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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
schaftliche Tugenden bezeichnet, muß ebenso wie der Erwerbstrieb in einem wirtschaftlich
voranschreitenden Volke vorhanden sein. Und man könnte aus diesen Tugenden viel
eher versuchen, psychologisch die ganze Volkswirtschaft abzuleiten, als aus dem Erwerbs-
trieb, zumal aus der centralen und wichtigsten wirtschaftlichen Tugend, aus der Arbeit-
samkeit. Wenn wir im folgenden von ihr sprechen, dürfen wir nicht vergessen, daß die
Betrachtung dieser wie der anderen individuellen wirtschaftlichen Tugenden im ganzen
denselben psychologischen und historischen Prozeß im Auge hat, wie die Untersuchung des
Erwerbstriebes, nur von einem anderen Gesichtspunkte aus. Auf die wesentlich individuellen
beschränken wir uns hier, da wir die sympathischen Gefühle und die an sie sich knüpfenden
Eigenschaften teils schon erwähnt haben, teils im Zusammenhange mit den socialen Ein-
richtungen, an die sie sich knüpfen, erörtern werden.

20. Die Arbeit und die Arbeitsamkeit. Wenn wir unter Arbeit jede
menschliche Thätigkeit verstehen, welche mit dauernder Anstrengung sittlich-vernünftige
Zwecke verfolgt, so können wir zweifeln, ob wir die einzelnen Anläufe des Barbaren, das
Wild zu erlegen oder sonstwie Nahrung zu suchen, schon ganz als Arbeit bezeichnen
sollen. Von den Tieren legen wir nur denen Arbeitsamkeit bei, welche, wie die Bienen,
scheinbar planvoll und andauernd für ihre Lebenszwecke thätig sind. Der Mensch muß
erst langsam die Arbeit lernen. In geistvoller Weise hat Bücher nachzuweisen versucht,
daß hiebei in ältester Zeit der Rhythmus, Musik und Gesang, vielfach erziehend ein-
gewirkt, dem Menschen über Ermüdung und Trägheit weggeholfen, ihm die gemeinsame
Arbeit mehrerer erleichtert habe. Er hat damit die alte Wahrheit gestützt, daß die Aus-
bildung der ästhetischen und der ethischen Gefühle und Eigenschaften aufs engste zusammen-
hängt. Mit der Seßhaftigkeit, dem Acker- und Gartenbau, welche eben deshalb der
Wilde verabscheut, beginnt jene größere Mühsal, die das deutsche Wort Arbeit bezeichnet,
beginnt die Notwendigkeit, in fest geregelten Perioden thätig zu sein. Aus solcher Zeit
stammt der Fluch: "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen" und die
Regel der sechstägigen Arbeit auf einen Ruhetag, welche seitdem die ganze Welt beherrscht.
Lange waren bei vielen Völkern überwiegend die Schwächeren gezwungen, die harte
Arbeit des Ackerns, Schleppens, Hüttenbauens zu vollführen: die Weiber und die Knechte.
Es ist ein großer Fortschritt, wenn auch die freien Männer hinter dem Pfluge zu gehen
beginnen. Auch thun es nicht sofort alle Volksgenossen; die eigentlich wirtschaftliche
Arbeit bleibt lange für die Aristokraten eine Schande. Und noch heute haben wir
thörichte Parvenüs, verzogene Muttersöhnchen und eitle Weiber genug, die Faulenzen
für vornehm halten, die nicht einsehen wollen, daß die Faulheit aller Laster Anfang
und alles Glückes Grab sei. Die gewöhnliche Ackerbestellung in unseren Klimaten läßt
für die Arbeit noch lange Pausen zu. Der Bauer alten Schlages kann träge einige
Monate hinterm Ofen sitzen, er arbeitet nicht nach der Uhr, sondern nach der Sonne
und der Jahreszeit. Die Hauswirtschaft aber und das gewöhnliche Gewerbe führen zu
einer Thätigkeit, die Tag für Tag, von früh bis spät gethan sein will. Im Hause, in
der Werkstatt lernt der Mensch intensiver, gleichmäßiger arbeiten, weil das eine sich stets an
