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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
auch sei, was das Urteil der Menschen über einander beherrsche, die wirkliche Einsicht
oder der Schein der Dinge, die Leistung für die Gesellschaft oder der äußere sichtbare
Erfolg derselben, wie z. B. der Besitz und die Standesabzeichen, es muß in jedem
Stadium der geistigen und wirtschaftlichen Kultur eine Rangordnung entstehen, und sie
muß je nach dem Wechsel der Werturteile über Leistungen und Erfolge wechseln. Lange
Epochen hindurch erschien hier der Priester-, dort der Kriegerstand als der erste; ander-
wärts ist es ein Amtsadel, später die Klasse der aus diesem Stande hervorgehenden
großen Grundbesitzer, wieder zu anderer Zeit und an anderen Orten stehen die großen
Kaufleute, die großen Bankiers und Industriellen voran. Da die Ehre und Rangordnung
der Gruppen etwas langsam Wachsendes ist, das im Laufe der Generationen erkämpft,
mit Energie festgehalten wird, so drückt sich häufig in der jeweiligen Ordnung nicht die
lebendige Wirklichkeit, sondern eine rückwärts liegende Vergangenheit aus. Die Nach-
kommen tapferer Krieger behalten Wappenschilde, Titel, bevorzugte gesellschaftliche
Stellung lange, nachdem sie friedliche Krautjunker und Grundbesitzer geworden; sie
beanspruchen denselben Rang da, wo sie ihren alten Standesrang durch neue Thätigkeit
im Offiziers- oder Beamtenstand, in der ehrenamtlichen Selbstverwaltung neu verdient
haben, wie da, wo sie nur den Vergnügungen und Lastern des vornehmen Lebens, dem
Weiber- und Pferdesport, dem Spiele und der Jagd, dem faden Hofleben sich ergeben.
Die schlichte Handarbeit hat man lange unterschätzt, heute sind gewisse Theorien und
Klassen teilweise geneigt, sie zu überschätzen. Die staatliche Gewalt und ein fürstlicher Hof
können durch Rangreglements, durch Titelverleihung, durch Erteilung politischer Rechte
die ganze sociale Rangordnung beeinflussen, ihre hieher gehörigen Handlungen stehen
aber dabei unter demselben psychologischen Gesetz wie die freie öffentliche Meinung selbst
in der demokratischen Republik. Wenn in den Vereinigten Staaten heute vor allem
der Geldmacher und der Millionär geschätzt wird, so geschieht es, weil es in der breiten
Masse des Volkes noch an Verständnis für den Wert wissenschaftlicher, politischer und
anderer Leistungen als der des smart fellow im Geschäftsleben fehlt. Überall werden
die Berufe und die Leistungen sowie die daran sich schließenden Besitzgrößen und Besitz-
arten gewertet nach dem, was jeweilig in den entscheidenden, führenden, die öffentliche
Meinung beherrschenden Kreisen als das Wichtigere, das für das Vaterland Wertvollere
gilt. Und da keine Zeit kommen wird, in welcher die Thätigkeit des großen Ministers
und die des letzten Bureaudieners, die eines Großindustriellen wie Werner Siemens und
die des gewöhnlichen Fabrikarbeiters für gleichwertig gelten, so wird auch nie eine
gewisse Über- und Unterordnung der Stände und Klassen verschwinden. Wer da weiß, wie
die gute Köchin auf das Hausmädchen, der Diener im gräflichen auf den im bürger-
lichen Hause, der gelernte Maurer und Zimmermann auf den bloßen Handlanger herab-
sieht, wer da weiß, wie fest solche Rangordnungen in Anschauung und Einkommen aller
Beteiligten trotz alles heutigen Gleichheitsfanatismus sich ausdrücken, der wird eine
gewisse Hierarchie der Stände als eine psychologische Notwendigkeit aller Zeiten begreifen.

Wie die sociale Klassenbildung sich äußere, ist in vorstehendem schon gestreift.
