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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Äußerungen und Begründungsversuche der Klassenordnung.
stadt keine blauen Nägel hatte und damit zeigte, daß er nicht in die Färberküpe gegriffen
hatte), der gehört zur höheren Klasse.

Am sichersten wurden die Klassengegensätze befestigt, wenn sie in der Phantasie
der Betreffenden als göttliche Einrichtung sich darstellten. In Mikronesien ist es dem
Adel gelungen, nicht nur, was ja auch sonst allgemein vorkommt, die verstorbenen
Häuptlinge zu Göttern zu machen, sondern die Lehre zu verbreiten, daß die unteren
Klassen keine Seelen hätten, nicht ins Paradies gelangen könnten. Die indische Kasten-
lehre baut sich auf dem Satze auf, daß die Priester aus dem Munde, die Krieger aus
den Armen, die Ackerbauer aus den Schenkeln, die schwarzen unteren Klassen anderer
Rasse aus den Füßen Brahmas stammten, daß alle Auflehnung gegen die Kastenordnung
mit unerschöpflich langen Strafen im Jenseits bestraft würde. Die deutsche Sage und
die Edda läßt die verschiedenen Stände durch den Geschlechtsverkehr des Gottes Heimdall
mit drei ganz verschiedenen Frauen entstehen. Daraus ließ man die Häuptlinge, die
Gemeinfreien und die Sklaven hervorgehen. Und diese naiv resignierte, vom Glauben
an die Vererbung mütterlicher Eigenschaften ausgehende Auffassung erhält sich noch in
dem Märchen von den ungleichen Kindern Adams und Evas, welches dem 15. und
16. Jahrhundert angehört, welches Baptista Mantuanus, Hans Sachs, Agrikola und
Melanchthon wiederholen, um die Ungleichheit der Stände zu erklären und als göttliche
Einrichtung zu rechtfertigen. Längst waren freilich auf den Höhepunkten des geistigen
Lebens unter dem Druck unbarmherziger Klassenherrschaft auch die entgegengesetzten
Stimmungen lebendig geworden. Die großen Religionsstifter Buddah und Jesus haben
die Gleichheit der Menschen vor Gott betont und in gewissem Maße zur Anerkennung
in den kirchlichen Gemeinschaften gebracht. Die Bauernprädikanten des 16. Jahrhunderts
hoffen teils auf eine künftige Gleichheit auf dieser Erde, teils darauf, daß Ritter und
Pfaffen zur Hölle fahren, die Bauern allein in den Himmel kommen. Der neuere
Socialismus hofft von der Vernichtung des Kapitalismus die Aufhebung der Klassen-
gegensätze, wie die französische Revolution sie von der politischen Freiheit erwartet hatte.

Der naiven älteren Resignation wie der bitteren neueren Auflehnung gegen die
Klassengegensätze wird in der Zukunft die wissenschaftliche Einsicht in die Notwendigkeit
der socialen Klassenbildung folgen müssen. Und mit ihr wird die Möglichkeit wachsen,
die Härten und Schäden zu mildern, die jeder Klassenbildung anhängen.

Die aufsteigenden socialen Klassen glauben immer leicht wieder im Namen der
Gleichheit aller zu handeln, wie von 1789--1850 das Bürgertum, heute die Arbeiterwelt.
In Wirklichkeit zerfiel das Bürgertum bald wieder in verschiedene Klassen, und die
Arbeiter erleben in der Gegenwart dasselbe. Das hindert aber, wie wir sehen werden,
gewisse Reformen, gewisse Nivellierungsprozesse bei den höheren Kulturvölkern nicht.

134. Die Hauptursachen der Klassenbildung: Rasse, Berufs- und
Arbeitsteilung, Vermögens- und Einkommensverteilung
. Die gesell-
schaftliche Klassenbildung hat natürlich-psychologische und technisch-wirtschaftliche Ursachen,
welche unabhängig von Staat und Recht sich geltend machen. Aber sie wirken praktisch
nur im Staat, innerhalb des Rechtes, der Schranken und Einrichtungen, sowie der
großen sittlichen Gemeinschaftsprozesse, welche von der Gesamtheit ausgehen, die Klassen-
bildung steigern oder mildern und modifizieren können. Wir sehen zunächst von diesen
modifizierenden Elementen ab, bleiben bei Rasse, Berufs- und Arbeitsteilung, sowie
Eigentumsverteilung.