das andere anknüpft, weil Vorräte an künftigen Gebrauchsmitteln hier geschaffen werden
können, die Freude am häuslichen Herd und am technischen Erfolg der Arbeit neue
Reize giebt. Hauptsächlich aber lockt, wie wir sahen, die Möglichkeit des Verkaufes zur
Arbeit. Die Handelsthätigkeit wird ausschließlich durch den Gewinn veranlaßt. Die
Arbeit des Kriegers, des Priesters hat zuerst auch Beute und allerlei Gewinn neben
der Ehre und der Macht in Aussicht. In komplizierter Weise verbinden sich die ver-
schiedensten Motive für die Entstehung und Ausbildung aller höheren Arbeitsthätig-
keit, während für die mechanischen Arbeiten, wie sie mit der Arbeitsteilung das Los
der unteren Klassen bleiben, bisher überwiegend entweder der äußere Zwang oder
der Hunger das wesentliche Motiv blieb. Doch darf, wenn man heute so vielfach
und mit Recht über eintönige mechanische Arbeit und Überarbeit klagt, wenn man
betont, wie viele Menschen heute gezwungen sind, eine ihnen innerlich fremde, un-
verständliche Arbeit zu verrichten, nicht übersehen werden, daß es ohne solche Opfer,
seit es eine höhere Kultur mit Arbeitsteilung gab, nicht abging. Es muß nur das

Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
ſchaftliche Tugenden bezeichnet, muß ebenſo wie der Erwerbstrieb in einem wirtſchaftlich
voranſchreitenden Volke vorhanden ſein. Und man könnte aus dieſen Tugenden viel
eher verſuchen, pſychologiſch die ganze Volkswirtſchaft abzuleiten, als aus dem Erwerbs-
trieb, zumal aus der centralen und wichtigſten wirtſchaftlichen Tugend, aus der Arbeit-
ſamkeit. Wenn wir im folgenden von ihr ſprechen, dürfen wir nicht vergeſſen, daß die
Betrachtung dieſer wie der anderen individuellen wirtſchaftlichen Tugenden im ganzen
denſelben pſychologiſchen und hiſtoriſchen Prozeß im Auge hat, wie die Unterſuchung des
Erwerbstriebes, nur von einem anderen Geſichtspunkte aus. Auf die weſentlich individuellen
beſchränken wir uns hier, da wir die ſympathiſchen Gefühle und die an ſie ſich knüpfenden
Eigenſchaften teils ſchon erwähnt haben, teils im Zuſammenhange mit den ſocialen Ein-
richtungen, an die ſie ſich knüpfen, erörtern werden.

20. Die Arbeit und die Arbeitſamkeit. Wenn wir unter Arbeit jede
menſchliche Thätigkeit verſtehen, welche mit dauernder Anſtrengung ſittlich-vernünftige
Zwecke verfolgt, ſo können wir zweifeln, ob wir die einzelnen Anläufe des Barbaren, das
Wild zu erlegen oder ſonſtwie Nahrung zu ſuchen, ſchon ganz als Arbeit bezeichnen
ſollen. Von den Tieren legen wir nur denen Arbeitſamkeit bei, welche, wie die Bienen,
ſcheinbar planvoll und andauernd für ihre Lebenszwecke thätig ſind. Der Menſch muß
erſt langſam die Arbeit lernen. In geiſtvoller Weiſe hat Bücher nachzuweiſen verſucht,
daß hiebei in älteſter Zeit der Rhythmus, Muſik und Geſang, vielfach erziehend ein-
gewirkt, dem Menſchen über Ermüdung und Trägheit weggeholfen, ihm die gemeinſame
Arbeit mehrerer erleichtert habe. Er hat damit die alte Wahrheit geſtützt, daß die Aus-
bildung der äſthetiſchen und der ethiſchen Gefühle und Eigenſchaften aufs engſte zuſammen-
hängt. Mit der Seßhaftigkeit, dem Acker- und Gartenbau, welche eben deshalb der
Wilde verabſcheut, beginnt jene größere Mühſal, die das deutſche Wort Arbeit bezeichnet,
beginnt die Notwendigkeit, in feſt geregelten Perioden thätig zu ſein. Aus ſolcher Zeit
ſtammt der Fluch: „Im Schweiße deines Angeſichts ſollſt du dein Brot eſſen“ und die
Regel der ſechstägigen Arbeit auf einen Ruhetag, welche ſeitdem die ganze Welt beherrſcht.
