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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Abwägung der Einflüsse auf die Klassenbildung. Die Klassenorganisation.
hervorgegangen, weil dadurch der Nebensinn entsteht, der Rentenbezug habe etwas gemacht,
was nur Folge besonderer und relativ seltener Eigenschaften sein konnte.

Es giebt nicht leicht reine Besitz- und Nichtbesitzklassen, wie es auch keine reinen
Kapitalisten und Kapitalbesitzer, oder nur in unendlich kleiner Zahl giebt. Selbst der
Rittergutsbesitzer, der sein Gut verkauft, der Bankier, der sein Geschäft aufgegeben hat,
sie bleiben social, geistig, politisch in ihrer Berufssphäre. Die Arbeiter gliedern sich
nach ihrem Beruf als Bergleute, Maschinenarbeiter, Weber, Spinner; vollends die
großen Schichten des Mittelstandes erhalten viel mehr durch ihren Beruf, ihr Berufs-
einkommen, als durch ihren Besitz und ihr Besitzeinkommen ihre Signatur. So groß
heute an manchen Punkten der Besitzeinfluß ist, so fehlt heute noch weniger als in
früheren Zeiten die Möglichkeit, daß Leute "ohne Halm und Ar" und mäßig begüterte
Kreise und Klassen in Staats- und Volkswirtschaft eine große Rolle spielen.

135. Die Kasten- und Ständebildung älterer Zeiten. Haben wir
in dem Rassecharakter, der Berufs- und Arbeitsteilung sowie in der Vermögens- und
Einkommensverteilung die grundlegenden Ursachen der Klassenbildung gesehen, so wird
die historische Farbe, die praktische Wirksamkeit jeder gesellschaftlichen Klasse durch die
Art bestimmt, wie sie sich als Verein, Bund, Korporation zu organisieren versteht, wie
Staat, Recht, Sitte, öffentliche Meinung diese Organisation dulden, fördern, mit Privi-
legien und Vorteilen ausstatten, mit Hemmungen und Schranken umgeben, die Aus-
artung bekämpfen. Ich werde auf die Klassenkämpfe, auf die Klassenherrschaft, auf die
Gesamtresultate der socialen Entwickelung erst im letzten Buche, wo überhaupt die volks-
wirtschaftliche Entwickelung im ganzen zur Darstellung kommen soll, eingehen. Hier
aber, wo die Elemente einer socialen Klassenlehre erörtert werden, müssen die Formen
der Klassenorganisation und ihr Recht besprochen werden. Wir suchen, zuerst die älteren,
das Kastenwesen, das römische und germanische Ständewesen kurz vorzuführen. Es knüpft
sich daran am besten die Erörterung der Erblichkeit der Berufe.

Mit dem portugiesischen Worte Kaste bezeichnen die europäischen Sprachen
die Art der rechtlichen Gesellschaftsgliederung, wie sie in Indien noch heute besteht,
wie sie die Griechen schon dort und in Ägypten fanden oder zu finden glaubten, wie
sie heute wohl noch bei den höher stehenden Negern, Arabern und Völkern ähnlicher
Kulturstufe vorkommen. Der oberflächlichen Beobachtung schien die ägyptische und indische
Bevölkerung in drei, vier, fünf, sieben oder mehr Abteilungen zu zerfallen, die in erb-
licher Weise ausschließlich bestimmten Berufen oblägen und unter sich keine Ehegemein-
schaft hätten.

Daran ist zunächst soviel richtig, daß unterdrückte Rassen von Ureinwohnern, in
geographischer und geschlechtlicher Abgeschlossenheit lebend, hier wie anderwärts als aus-
schließliche Jäger, Hirten, Fischer, da und dort auch als Handwerker bestimmter Art
viele Jahrhunderte, ja Jahrtausende lang sich erblich bei demselben Berufe erhalten haben.