Daß sie bestimmend auf die Klassenbildung einwirken, leugnet heute kaum jemand.
Aber über das Maß des Einflusses dieser drei Gruppen von Ursachen ist Streit und
muß Streit sein, weil es sich um unendlich komplizierte Vorgänge und Wechselwirkungen
handelt. Gobineau und seine Schule führen alle Klassengegensätze auf die Rasse zurück:
alle Aristokratien der Welt sind indogermanisch, alle unteren Klassen haben Negerblut
in sich. Eine ebenso starke Übertreibung wie diese Lehre ist die der Socialisten, welche an
die Gleichheit der Menschen glauben, die Klassenbildung ganz oder überwiegend auf die
Vermögens- und Einkommensungleichheit zurückführen. So Marx und seine Schüler,
und Bücher steht nicht sehr weit ab von solcher Auffassung. Ich habe hauptsächlich den

Die Äußerungen und Begründungsverſuche der Klaſſenordnung.
ſtadt keine blauen Nägel hatte und damit zeigte, daß er nicht in die Färberküpe gegriffen
hatte), der gehört zur höheren Klaſſe.

Am ſicherſten wurden die Klaſſengegenſätze befeſtigt, wenn ſie in der Phantaſie
der Betreffenden als göttliche Einrichtung ſich darſtellten. In Mikroneſien iſt es dem
Adel gelungen, nicht nur, was ja auch ſonſt allgemein vorkommt, die verſtorbenen
Häuptlinge zu Göttern zu machen, ſondern die Lehre zu verbreiten, daß die unteren
Klaſſen keine Seelen hätten, nicht ins Paradies gelangen könnten. Die indiſche Kaſten-
lehre baut ſich auf dem Satze auf, daß die Prieſter aus dem Munde, die Krieger aus
den Armen, die Ackerbauer aus den Schenkeln, die ſchwarzen unteren Klaſſen anderer
Raſſe aus den Füßen Brahmas ſtammten, daß alle Auflehnung gegen die Kaſtenordnung
mit unerſchöpflich langen Strafen im Jenſeits beſtraft würde. Die deutſche Sage und
die Edda läßt die verſchiedenen Stände durch den Geſchlechtsverkehr des Gottes Heimdall
mit drei ganz verſchiedenen Frauen entſtehen. Daraus ließ man die Häuptlinge, die
Gemeinfreien und die Sklaven hervorgehen. Und dieſe naiv reſignierte, vom Glauben
an die Vererbung mütterlicher Eigenſchaften ausgehende Auffaſſung erhält ſich noch in
dem Märchen von den ungleichen Kindern Adams und Evas, welches dem 15. und
16. Jahrhundert angehört, welches Baptiſta Mantuanus, Hans Sachs, Agrikola und
Melanchthon wiederholen, um die Ungleichheit der Stände zu erklären und als göttliche
Einrichtung zu rechtfertigen. Längſt waren freilich auf den Höhepunkten des geiſtigen
Lebens unter dem Druck unbarmherziger Klaſſenherrſchaft auch die entgegengeſetzten
Stimmungen lebendig geworden. Die großen Religionsſtifter Buddah und Jeſus haben
die Gleichheit der Menſchen vor Gott betont und in gewiſſem Maße zur Anerkennung
in den kirchlichen Gemeinſchaften gebracht. Die Bauernprädikanten des 16. Jahrhunderts
hoffen teils auf eine künftige Gleichheit auf dieſer Erde, teils darauf, daß Ritter und
Pfaffen zur Hölle fahren, die Bauern allein in den Himmel kommen. Der neuere
Socialismus hofft von der Vernichtung des Kapitalismus die Aufhebung der Klaſſen-
gegenſätze, wie die franzöſiſche Revolution ſie von der politiſchen Freiheit erwartet hatte.