Wir fügen darüber noch kurz folgendes bei. Wer zur selben Klasse gehört, nimmt,
ob er höheres oder geringeres Einkommen habe, im ganzen dieselben Ehren in Anspruch;
die Klassengenossen verkehren gesellschaftlich, verehelichen sich überwiegend in ihrer Klasse,
sie tragen gleiche oder ähnliche Kleider, haben ähnliche Gewohnheit des Essens, ähnliche
Sitten und Ceremonien in ihren Zusammenkünften, Spielen, Festen, fahren in derselben
Eisenbahnklasse. Die weitere Konsequenz ist, daß sie in älterer Zeit das gleiche Wehr-
geld, den gleichen Gerichtsstand haben; Wahlrechte und viele andere Rechte stufen sich
entsprechend ab. -- In Indien unterscheiden sich die Kasten wesentlich durch die ver-
schiedenen Speisen und Tiere, die den einen erlaubt, den anderen verboten sind. Bis
auf unsere Tage ist bei allen Völkern Sitte, daß nur die denselben Klassen An-
gehörigen an demselben Tische mit einander essen und trinken. Noch heute gilt überall die
Vornahme gewisser Arbeiten oder ihre Vermeidung als Zeichen der gleichen socialen
Würde: wer den Pflug nicht selbst führt, wer keine Last auf der Straße trägt, diese
oder jene Arbeit nicht oder nicht vor anderen verrichtet (wer seiner Zeit in der Weber-

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
auch ſei, was das Urteil der Menſchen über einander beherrſche, die wirkliche Einſicht
oder der Schein der Dinge, die Leiſtung für die Geſellſchaft oder der äußere ſichtbare
Erfolg derſelben, wie z. B. der Beſitz und die Standesabzeichen, es muß in jedem
Stadium der geiſtigen und wirtſchaftlichen Kultur eine Rangordnung entſtehen, und ſie
muß je nach dem Wechſel der Werturteile über Leiſtungen und Erfolge wechſeln. Lange
Epochen hindurch erſchien hier der Prieſter-, dort der Kriegerſtand als der erſte; ander-
wärts iſt es ein Amtsadel, ſpäter die Klaſſe der aus dieſem Stande hervorgehenden
großen Grundbeſitzer, wieder zu anderer Zeit und an anderen Orten ſtehen die großen
Kaufleute, die großen Bankiers und Induſtriellen voran. Da die Ehre und Rangordnung
der Gruppen etwas langſam Wachſendes iſt, das im Laufe der Generationen erkämpft,
mit Energie feſtgehalten wird, ſo drückt ſich häufig in der jeweiligen Ordnung nicht die
lebendige Wirklichkeit, ſondern eine rückwärts liegende Vergangenheit aus. Die Nach-
kommen tapferer Krieger behalten Wappenſchilde, Titel, bevorzugte geſellſchaftliche
Stellung lange, nachdem ſie friedliche Krautjunker und Grundbeſitzer geworden; ſie
beanſpruchen denſelben Rang da, wo ſie ihren alten Standesrang durch neue Thätigkeit
im Offiziers- oder Beamtenſtand, in der ehrenamtlichen Selbſtverwaltung neu verdient
haben, wie da, wo ſie nur den Vergnügungen und Laſtern des vornehmen Lebens, dem
Weiber- und Pferdeſport, dem Spiele und der Jagd, dem faden Hofleben ſich ergeben.
Die ſchlichte Handarbeit hat man lange unterſchätzt, heute ſind gewiſſe Theorien und
Klaſſen teilweiſe geneigt, ſie zu überſchätzen. Die ſtaatliche Gewalt und ein fürſtlicher Hof
können durch Rangreglements, durch Titelverleihung, durch Erteilung politiſcher Rechte
die ganze ſociale Rangordnung beeinfluſſen, ihre hieher gehörigen Handlungen ſtehen
aber dabei unter demſelben pſychologiſchen Geſetz wie die freie öffentliche Meinung ſelbſt
in der demokratiſchen Republik. Wenn in den Vereinigten Staaten heute vor allem
der Geldmacher und der Millionär geſchätzt wird, ſo geſchieht es, weil es in der breiten
Maſſe des Volkes noch an Verſtändnis für den Wert wiſſenſchaftlicher, politiſcher und
anderer Leiſtungen als der des smart fellow im Geſchäftsleben fehlt. Überall werden
die Berufe und die Leiſtungen ſowie die daran ſich ſchließenden Beſitzgrößen und Beſitz-
arten gewertet nach dem, was jeweilig in den entſcheidenden, führenden, die öffentliche
Meinung beherrſchenden Kreiſen als das Wichtigere, das für das Vaterland Wertvollere
gilt. Und da keine Zeit kommen wird, in welcher die Thätigkeit des großen Miniſters
und die des letzten Bureaudieners, die eines Großinduſtriellen wie Werner Siemens und
die des gewöhnlichen Fabrikarbeiters für gleichwertig gelten, ſo wird auch nie eine
gewiſſe Über- und Unterordnung der Stände und Klaſſen verſchwinden. Wer da weiß, wie
die gute Köchin auf das Hausmädchen, der Diener im gräflichen auf den im bürger-
lichen Hauſe, der gelernte Maurer und Zimmermann auf den bloßen Handlanger herab-
ſieht, wer da weiß, wie feſt ſolche Rangordnungen in Anſchauung und Einkommen aller
Beteiligten trotz alles heutigen Gleichheitsfanatismus ſich ausdrücken, der wird eine
gewiſſe Hierarchie der Stände als eine pſychologiſche Notwendigkeit aller Zeiten begreifen.

