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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

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Um diese Zeit war aus Jtalien alles prak-
tische Talent gänzlich verschwunden; Alles, was
gebildet werden sollte, hing von den Griechen ab.
So wurden die Thüren der Kirche St. Paul
ausserhalb der Mauern im eilften Jahrhundert
zu Konstantinopel gegossen und mit eingegrabnen
Figuren abscheulich verziert. Griechische Maler,
Musivarbeiter und Baumeister, von Konstantinopel
gesendet, verbreiteten sich durch das ganze Land
und bedeckten es mit ihrer traurigen Kunst, bis
endlich im dreizehnten Jahrhundert das Gefühl
für Wahrheit und Anmuth der Natur wieder er-
wachte. Die Jtaliäner ergriffen sogleich das
einzige an den Byzantinern gerühmte Verdienst,
die symmetrische Komposition, den Unterschied der
Karacktere; und der Sinn für Form that bei ihnen
um so eher sich wieder schnell hervor, da er bei
diesem, von den herrlichsten Überresten einer großen
Vorwelt umgebnen Volke nie ganz untergegangen
seyn konnte.

Auch an den, von römischen Heeren durch-
zognen, von römischen Kolonien angebauten und


Um dieſe Zeit war aus Jtalien alles prak-
tiſche Talent gänzlich verſchwunden; Alles, was
gebildet werden ſollte, hing von den Griechen ab.
So wurden die Thüren der Kirche St. Paul
auſſerhalb der Mauern im eilften Jahrhundert
zu Konſtantinopel gegoſſen und mit eingegrabnen
Figuren abſcheulich verziert. Griechiſche Maler,
Muſivarbeiter und Baumeiſter, von Konſtantinopel
geſendet, verbreiteten ſich durch das ganze Land
und bedeckten es mit ihrer traurigen Kunſt, bis
endlich im dreizehnten Jahrhundert das Gefühl
für Wahrheit und Anmuth der Natur wieder er-
wachte. Die Jtaliäner ergriffen ſogleich das
einzige an den Byzantinern gerühmte Verdienſt,
die ſymmetriſche Kompoſition, den Unterſchied der
Karacktere; und der Sinn für Form that bei ihnen
um ſo eher ſich wieder ſchnell hervor, da er bei
dieſem, von den herrlichſten Überreſten einer großen
Vorwelt umgebnen Volke nie ganz untergegangen
ſeyn konnte.

Auch an den, von römiſchen Heeren durch-
zognen, von römiſchen Kolonien angebauten und

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[10/0022] Um dieſe Zeit war aus Jtalien alles prak- tiſche Talent gänzlich verſchwunden; Alles, was gebildet werden ſollte, hing von den Griechen ab. So wurden die Thüren der Kirche St. Paul auſſerhalb der Mauern im eilften Jahrhundert zu Konſtantinopel gegoſſen und mit eingegrabnen Figuren abſcheulich verziert. Griechiſche Maler, Muſivarbeiter und Baumeiſter, von Konſtantinopel geſendet, verbreiteten ſich durch das ganze Land und bedeckten es mit ihrer traurigen Kunſt, bis endlich im dreizehnten Jahrhundert das Gefühl für Wahrheit und Anmuth der Natur wieder er- wachte. Die Jtaliäner ergriffen ſogleich das einzige an den Byzantinern gerühmte Verdienſt, die ſymmetriſche Kompoſition, den Unterſchied der Karacktere; und der Sinn für Form that bei ihnen um ſo eher ſich wieder ſchnell hervor, da er bei dieſem, von den herrlichſten Überreſten einer großen Vorwelt umgebnen Volke nie ganz untergegangen ſeyn konnte. Auch an den, von römiſchen Heeren durch- zognen, von römiſchen Kolonien angebauten und

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Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/22>, abgerufen am 29.03.2024.