Alle ältere Erziehung ist ausschließlich eine solche durch die Eltern, in der Familie,
oder in der Sippe. Daraus entspringt eine thatsächliche Erblichkeit der Berufe, soweit
eine Arbeitsteilung, eine Verschiedenheit der Lebensweise, der technischen Kenntnisse schon
vorhanden ist. Die Beschäftigung des mütterlichen Onkels bei Mutterrecht, des Vaters
bei Vaterrecht überträgt sich stets sicher auf die Söhne. Es giebt keine andere Art,
etwas zu lernen; wo etwa Priester und Zauberer andere Kinder unterweisen, geschieht
es in der Form der Annahme an Kindesstatt. Auch soweit Wahlen stattfinden, wie
bei Erledigung von Häuptlingsstellen, ist der von Onkel und Vater dazu Erzogene,
Eingeweihte, bisher neben dem Häuptling Wirkende der geborene Kandidat, dem nur
ab und zu in Verwandten oder in den Häuptern rivalisierender Familien Konkurrenten
gegenübertreten. Vollends die in einzelnen Familien traditionell geübten gewerblichen
Berufe beruhen so gänzlich auf der von Jugend auf erfolgten Einweihung der Kinder
in die technischen Kunstgriffe, daß man schlechthin jeden Übergang junger Leute zu
einem anderen Berufe als zu dem der Eltern, des Geschlechts, der Vormünder für alle
älteren Zeiten als fast unmöglich bezeichnen kann. Noch heute ruht ein erheblicher
Teil des Kastenwesens in Afrika und Asien in der Hauptsache auf dieser einfachen
Thatsache.

Abwägung der Einflüſſe auf die Klaſſenbildung. Die Klaſſenorganiſation.
hervorgegangen, weil dadurch der Nebenſinn entſteht, der Rentenbezug habe etwas gemacht,
was nur Folge beſonderer und relativ ſeltener Eigenſchaften ſein konnte.

Es giebt nicht leicht reine Beſitz- und Nichtbeſitzklaſſen, wie es auch keine reinen
Kapitaliſten und Kapitalbeſitzer, oder nur in unendlich kleiner Zahl giebt. Selbſt der
Rittergutsbeſitzer, der ſein Gut verkauft, der Bankier, der ſein Geſchäft aufgegeben hat,
ſie bleiben ſocial, geiſtig, politiſch in ihrer Berufsſphäre. Die Arbeiter gliedern ſich
nach ihrem Beruf als Bergleute, Maſchinenarbeiter, Weber, Spinner; vollends die
großen Schichten des Mittelſtandes erhalten viel mehr durch ihren Beruf, ihr Berufs-
einkommen, als durch ihren Beſitz und ihr Beſitzeinkommen ihre Signatur. So groß
heute an manchen Punkten der Beſitzeinfluß iſt, ſo fehlt heute noch weniger als in
früheren Zeiten die Möglichkeit, daß Leute „ohne Halm und Ar“ und mäßig begüterte
Kreiſe und Klaſſen in Staats- und Volkswirtſchaft eine große Rolle ſpielen.

135. Die Kaſten- und Ständebildung älterer Zeiten. Haben wir
in dem Raſſecharakter, der Berufs- und Arbeitsteilung ſowie in der Vermögens- und
Einkommensverteilung die grundlegenden Urſachen der Klaſſenbildung geſehen, ſo wird
die hiſtoriſche Farbe, die praktiſche Wirkſamkeit jeder geſellſchaftlichen Klaſſe durch die
Art beſtimmt, wie ſie ſich als Verein, Bund, Korporation zu organiſieren verſteht, wie
Staat, Recht, Sitte, öffentliche Meinung dieſe Organiſation dulden, fördern, mit Privi-
legien und Vorteilen ausſtatten, mit Hemmungen und Schranken umgeben, die Aus-
artung bekämpfen. Ich werde auf die Klaſſenkämpfe, auf die Klaſſenherrſchaft, auf die
Geſamtreſultate der ſocialen Entwickelung erſt im letzten Buche, wo überhaupt die volks-
wirtſchaftliche Entwickelung im ganzen zur Darſtellung kommen ſoll, eingehen. Hier
aber, wo die Elemente einer ſocialen Klaſſenlehre erörtert werden, müſſen die Formen
der Klaſſenorganiſation und ihr Recht beſprochen werden. Wir ſuchen, zuerſt die älteren,
das Kaſtenweſen, das römiſche und germaniſche Ständeweſen kurz vorzuführen. Es knüpft
ſich daran am beſten die Erörterung der Erblichkeit der Berufe.