Wie die ſociale Klaſſenbildung ſich äußere, iſt in vorſtehendem ſchon geſtreift.
Wir fügen darüber noch kurz folgendes bei. Wer zur ſelben Klaſſe gehört, nimmt,
ob er höheres oder geringeres Einkommen habe, im ganzen dieſelben Ehren in Anſpruch;
die Klaſſengenoſſen verkehren geſellſchaftlich, verehelichen ſich überwiegend in ihrer Klaſſe,
ſie tragen gleiche oder ähnliche Kleider, haben ähnliche Gewohnheit des Eſſens, ähnliche
Sitten und Ceremonien in ihren Zuſammenkünften, Spielen, Feſten, fahren in derſelben
Eiſenbahnklaſſe. Die weitere Konſequenz iſt, daß ſie in älterer Zeit das gleiche Wehr-
geld, den gleichen Gerichtsſtand haben; Wahlrechte und viele andere Rechte ſtufen ſich
entſprechend ab. — In Indien unterſcheiden ſich die Kaſten weſentlich durch die ver-
ſchiedenen Speiſen und Tiere, die den einen erlaubt, den anderen verboten ſind. Bis
auf unſere Tage iſt bei allen Völkern Sitte, daß nur die denſelben Klaſſen An-
gehörigen an demſelben Tiſche mit einander eſſen und trinken. Noch heute gilt überall die
Vornahme gewiſſer Arbeiten oder ihre Vermeidung als Zeichen der gleichen ſocialen
Würde: wer den Pflug nicht ſelbſt führt, wer keine Laſt auf der Straße trägt, dieſe
oder jene Arbeit nicht oder nicht vor anderen verrichtet (wer ſeiner Zeit in der Weber-

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[394/0410] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. auch ſei, was das Urteil der Menſchen über einander beherrſche, die wirkliche Einſicht oder der Schein der Dinge, die Leiſtung für die Geſellſchaft oder der äußere ſichtbare Erfolg derſelben, wie z. B. der Beſitz und die Standesabzeichen, es muß in jedem Stadium der geiſtigen und wirtſchaftlichen Kultur eine Rangordnung entſtehen, und ſie muß je nach dem Wechſel der Werturteile über Leiſtungen und Erfolge wechſeln. Lange Epochen hindurch erſchien hier der Prieſter-, dort der Kriegerſtand als der erſte; ander- wärts iſt es ein Amtsadel, ſpäter die Klaſſe der aus dieſem Stande hervorgehenden großen Grundbeſitzer, wieder zu anderer Zeit und an anderen Orten ſtehen die großen Kaufleute, die großen Bankiers und Induſtriellen voran. Da die Ehre und Rangordnung der Gruppen etwas langſam Wachſendes iſt, das im Laufe der Generationen erkämpft, mit Energie feſtgehalten wird, ſo drückt ſich häufig in der jeweiligen Ordnung nicht die lebendige Wirklichkeit, ſondern eine rückwärts liegende Vergangenheit aus. Die Nach- kommen tapferer Krieger behalten Wappenſchilde, Titel, bevorzugte geſellſchaftliche Stellung lange, nachdem ſie friedliche Krautjunker und Grundbeſitzer geworden; ſie beanſpruchen denſelben Rang da, wo ſie ihren alten Standesrang durch neue Thätigkeit im Offiziers- oder Beamtenſtand, in der ehrenamtlichen Selbſtverwaltung neu verdient haben, wie da, wo ſie nur den Vergnügungen und Laſtern des vornehmen Lebens, dem Weiber- und Pferdeſport, dem Spiele und der Jagd, dem faden Hofleben ſich ergeben. Die ſchlichte Handarbeit hat man lange unterſchätzt, heute ſind gewiſſe Theorien und Klaſſen teilweiſe geneigt, ſie zu