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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

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Haare, wie die Farbe einer reifen Haselnuß, oben
glatt und dunkel, doch unten zu etwas kraus und
heller um die Schultern, auf dem Haupte getheilt,
nach Art der Nazaräer; eine freie Stirn und mun-
teres Angesicht, ohne Runzeln und Flecken, mit
einer mäßigen Röthe geziert; Nase und Mund sind
ohne Tadel, sein voller Bart, dem Haupthaare
ähnlich, ist nicht lang und in der Mitte gespalten.
Er ist aufrichtigen und beständigen Gesichts, von
großen klaren Augen, entsetzlich wenn er bestraft,
liebreich und sanftmüthig wenn er ermahnt, fröhlich,
doch mit einem anständigen Ernst; man hat ihn
niemals lachen gesehn, wohl aber zum öftern weinen;
er spricht wenig, aber Alles mit Ansehn; seine Ge-
stalt ist vortrefflich vor allen Menschenkindern.



Auf höchst überraschende Weise fand ich in
Berlin, in der nämlichen reichen Sammlung welche
auch die unschätzbaren Seitentafeln des Genter
Gemäldes von van Eyck besitzt, den deutlichsten
Beweis, daß Hemling durch jene alte Beschreibun-


Haare, wie die Farbe einer reifen Haſelnuß, oben
glatt und dunkel, doch unten zu etwas kraus und
heller um die Schultern, auf dem Haupte getheilt,
nach Art der Nazaräer; eine freie Stirn und mun-
teres Angeſicht, ohne Runzeln und Flecken, mit
einer mäßigen Röthe geziert; Naſe und Mund ſind
ohne Tadel, ſein voller Bart, dem Haupthaare
ähnlich, iſt nicht lang und in der Mitte geſpalten.
Er iſt aufrichtigen und beſtändigen Geſichts, von
großen klaren Augen, entſetzlich wenn er beſtraft,
liebreich und ſanftmüthig wenn er ermahnt, fröhlich,
doch mit einem anſtändigen Ernſt; man hat ihn
niemals lachen geſehn, wohl aber zum öftern weinen;
er ſpricht wenig, aber Alles mit Anſehn; ſeine Ge-
ſtalt iſt vortrefflich vor allen Menſchenkindern.



Auf höchſt überraſchende Weiſe fand ich in
Berlin, in der nämlichen reichen Sammlung welche
auch die unſchätzbaren Seitentafeln des Genter
Gemäldes von van Eyck beſitzt, den deutlichſten
Beweis, daß Hemling durch jene alte Beſchreibun-

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[191/0203] Haare, wie die Farbe einer reifen Haſelnuß, oben glatt und dunkel, doch unten zu etwas kraus und heller um die Schultern, auf dem Haupte getheilt, nach Art der Nazaräer; eine freie Stirn und mun- teres Angeſicht, ohne Runzeln und Flecken, mit einer mäßigen Röthe geziert; Naſe und Mund ſind ohne Tadel, ſein voller Bart, dem Haupthaare ähnlich, iſt nicht lang und in der Mitte geſpalten. Er iſt aufrichtigen und beſtändigen Geſichts, von großen klaren Augen, entſetzlich wenn er beſtraft, liebreich und ſanftmüthig wenn er ermahnt, fröhlich, doch mit einem anſtändigen Ernſt; man hat ihn niemals lachen geſehn, wohl aber zum öftern weinen; er ſpricht wenig, aber Alles mit Anſehn; ſeine Ge- ſtalt iſt vortrefflich vor allen Menſchenkindern. Auf höchſt überraſchende Weiſe fand ich in Berlin, in der nämlichen reichen Sammlung welche auch die unſchätzbaren Seitentafeln des Genter Gemäldes von van Eyck beſitzt, den deutlichſten Beweis, daß Hemling durch jene alte Beſchreibun-

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Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/203>, abgerufen am 29.03.2024.