Mit dem portugieſiſchen Worte Kaſte bezeichnen die europäiſchen Sprachen
die Art der rechtlichen Geſellſchaftsgliederung, wie ſie in Indien noch heute beſteht,
wie ſie die Griechen ſchon dort und in Ägypten fanden oder zu finden glaubten, wie
ſie heute wohl noch bei den höher ſtehenden Negern, Arabern und Völkern ähnlicher
Kulturſtufe vorkommen. Der oberflächlichen Beobachtung ſchien die ägyptiſche und indiſche
Bevölkerung in drei, vier, fünf, ſieben oder mehr Abteilungen zu zerfallen, die in erb-
licher Weiſe ausſchließlich beſtimmten Berufen oblägen und unter ſich keine Ehegemein-
ſchaft hätten.

Daran iſt zunächſt ſoviel richtig, daß unterdrückte Raſſen von Ureinwohnern, in
geographiſcher und geſchlechtlicher Abgeſchloſſenheit lebend, hier wie anderwärts als aus-
ſchließliche Jäger, Hirten, Fiſcher, da und dort auch als Handwerker beſtimmter Art
viele Jahrhunderte, ja Jahrtauſende lang ſich erblich bei demſelben Berufe erhalten haben.

Alle ältere Erziehung iſt ausſchließlich eine ſolche durch die Eltern, in der Familie,
oder in der Sippe. Daraus entſpringt eine thatſächliche Erblichkeit der Berufe, ſoweit
eine Arbeitsteilung, eine Verſchiedenheit der Lebensweiſe, der techniſchen Kenntniſſe ſchon
vorhanden iſt. Die Beſchäftigung des mütterlichen Onkels bei Mutterrecht, des Vaters
bei Vaterrecht überträgt ſich ſtets ſicher auf die Söhne. Es giebt keine andere Art,
etwas zu lernen; wo etwa Prieſter und Zauberer andere Kinder unterweiſen, geſchieht
es in der Form der Annahme an Kindesſtatt. Auch ſoweit Wahlen ſtattfinden, wie
bei Erledigung von Häuptlingsſtellen, iſt der von Onkel und Vater dazu Erzogene,
Eingeweihte, bisher neben dem Häuptling Wirkende der geborene Kandidat, dem nur
ab und zu in Verwandten oder in den Häuptern rivaliſierender Familien Konkurrenten
gegenübertreten. Vollends die in einzelnen Familien traditionell geübten gewerblichen
Berufe beruhen ſo gänzlich auf der von Jugend auf erfolgten Einweihung der Kinder
in die techniſchen Kunſtgriffe, daß man ſchlechthin jeden Übergang junger Leute zu
einem anderen Berufe als zu dem der Eltern, des Geſchlechts, der Vormünder für alle
älteren Zeiten als faſt unmöglich bezeichnen kann. Noch heute ruht ein erheblicher
Teil des Kaſtenweſens in Afrika und Aſien in der Hauptſache auf dieſer einfachen
Thatſache.