Der naiven älteren Reſignation wie der bitteren neueren Auflehnung gegen die
Klaſſengegenſätze wird in der Zukunft die wiſſenſchaftliche Einſicht in die Notwendigkeit
der ſocialen Klaſſenbildung folgen müſſen. Und mit ihr wird die Möglichkeit wachſen,
die Härten und Schäden zu mildern, die jeder Klaſſenbildung anhängen.

Die aufſteigenden ſocialen Klaſſen glauben immer leicht wieder im Namen der
Gleichheit aller zu handeln, wie von 1789—1850 das Bürgertum, heute die Arbeiterwelt.
In Wirklichkeit zerfiel das Bürgertum bald wieder in verſchiedene Klaſſen, und die
Arbeiter erleben in der Gegenwart dasſelbe. Das hindert aber, wie wir ſehen werden,
gewiſſe Reformen, gewiſſe Nivellierungsprozeſſe bei den höheren Kulturvölkern nicht.

134. Die Haupturſachen der Klaſſenbildung: Raſſe, Berufs- und
Arbeitsteilung, Vermögens- und Einkommensverteilung
. Die geſell-
ſchaftliche Klaſſenbildung hat natürlich-pſychologiſche und techniſch-wirtſchaftliche Urſachen,
welche unabhängig von Staat und Recht ſich geltend machen. Aber ſie wirken praktiſch
nur im Staat, innerhalb des Rechtes, der Schranken und Einrichtungen, ſowie der
großen ſittlichen Gemeinſchaftsprozeſſe, welche von der Geſamtheit ausgehen, die Klaſſen-
bildung ſteigern oder mildern und modifizieren können. Wir ſehen zunächſt von dieſen
modifizierenden Elementen ab, bleiben bei Raſſe, Berufs- und Arbeitsteilung, ſowie
Eigentumsverteilung.

Daß ſie beſtimmend auf die Klaſſenbildung einwirken, leugnet heute kaum jemand.
Aber über das Maß des Einfluſſes dieſer drei Gruppen von Urſachen iſt Streit und
muß Streit ſein, weil es ſich um unendlich komplizierte Vorgänge und Wechſelwirkungen
handelt. Gobineau und ſeine Schule führen alle Klaſſengegenſätze auf die Raſſe zurück:
alle Ariſtokratien der Welt ſind indogermaniſch, alle unteren Klaſſen haben Negerblut
in ſich. Eine ebenſo ſtarke Übertreibung wie dieſe Lehre iſt die der Socialiſten, welche an
die Gleichheit der Menſchen glauben, die Klaſſenbildung ganz oder überwiegend auf die
Vermögens- und Einkommensungleichheit zurückführen. So Marx und ſeine Schüler,
und Bücher ſteht nicht ſehr weit ab von ſolcher Auffaſſung. Ich habe hauptſächlich den

