtiſchen Sonderintereſſen ein- zelner Geſchäfte, Orte und Klaſſen befreit werden. Deshalb mußte die Münzprägung und das Poſtweſen verſtaatlicht werden (in Deutſchland hauptſächlich 1600—1866); die wichtigſten großen Straßen übernahm allerwärts der Staat; die Eiſenbahnen ſind auch beſſer in Staats- und Reichshänden, ſind in Deutſchland und in einer Reihe anderer Länder wenigſtens, hauptſächlich 1870—90, verſtaatlicht worden. Aller Eiſenbahnbetrieb ſtellt ein großes wirtſchaftliches Monopol dar; die Aktienbahnen bauen nur die centralen Haupt-, nicht die Nebenlinien; ihre Konkurrenz ſtellt eine Verſchwendung an National- vermögen dar; die Verſchiedenheit ihrer Verwaltung, Einrichtung, Tarife hindert die Landesverteidigung, erſchwert und verteuert den Verkehr, macht eine nationale Verkehrs- und Tarifpolitik unmöglich; nicht umſonſt rief Bismarck, die 63 deutſchen Eiſenbahn- gebiete ſchaffen ein Fehderecht wie im Mittelalter. In der Hand von privaten Kapitalmagnaten ſind die Eiſenbahnen und ihre Aktien das Mittel der Börſenſpekulation, der ungeheuren Bereicherung der Aktionäre, der politiſchen und wirtſchaftlichen Herrſchaft der Großkapitaliſten über Staat und Volkswirtſchaft. Für gewiſſe Teile der Kredit- organiſation, beſonders die, welche das Notenweſen betreffen, mit der Geldcirkulation zuſammenhängen, verlangen ähnliche Gründe eine ſtaatliche Organiſation oder ſtaatliche Kontrolle. Für eine Verſtaatlichung der Kohlenbergwerke, gewiſſer Teile der Eiſen- und Waffeninduſtrie, für eine ſtaatliche Verwaltung der Waſſerkräfte, der Elektricitätswerke, aller großen mechaniſchen Kräfte haben ſich neuerdings manche Stimmen erhoben. Ob man ſich Derartigem weiter nähert, wird von den ſocialen Kämpfen in dieſen Induſtrien und der Art abhängen, wie Ringe und Kartelle in ihnen ihre Macht ge- oder miß- brauchen. Die ſteigende Rolle des Staates im Bildungs- und Schulweſen beruht auf anderen Urſachen. Eine gewiſſe Einheit der ſittlich-religiöſen Gefühle und der Bildung war ſtets die Vorausſetzung eines höheren Kulturlebens, zumal freier Verfaſſungsformen; ſie war früher unter einfacheren Verhältniſſen leichter herzuſtellen, zumal wo Staat und Kirche noch zuſammenfielen. Als ſie ſich trennten, als die Geſellſchaft und ihre Bildung geſpaltener wurden, entſtanden Privatſchulen, Korporations- und Gemeindeſchulen, kirch- liche Schulen, ſtaatliche Schulanſtalten, kurz eine Summe ſich kreuzender und bekämpfender Einrichtungen. Je mehr ein weltlicher paritätiſcher Staat ſich ausbildete, je verſchiedenere Religions- und Sittlichkeitsſyſteme ſich in einem Lande um den Vorrang ſtritten, deſto mehr hatte der Staat Anlaß, zuerſt höhere, dann auch niedere Schulen, zu deren Unter- halt er die Gemeinden zwang oder heranzog, zu ſchaffen. Nur damit konnte er hoffen, im ganzen Volke diejenige einigermaßen homogene geiſtige Atmoſphäre herzuſtellen, ohne welche die verſchiedenen Elemente ſich nicht verſtehen können, ohne welche vor allem die unteren Klaſſen den ſchweren Kampf des heutigen freien Erwerbslebens nicht kämpfen können. Die Verkehrs- und die Schulanſtalten ſtellen die Gebiete der größten neueren Ausdehnung der Staatsthätigkeit dar; ich füge den oben angegebenen Zahlen die Notiz bei, daß Württemberg 1889—90 auf 3093 gewöhnliche Beamte 6000 im Schul- und 5400 im Verkehrsdienſte hatte. — Man verſuchte, für die ganze Grenzbeſtimmung zwiſchen öffentlicher und Privat- thätigkeit einfache, feſte, klare Formeln aufzuſtellen: der Staat oder die Gemeinde ſolle alle Monopole übernehmen, weil ſie in Privathänden zur mißbräuchlichen Ausnutzung führen; aber was iſt ein Monopol? Der Staat ſolle alle Anſtalten, die ihrer wirtſchaft- lichen und ſonſtigen Geſellſchaftsnatur nach über das ganze Land ſich ausdehnen müſſen, alle die, welche mehr für die Zukunft als für die Gegenwart arbeiten, alle, deren Produkte im Wege des gewöhnlichen Tauſchverkehrs nicht leicht gerecht zu bezahlen ſind, deren Leiſtungen ohne große Koſtenſteigerung Tauſenden und Millionen zugänglich gemacht Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 21

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/337>, abgerufen am 23.04.2024.