Lange waren bei vielen Völkern überwiegend die Schwächeren gezwungen, die harte
Arbeit des Ackerns, Schleppens, Hüttenbauens zu vollführen: die Weiber und die Knechte.
Es iſt ein großer Fortſchritt, wenn auch die freien Männer hinter dem Pfluge zu gehen
beginnen. Auch thun es nicht ſofort alle Volksgenoſſen; die eigentlich wirtſchaftliche
Arbeit bleibt lange für die Ariſtokraten eine Schande. Und noch heute haben wir
thörichte Parvenüs, verzogene Mutterſöhnchen und eitle Weiber genug, die Faulenzen
für vornehm halten, die nicht einſehen wollen, daß die Faulheit aller Laſter Anfang
und alles Glückes Grab ſei. Die gewöhnliche Ackerbeſtellung in unſeren Klimaten läßt
für die Arbeit noch lange Pauſen zu. Der Bauer alten Schlages kann träge einige
Monate hinterm Ofen ſitzen, er arbeitet nicht nach der Uhr, ſondern nach der Sonne
und der Jahreszeit. Die Hauswirtſchaft aber und das gewöhnliche Gewerbe führen zu
einer Thätigkeit, die Tag für Tag, von früh bis ſpät gethan ſein will. Im Hauſe, in
der Werkſtatt lernt der Menſch intenſiver, gleichmäßiger arbeiten, weil das eine ſich ſtets an
das andere anknüpft, weil Vorräte an künftigen Gebrauchsmitteln hier geſchaffen werden
können, die Freude am häuslichen Herd und am techniſchen Erfolg der Arbeit neue
Reize giebt. Hauptſächlich aber lockt, wie wir ſahen, die Möglichkeit des Verkaufes zur
Arbeit. Die Handelsthätigkeit wird ausſchließlich durch den Gewinn veranlaßt. Die
Arbeit des Kriegers, des Prieſters hat zuerſt auch Beute und allerlei Gewinn neben
der Ehre und der Macht in Ausſicht. In komplizierter Weiſe verbinden ſich die ver-
ſchiedenſten Motive für die Entſtehung und Ausbildung aller höheren Arbeitsthätig-
keit, während für die mechaniſchen Arbeiten, wie ſie mit der Arbeitsteilung das Los
der unteren Klaſſen bleiben, bisher überwiegend entweder der äußere Zwang oder
der Hunger das weſentliche Motiv blieb. Doch darf, wenn man heute ſo vielfach
und mit Recht über eintönige mechaniſche Arbeit und Überarbeit klagt, wenn man
betont, wie viele Menſchen heute gezwungen ſind, eine ihnen innerlich fremde, un-
verſtändliche Arbeit zu verrichten, nicht überſehen werden, daß es ohne ſolche Opfer,
ſeit es eine höhere Kultur mit Arbeitsteilung gab, nicht abging. Es muß nur das

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[38/0054] Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. ſchaftliche Tugenden bezeichnet, muß ebenſo wie der Erwerbstrieb in einem wirtſchaftlich voranſchreitenden Volke vorhanden ſein. Und man könnte aus dieſen Tugenden viel eher verſuchen, pſychologiſch die ganze Volkswirtſchaft abzuleiten, als aus dem Erwerbs- trieb, zumal aus der centralen und wichtigſten wirtſchaftlichen Tugend, aus der Arbeit- ſamkeit. Wenn wir im folgenden von ihr ſprechen, dürfen wir nicht vergeſſen, daß die Betrachtung dieſer wie der anderen individuellen wirtſchaftlichen Tugenden im ganzen denſelben pſychologiſchen und hiſtoriſchen Prozeß im Auge hat, wie die Unterſuchung des Erwerbstriebes, nur von einem anderen Geſichtspunkte aus. Auf die weſentlich individuellen beſchränken wir uns hier, da wir die ſympathiſchen Gefühle und die an ſie ſich knüpfenden Eigenſchaften teils ſchon erwähnt haben, teils im Zuſammenhange mit den ſocialen Ein- richtungen, an die ſie ſich knüpfen, erörtern werden. 