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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
kunst, die in der Urproduktion wurzelt, der neuen Gelderwerbskunst, die mit dem Handel
entsteht, gegenüber; er untersucht, welche psychologischen und sittlichen Folgen die ver-
schiedenen Erwerbsarten und Beschäftigungen haben. Allen Erwerb, der ohne Schranken
gewinnen will, der über das Bedürfnis hinaus und mit dem Schaden anderer gemacht wird,
verurteilt er als verderblich. Das Geld betrachtet er als ein notwendiges Tauschmittel
und Wertäquivalent, aber es soll keine Zinsen tragen, denn Geld gebiert kein Geld. Auf
Grund seiner Einsicht in die sittliche und politische Entartung der griechischen Demo-
kratien und Handelsstädte verlangt Aristoteles, daß die höher gebildeten und besitzenden
Klassen im Staate herrschen, die arme, taglöhnernde Volksklasse ohne politische Rechte
sei. Doch scheint ihm die Gesellschaft die beste, wo der Mittelstand überwiegt. In
Bezug auf die socialen Pflichten des Staates betont er vor allem seine Sorge für Er-
ziehung; denn alle Tugend ist ihm Folge der Gewöhnung. Er giebt auch zu, daß
manches im Staate gemeinsam sein soll; im übrigen aber verlangt er getrenntes Eigentum.
Als Mittel, den bleibenden Wohlstand der unteren Klassen zu heben, verlangt er Koloni-
sation und Landzuweisungen. An der von manchen bereits als widernatürlich bezeichneten
Sklaverei will er nicht gerüttelt haben; die großen Unterschiede der Rasse, der Fähig-
keiten erkennend, meint er, wenigstens die Sklaverei sei gerechtfertigt, wo der Sklave so
verschieden vom Herrn sei, wie die Seele vom Leib. Die zahlreichen Projekte seiner
Zeit, die auf Güter- und Weibergemeinschaft zielen, unterzieht er der schärfsten Kritik:
was vielen gemeinsam ist, wird ohne Sorgfalt besorgt und führt stets zu Händeln, wie
man bei jeder Reisegesellschaft sieht; gemeinsame Kinder werden schlecht erzogen; die
Bande der Liebe werden bis zur Wirkungslosigkeit verwässert, wenn der Bürger tausend
und mehr Söhne hat. Die Revolutionen, die aus den wirtschaftlichen Mißständen und
den Fehlern der Regierenden entspringen, erörtert er eingehend; aber er glaubt nicht,
daß hier socialistische Projekte helfen. Eine erzwungene Gleichheit des Besitzes hält er
für weniger durchführbar, als eine staatliche Regelung der Kindererzeugung, welcher er
nicht abgeneigt ist.

Weder die idealistischen Lehren und Ideale Platos, noch die realistischen Aristoteles'
konnten die griechische Kultur in ihrem Werdegang aufhalten. Und in ähnlicher Weise
haben sich einige Menschenalter später die Dinge in Rom und Italien entwickelt. Aus
dem individualistischen Egoismus und der cynischen Genußsucht der Zeit, aus den
Klassenkämpfen und Bürgerkriegen, aus den Rivalitäten der Kleinstaaten gab es keinen
anderen Ausweg als die eiserne Militärdiktatur in geordneten bureaukratischen Welt-
reichen und den weltflüchtigen Idealismus der Philosophie und des Christentums, beides
eng zusammengehörige, einander bedingende Erscheinungen. Das Imperium der Cäsaren
war halb demokratischen Ursprunges und suchte durch staatssocialistische Brotspenden und
ähnliche Maßregeln die unteren Klassen zu befriedigen; aber vor allem stellte es Ruhe,
Frieden und Ordnung wieder her. Eine Nachblüte geistiger und wirtschaftlicher Kultur
trat ein; Landbauschriftsteller, Juristen, Historiker und Philosophen erörterten nun im
Anschluß an die griechischen Autoren auch mannigfach einzelne volkswirtschaftliche Fragen.
Aber zu einer Wissenschaft der Volkswirtschaft kam es weder in Alexandria noch in Rom,
während eine solche des Rechtes, der Physik, der Medizin in jenen Tagen entstand. Die
geistig vorherrschenden philosophischen Schulen des Epikur und der Stoa waren nicht
darauf gerichtet, ein tieferes Studium der gesellschaftlichen Einrichtungen herbeizuführen.
Epikurs Atomistik erklärt, wie die Sophisten, die Gesellschaft aus dem Zusammentreten
selbstsüchtiger, sich bekämpfender Individuen, die einen Staatsvertrag aus Nützlichkeits-
erwägungen eingehen; der epikureische Weise zieht sich aus der Welt, aus der Ehe, dem
Familienleben, dem Staate zurück; ein vernünftiges, sinnlich-geistiges Genußleben, das in
Gemütsruhe kulminiert, das Streben nach Ruhm und Reichtum ausschließt, ist sein
Lebensideal; ein fester monarchischer Staat, widerstandsloser Gehorsam sind die politischen
Forderungen der passiv müden Lehre. Diesen Individualisten der genießenden stehen
die Stoiker als die Individualisten der entsagenden Gemütsruhe gegenüber. Sie erheben
sich mit ihrer tiefsinnigen pantheistischen Weltanschauung zwar turmhoch über Epikur,
aber praktisch kamen sie doch zu ähnlichen Ergebnissen. Die Natur ist ihnen ein System

Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
kunſt, die in der Urproduktion wurzelt, der neuen Gelderwerbskunſt, die mit dem Handel
entſteht, gegenüber; er unterſucht, welche pſychologiſchen und ſittlichen Folgen die ver-
ſchiedenen Erwerbsarten und Beſchäftigungen haben. Allen Erwerb, der ohne Schranken
gewinnen will, der über das Bedürfnis hinaus und mit dem Schaden anderer gemacht wird,
verurteilt er als verderblich. Das Geld betrachtet er als ein notwendiges Tauſchmittel
und Wertäquivalent, aber es ſoll keine Zinſen tragen, denn Geld gebiert kein Geld. Auf
Grund ſeiner Einſicht in die ſittliche und politiſche Entartung der griechiſchen Demo-
kratien und Handelsſtädte verlangt Ariſtoteles, daß die höher gebildeten und beſitzenden
Klaſſen im Staate herrſchen, die arme, taglöhnernde Volksklaſſe ohne politiſche Rechte
ſei. Doch ſcheint ihm die Geſellſchaft die beſte, wo der Mittelſtand überwiegt. In
Bezug auf die ſocialen Pflichten des Staates betont er vor allem ſeine Sorge für Er-
ziehung; denn alle Tugend iſt ihm Folge der Gewöhnung. Er giebt auch zu, daß
manches im Staate gemeinſam ſein ſoll; im übrigen aber verlangt er getrenntes Eigentum.
Als Mittel, den bleibenden Wohlſtand der unteren Klaſſen zu heben, verlangt er Koloni-
ſation und Landzuweiſungen. An der von manchen bereits als widernatürlich bezeichneten
Sklaverei will er nicht gerüttelt haben; die großen Unterſchiede der Raſſe, der Fähig-
keiten erkennend, meint er, wenigſtens die Sklaverei ſei gerechtfertigt, wo der Sklave ſo
verſchieden vom Herrn ſei, wie die Seele vom Leib. Die zahlreichen Projekte ſeiner
Zeit, die auf Güter- und Weibergemeinſchaft zielen, unterzieht er der ſchärfſten Kritik:
was vielen gemeinſam iſt, wird ohne Sorgfalt beſorgt und führt ſtets zu Händeln, wie
man bei jeder Reiſegeſellſchaft ſieht; gemeinſame Kinder werden ſchlecht erzogen; die
Bande der Liebe werden bis zur Wirkungsloſigkeit verwäſſert, wenn der Bürger tauſend
und mehr Söhne hat. Die Revolutionen, die aus den wirtſchaftlichen Mißſtänden und
den Fehlern der Regierenden entſpringen, erörtert er eingehend; aber er glaubt nicht,
daß hier ſocialiſtiſche Projekte helfen. Eine erzwungene Gleichheit des Beſitzes hält er
für weniger durchführbar, als eine ſtaatliche Regelung der Kindererzeugung, welcher er
nicht abgeneigt iſt.

Weder die idealiſtiſchen Lehren und Ideale Platos, noch die realiſtiſchen Ariſtoteles’
konnten die griechiſche Kultur in ihrem Werdegang aufhalten. Und in ähnlicher Weiſe
haben ſich einige Menſchenalter ſpäter die Dinge in Rom und Italien entwickelt. Aus
dem individualiſtiſchen Egoismus und der cyniſchen Genußſucht der Zeit, aus den
Klaſſenkämpfen und Bürgerkriegen, aus den Rivalitäten der Kleinſtaaten gab es keinen
anderen Ausweg als die eiſerne Militärdiktatur in geordneten bureaukratiſchen Welt-
reichen und den weltflüchtigen Idealismus der Philoſophie und des Chriſtentums, beides
eng zuſammengehörige, einander bedingende Erſcheinungen. Das Imperium der Cäſaren
war halb demokratiſchen Urſprunges und ſuchte durch ſtaatsſocialiſtiſche Brotſpenden und
ähnliche Maßregeln die unteren Klaſſen zu befriedigen; aber vor allem ſtellte es Ruhe,
Frieden und Ordnung wieder her. Eine Nachblüte geiſtiger und wirtſchaftlicher Kultur
trat ein; Landbauſchriftſteller, Juriſten, Hiſtoriker und Philoſophen erörterten nun im
Anſchluß an die griechiſchen Autoren auch mannigfach einzelne volkswirtſchaftliche Fragen.
Aber zu einer Wiſſenſchaft der Volkswirtſchaft kam es weder in Alexandria noch in Rom,
während eine ſolche des Rechtes, der Phyſik, der Medizin in jenen Tagen entſtand. Die
geiſtig vorherrſchenden philoſophiſchen Schulen des Epikur und der Stoa waren nicht
darauf gerichtet, ein tieferes Studium der geſellſchaftlichen Einrichtungen herbeizuführen.
Epikurs Atomiſtik erklärt, wie die Sophiſten, die Geſellſchaft aus dem Zuſammentreten
ſelbſtſüchtiger, ſich bekämpfender Individuen, die einen Staatsvertrag aus Nützlichkeits-
erwägungen eingehen; der epikureiſche Weiſe zieht ſich aus der Welt, aus der Ehe, dem
Familienleben, dem Staate zurück; ein vernünftiges, ſinnlich-geiſtiges Genußleben, das in
Gemütsruhe kulminiert, das Streben nach Ruhm und Reichtum ausſchließt, iſt ſein
Lebensideal; ein feſter monarchiſcher Staat, widerſtandsloſer Gehorſam ſind die politiſchen
Forderungen der paſſiv müden Lehre. Dieſen Individualiſten der genießenden ſtehen
die Stoiker als die Individualiſten der entſagenden Gemütsruhe gegenüber. Sie erheben
ſich mit ihrer tiefſinnigen pantheiſtiſchen Weltanſchauung zwar turmhoch über Epikur,
aber praktiſch kamen ſie doch zu ähnlichen Ergebniſſen. Die Natur iſt ihnen ein Syſtem

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/94>, abgerufen am 25.04.2024.