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[399/0415] Abwägung der Einflüſſe auf die Klaſſenbildung. Die Klaſſenorganiſation. hervorgegangen, weil dadurch der Nebenſinn entſteht, der Rentenbezug habe etwas gemacht, was nur Folge beſonderer und relativ ſeltener Eigenſchaften ſein konnte. Es giebt nicht leicht reine Beſitz- und Nichtbeſitzklaſſen, wie es auch keine reinen Kapitaliſten und Kapitalbeſitzer, oder nur in unendlich kleiner Zahl giebt. Selbſt der Rittergutsbeſitzer, der ſein Gut verkauft, der Bankier, der ſein Geſchäft aufgegeben hat, ſie bleiben ſocial, geiſtig, politiſch in ihrer Berufsſphäre. Die Arbeiter gliedern ſich nach ihrem Beruf als Bergleute, Maſchinenarbeiter, Weber, Spinner; vollends die großen Schichten des Mittelſtandes erhalten viel mehr durch ihren Beruf, ihr Berufs- einkommen, als durch ihren Beſitz und ihr Beſitzeinkommen ihre Signatur. So groß heute an manchen Punkten der Beſitzeinfluß iſt, ſo fehlt heute noch weniger als in früheren Zeiten die Möglichkeit, daß Leute „ohne Halm und Ar“ und mäßig begüterte Kreiſe und Klaſſen in Staats- und Volkswirtſchaft eine große Rolle ſpielen. 135. Die Kaſten- und Ständebildung älterer Zeiten. Haben wir in dem Raſſecharakter, der Berufs- und Arbeitsteilung ſowie in der Vermögens- und Einkommensverteilung die grundlegenden Urſachen der Klaſſenbildung geſehen, ſo wird die hiſtoriſche Farbe, die praktiſche Wirkſamkeit jeder geſellſchaftlichen Klaſſe durch die Art beſtimmt, wie ſie ſich als Verein, Bund, Korporation zu organiſieren verſteht, wie Staat, Recht, Sitte, öffentliche Meinung dieſe Organiſation dulden, fördern, mit Privi- legien und Vorteilen ausſtatten, mit Hemmungen und Schranken umgeben, die Aus- artung bekämpfen. Ich werde auf die Klaſſenkämpfe, auf die Klaſſenherrſchaft, auf die Geſamtreſultate der ſocialen Entwickelung erſt im letzten Buche, wo überhaupt die volks- wirtſchaftliche Entwickelung im ganzen zur Darſtellung kommen ſoll, eingehen. Hier aber, wo die Elemente einer ſocialen Klaſſenlehre erörtert werden, müſſen die Formen der Klaſſenorganiſation und ihr Recht beſprochen werden. Wir ſuchen, zuerſt die älteren, das Kaſtenweſen, das römiſche und germaniſche Ständeweſen kurz vorzuführen. Es knüpft ſich daran am beſten die Erörterung der Erblichkeit der Berufe. Mit dem portugieſiſchen Worte Kaſte bezeichnen die europäiſchen Sprachen die Art der rechtlichen Geſellſchaftsgliederung, wie ſie in Indien noch heute beſteht, wie ſie die Griechen ſchon dort und in Ägypten fanden oder zu finden glaubten, wie ſie heute wohl noch bei den höher ſtehenden Negern, Arabern und Völkern ähnlicher Kulturſtufe vorkommen. Der oberflächlichen Beobachtung ſchien die ägyptiſche und indiſche Bevölkerung in drei, vier, fünf, ſieben oder mehr Abteilungen zu zerfallen, die in erb- licher Weiſe ausſchließlich beſtimmten Berufen oblägen und unter ſich keine Ehegemein- ſchaft hätten. Daran iſt zunächſt ſoviel richtig, daß unterdrückte Raſſen von Ureinwohnern, in geographiſcher und geſchlechtlicher Abgeſchloſſenheit lebend, hier wie anderwärts als aus- ſchließliche Jäger, Hirten, Fiſcher, da und dort auch als Handwerker beſtimmter Art viele Jahrhunderte, ja Jahrtauſende lang ſich erblich bei demſelben Berufe erhalten haben. Alle ältere Erziehung iſt ausſchließlich eine ſolche durch die Eltern, in der Familie, oder in der Sippe. Daraus entſpringt eine thatſächliche Erblichkeit der Berufe, ſoweit eine Arbeitsteilung, eine Verſchiedenheit der Lebensweiſe, der techniſchen Kenntniſſe ſchon vorhanden iſt. Die Beſchäftigung des mütterlichen Onkels bei Mutterrecht, des Vaters bei Vaterrecht überträgt ſich ſtets ſicher auf die Söhne. Es giebt keine andere Art, etwas zu lernen; wo etwa Prieſter und Zauberer andere Kinder unterweiſen, geſchieht es in der Form der Annahme an Kindesſtatt. Auch ſoweit Wahlen ſtattfinden, wie bei Erledigung von Häuptlingsſtellen, iſt der von Onkel und Vater dazu Erzogene, Eingeweihte, bisher neben dem Häuptling Wirkende der geborene Kandidat, dem nur ab und zu in Verwandten oder in den Häuptern rivaliſierender Familien Konkurrenten gegenübertreten. Vollends die in einzelnen Familien traditionell geübten gewerblichen Berufe beruhen ſo gänzlich auf der von Jugend auf erfolgten Einweihung der Kinder in die techniſchen Kunſtgriffe, daß man ſchlechthin jeden Übergang junger Leute zu einem anderen Berufe als zu dem der Eltern, des Geſchlechts, der Vormünder für alle älteren Zeiten als faſt unmöglich bezeichnen kann. Noch heute ruht ein erheblicher Teil des Kaſtenweſens in Afrika und Aſien in der Hauptſache auf dieſer einfachen Thatſache.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/415>, abgerufen am 28.03.2024.