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[395/0411] Die Äußerungen und Begründungsverſuche der Klaſſenordnung. ſtadt keine blauen Nägel hatte und damit zeigte, daß er nicht in die Färberküpe gegriffen hatte), der gehört zur höheren Klaſſe. Am ſicherſten wurden die Klaſſengegenſätze befeſtigt, wenn ſie in der Phantaſie der Betreffenden als göttliche Einrichtung ſich darſtellten. In Mikroneſien iſt es dem Adel gelungen, nicht nur, was ja auch ſonſt allgemein vorkommt, die verſtorbenen Häuptlinge zu Göttern zu machen, ſondern die Lehre zu verbreiten, daß die unteren Klaſſen keine Seelen hätten, nicht ins Paradies gelangen könnten. Die indiſche Kaſten- lehre baut ſich auf dem Satze auf, daß die Prieſter aus dem Munde, die Krieger aus den Armen, die Ackerbauer aus den Schenkeln, die ſchwarzen unteren Klaſſen anderer Raſſe aus den Füßen Brahmas ſtammten, daß alle Auflehnung gegen die Kaſtenordnung mit unerſchöpflich langen Strafen im Jenſeits beſtraft würde. Die deutſche Sage und die Edda läßt die verſchiedenen Stände durch den Geſchlechtsverkehr des Gottes Heimdall mit drei ganz verſchiedenen Frauen entſtehen. Daraus ließ man die Häuptlinge, die Gemeinfreien und die Sklaven hervorgehen. Und dieſe naiv reſignierte, vom Glauben an die Vererbung mütterlicher Eigenſchaften ausgehende Auffaſſung erhält ſich noch in dem Märchen von den ungleichen Kindern Adams und Evas, welches dem 15. und 16. Jahrhundert angehört, welches Baptiſta Mantuanus, Hans Sachs, Agrikola und Melanchthon wiederholen, um die Ungleichheit der Stände zu erklären und als göttliche Einrichtung zu rechtfertigen. Längſt waren freilich auf den Höhepunkten des geiſtigen Lebens unter dem Druck unbarmherziger Klaſſenherrſchaft auch die entgegengeſetzten Stimmungen lebendig geworden. Die großen Religionsſtifter Buddah und Jeſus haben die Gleichheit der Menſchen vor Gott betont und in gewiſſem Maße zur Anerkennung in den kirchlichen Gemeinſchaften gebracht. Die Bauernprädikanten des 16. Jahrhunderts hoffen teils auf eine künftige Gleichheit auf dieſer Erde, teils darauf, daß Ritter und Pfaffen zur Hölle fahren, die Bauern allein in den Himmel kommen. Der neuere Socialismus hofft von der Vernichtung des Kapitalismus die Aufhebung der Klaſſen- gegenſätze, wie die franzöſiſche Revolution ſie von der politiſchen Freiheit erwartet hatte. Der naiven älteren Reſignation wie der bitteren neueren Auflehnung gegen die Klaſſengegenſätze wird in der Zukunft die wiſſenſchaftliche Einſicht in die Notwendigkeit der ſocialen Klaſſenbildung folgen müſſen. Und mit ihr wird die Möglichkeit wachſen, die Härten und Schäden zu mildern, die jeder Klaſſenbildung anhängen. Die aufſteigenden ſocialen Klaſſen glauben immer leicht wieder im Namen der Gleichheit aller zu handeln, wie von 1789—1850 das Bürgertum, heute die Arbeiterwelt. In Wirklichkeit zerfiel das Bürgertum bald wieder in verſchiedene Klaſſen, und die Arbeiter erleben in der Gegenwart dasſelbe. Das hindert aber, wie wir ſehen werden, gewiſſe Reformen, gewiſſe Nivellierungsprozeſſe bei den höheren Kulturvölkern nicht. 134. Die Haupturſachen der Klaſſenbildung: Raſſe, Berufs- und Arbeitsteilung, Vermögens- und Einkommensverteilung. Die geſell- ſchaftliche Klaſſenbildung hat natürlich-pſychologiſche und techniſch-wirtſchaftliche Urſachen, welche unabhängig von Staat und Recht ſich geltend machen. Aber ſie wirken praktiſch nur im Staat, innerhalb des Rechtes, der Schranken und Einrichtungen, ſowie der großen ſittlichen Gemeinſchaftsprozeſſe, welche von der Geſamtheit ausgehen, die Klaſſen- bildung ſteigern oder mildern und modifizieren können. Wir ſehen zunächſt von dieſen modifizierenden Elementen ab, bleiben bei Raſſe, Berufs- und Arbeitsteilung, ſowie Eigentumsverteilung. Daß ſie beſtimmend auf die Klaſſenbildung einwirken, leugnet heute kaum jemand. Aber über das Maß des Einfluſſes dieſer drei Gruppen von Urſachen iſt Streit und muß Streit ſein, weil es ſich um unendlich komplizierte Vorgänge und Wechſelwirkungen handelt. Gobineau und ſeine Schule führen alle Klaſſengegenſätze auf die Raſſe zurück: alle Ariſtokratien der Welt ſind indogermaniſch, alle unteren Klaſſen haben Negerblut in ſich. Eine ebenſo ſtarke Übertreibung wie dieſe Lehre iſt die der Socialiſten, welche an die Gleichheit der Menſchen glauben, die Klaſſenbildung ganz oder überwiegend auf die Vermögens- und Einkommensungleichheit zurückführen. So Marx und ſeine Schüler, und Bücher ſteht nicht ſehr weit ab von ſolcher Auffaſſung. Ich habe hauptſächlich den

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/411>, abgerufen am 29.03.2024.