20. Die Arbeit und die Arbeitſamkeit. Wenn wir unter Arbeit jede menſchliche Thätigkeit verſtehen, welche mit dauernder Anſtrengung ſittlich-vernünftige Zwecke verfolgt, ſo können wir zweifeln, ob wir die einzelnen Anläufe des Barbaren, das Wild zu erlegen oder ſonſtwie Nahrung zu ſuchen, ſchon ganz als Arbeit bezeichnen ſollen. Von den Tieren legen wir nur denen Arbeitſamkeit bei, welche, wie die Bienen, ſcheinbar planvoll und andauernd für ihre Lebenszwecke thätig ſind. Der Menſch muß erſt langſam die Arbeit lernen. In geiſtvoller Weiſe hat Bücher nachzuweiſen verſucht, daß hiebei in älteſter Zeit der Rhythmus, Muſik und Geſang, vielfach erziehend ein- gewirkt, dem Menſchen über Ermüdung und Trägheit weggeholfen, ihm die gemeinſame Arbeit mehrerer erleichtert habe. Er hat damit die alte Wahrheit geſtützt, daß die Aus- bildung der äſthetiſchen und der ethiſchen Gefühle und Eigenſchaften aufs engſte zuſammen- hängt. Mit der Seßhaftigkeit, dem Acker- und Gartenbau, welche eben deshalb der Wilde verabſcheut, beginnt jene größere Mühſal, die das deutſche Wort Arbeit bezeichnet, beginnt die Notwendigkeit, in feſt geregelten Perioden thätig zu ſein. Aus ſolcher Zeit ſtammt der Fluch: „Im Schweiße deines Angeſichts ſollſt du dein Brot eſſen“ und die Regel der ſechstägigen Arbeit auf einen Ruhetag, welche ſeitdem die ganze Welt beherrſcht. Lange waren bei vielen Völkern überwiegend die Schwächeren gezwungen, die harte Arbeit des Ackerns, Schleppens, Hüttenbauens zu vollführen: die Weiber und die Knechte. Es iſt ein großer Fortſchritt, wenn auch die freien Männer hinter dem Pfluge zu gehen beginnen. Auch thun es nicht ſofort alle Volksgenoſſen; die eigentlich wirtſchaftliche Arbeit bleibt lange für die Ariſtokraten eine Schande. Und noch heute haben wir thörichte Parvenüs, verzogene Mutterſöhnchen und eitle Weiber genug, die Faulenzen für vornehm halten, die nicht einſehen wollen, daß die Faulheit aller Laſter Anfang und alles Glückes Grab ſei. Die gewöhnliche Ackerbeſtellung in unſeren Klimaten läßt für die Arbeit noch lange Pauſen zu. Der Bauer alten Schlages kann träge einige Monate hinterm Ofen ſitzen, er arbeitet nicht nach der Uhr, ſondern nach der Sonne und der Jahreszeit. Die Hauswirtſchaft aber und das gewöhnliche Gewerbe führen zu einer Thätigkeit, die Tag für Tag, von früh bis ſpät gethan ſein will. Im Hauſe, in der Werkſtatt lernt der Menſch intenſiver, gleichmäßiger arbeiten, weil das eine ſich ſtets an das andere anknüpft, weil Vorräte an künftigen Gebrauchsmitteln hier geſchaffen werden können, die Freude am häuslichen Herd und am techniſchen Erfolg der Arbeit neue Reize giebt. Hauptſächlich aber lockt, wie wir ſahen, die Möglichkeit des Verkaufes zur Arbeit. Die Handelsthätigkeit wird ausſchließlich durch den Gewinn veranlaßt. Die Arbeit des Kriegers, des Prieſters hat zuerſt auch Beute und allerlei Gewinn neben der Ehre und der Macht in Ausſicht. In komplizierter Weiſe verbinden ſich die ver- ſchiedenſten Motive für die Entſtehung und Ausbildung aller höheren Arbeitsthätig- keit, während für die mechaniſchen Arbeiten, wie ſie mit der Arbeitsteilung das Los der unteren Klaſſen bleiben, bisher überwiegend entweder der äußere Zwang oder der Hunger das weſentliche Motiv blieb. Doch darf, wenn man heute ſo vielfach und mit Recht über eintönige mechaniſche Arbeit und Überarbeit klagt, wenn man betont, wie viele Menſchen heute gezwungen ſind, eine ihnen innerlich fremde, un- verſtändliche Arbeit zu verrichten, nicht überſehen werden, daß es ohne ſolche Opfer, ſeit es eine höhere Kultur mit Arbeitsteilung gab, nicht abging. Es muß nur das

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/54>, abgerufen am 19.04.2024.