überſchätzen. Die ſtaatliche Gewalt und ein fürſtlicher Hof können durch Rangreglements, durch Titelverleihung, durch Erteilung politiſcher Rechte die ganze ſociale Rangordnung beeinfluſſen, ihre hieher gehörigen Handlungen ſtehen aber dabei unter demſelben pſychologiſchen Geſetz wie die freie öffentliche Meinung ſelbſt in der demokratiſchen Republik. Wenn in den Vereinigten Staaten heute vor allem der Geldmacher und der Millionär geſchätzt wird, ſo geſchieht es, weil es in der breiten Maſſe des Volkes noch an Verſtändnis für den Wert wiſſenſchaftlicher, politiſcher und anderer Leiſtungen als der des smart fellow im Geſchäftsleben fehlt. Überall werden die Berufe und die Leiſtungen ſowie die daran ſich ſchließenden Beſitzgrößen und Beſitz- arten gewertet nach dem, was jeweilig in den entſcheidenden, führenden, die öffentliche Meinung beherrſchenden Kreiſen als das Wichtigere, das für das Vaterland Wertvollere gilt. Und da keine Zeit kommen wird, in welcher die Thätigkeit des großen Miniſters und die des letzten Bureaudieners, die eines Großinduſtriellen wie Werner Siemens und die des gewöhnlichen Fabrikarbeiters für gleichwertig gelten, ſo wird auch nie eine gewiſſe Über- und Unterordnung der Stände und Klaſſen verſchwinden. Wer da weiß, wie die gute Köchin auf das Hausmädchen, der Diener im gräflichen auf den im bürger- lichen Hauſe, der gelernte Maurer und Zimmermann auf den bloßen Handlanger herab- ſieht, wer da weiß, wie feſt ſolche Rangordnungen in Anſchauung und Einkommen aller Beteiligten trotz alles heutigen Gleichheitsfanatismus ſich ausdrücken, der wird eine gewiſſe Hierarchie der Stände als eine pſychologiſche Notwendigkeit aller Zeiten begreifen. Wie die ſociale Klaſſenbildung ſich äußere, iſt in vorſtehendem ſchon geſtreift. Wir fügen darüber noch kurz folgendes bei. Wer zur ſelben Klaſſe gehört, nimmt, ob er höheres oder geringeres Einkommen habe, im ganzen dieſelben Ehren in Anſpruch; die Klaſſengenoſſen verkehren geſellſchaftlich, verehelichen ſich überwiegend in ihrer Klaſſe, ſie tragen gleiche oder ähnliche Kleider, haben ähnliche Gewohnheit des Eſſens, ähnliche Sitten und Ceremonien in ihren Zuſammenkünften, Spielen, Feſten, fahren in derſelben Eiſenbahnklaſſe. Die weitere Konſequenz iſt, daß ſie in älterer Zeit das gleiche Wehr- geld, den gleichen Gerichtsſtand haben; Wahlrechte und viele andere Rechte ſtufen ſich entſprechend ab. — In Indien unterſcheiden ſich die Kaſten weſentlich durch die ver- ſchiedenen Speiſen und Tiere, die den einen erlaubt, den anderen verboten ſind. Bis auf unſere Tage iſt bei allen Völkern Sitte, daß nur die denſelben Klaſſen An- gehörigen an demſelben Tiſche mit einander eſſen und trinken. Noch heute gilt überall die Vornahme gewiſſer Arbeiten oder ihre Vermeidung als Zeichen der gleichen ſocialen Würde: wer den Pflug nicht ſelbſt führt, wer keine Laſt auf der Straße trägt, dieſe oder jene Arbeit nicht oder nicht vor anderen verrichtet (wer ſeiner Zeit in der Weber-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/410>, abgerufen am 18.04.2024.