Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

Bild:
<< vorherige Seite


mehreren Zuhörern belebten Kirche. Eindringende
Beredsamkeit, feste Überzeugung, und ernstes Hin-
streben zum Zweck sind der Ausdruck seines edlen
Gesichts und seiner zwar warmen doch gemäßig-
ten Rednergeberde. Er scheint eben ein sehr ein-
dringendes Argument vorgebracht zu haben, und
beobachtet den Eindruck desselben auf seinen ihm
rechts gegenüber stehenden Gegner. Mit dem
Ausdrucke innern Kampfes, halb erfreut, halb
betrübt, achtet dieser mit gespannter Aufmerksam-
keit auf die Worte des Redners, während seine um
ihn versammelten Angehörigen, von einer Art innerer
Beklommenheit ergriffen, den Ausgang erwarten.
Neben dem Ketzer hat der Maler sein eignes Bild
unter den Zuhörern angebracht, an dessen Ähnlich-
keit mit bekannten Abbildungen des Meisters die
Besitzer zuerst dieses Gemälde für eine seiner Ar-
beiten erkannten. Unter der Kanzel sitzt eine sehr
schöne Frau mit ihrer kaum der Kindheit ent-
wachsenen Tochter; das junge Mädchen fühlt sich
mit jugendlicher Schwärmerei von der eindringenden
Rede ergriffen, während die Mutter mit dem

14 *


mehreren Zuhörern belebten Kirche. Eindringende
Beredſamkeit, feſte Überzeugung, und ernſtes Hin-
ſtreben zum Zweck ſind der Ausdruck ſeines edlen
Geſichts und ſeiner zwar warmen doch gemäßig-
ten Rednergeberde. Er ſcheint eben ein ſehr ein-
dringendes Argument vorgebracht zu haben, und
beobachtet den Eindruck deſſelben auf ſeinen ihm
rechts gegenüber ſtehenden Gegner. Mit dem
Ausdrucke innern Kampfes, halb erfreut, halb
betrübt, achtet dieſer mit geſpannter Aufmerkſam-
keit auf die Worte des Redners, während ſeine um
ihn verſammelten Angehörigen, von einer Art innerer
Beklommenheit ergriffen, den Ausgang erwarten.
Neben dem Ketzer hat der Maler ſein eignes Bild
unter den Zuhörern angebracht, an deſſen Ähnlich-
keit mit bekannten Abbildungen des Meiſters die
Beſitzer zuerſt dieſes Gemälde für eine ſeiner Ar-
beiten erkannten. Unter der Kanzel ſitzt eine ſehr
ſchöne Frau mit ihrer kaum der Kindheit ent-
wachſenen Tochter; das junge Mädchen fühlt ſich
mit jugendlicher Schwärmerei von der eindringenden
Rede ergriffen, während die Mutter mit dem

14 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0223" n="211"/><lb/>
mehreren Zuhörern belebten Kirche. Eindringende<lb/>
Bered&#x017F;amkeit, fe&#x017F;te Überzeugung, und ern&#x017F;tes Hin-<lb/>
&#x017F;treben zum Zweck &#x017F;ind der Ausdruck &#x017F;eines edlen<lb/>
Ge&#x017F;ichts und &#x017F;einer zwar warmen doch gemäßig-<lb/>
ten Rednergeberde. Er &#x017F;cheint eben ein &#x017F;ehr ein-<lb/>
dringendes Argument vorgebracht zu haben, und<lb/>
beobachtet den Eindruck de&#x017F;&#x017F;elben auf &#x017F;einen ihm<lb/>
rechts gegenüber &#x017F;tehenden Gegner. Mit dem<lb/>
Ausdrucke innern Kampfes, halb erfreut, halb<lb/>
betrübt, achtet die&#x017F;er mit ge&#x017F;pannter Aufmerk&#x017F;am-<lb/>
keit auf die Worte des Redners, während &#x017F;eine um<lb/>
ihn ver&#x017F;ammelten Angehörigen, von einer Art innerer<lb/>
Beklommenheit ergriffen, den Ausgang erwarten.<lb/>
Neben dem Ketzer hat der Maler &#x017F;ein eignes Bild<lb/>
unter den Zuhörern angebracht, an de&#x017F;&#x017F;en Ähnlich-<lb/>
keit mit bekannten Abbildungen des Mei&#x017F;ters die<lb/>
Be&#x017F;itzer zuer&#x017F;t die&#x017F;es Gemälde für eine &#x017F;einer Ar-<lb/>
beiten erkannten. Unter der Kanzel &#x017F;itzt eine &#x017F;ehr<lb/>
&#x017F;chöne Frau mit ihrer kaum der Kindheit ent-<lb/>
wach&#x017F;enen Tochter; das junge Mädchen fühlt &#x017F;ich<lb/>
mit jugendlicher Schwärmerei von der eindringenden<lb/>
Rede ergriffen, während die Mutter mit dem<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">14 *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0223] mehreren Zuhörern belebten Kirche. Eindringende Beredſamkeit, feſte Überzeugung, und ernſtes Hin- ſtreben zum Zweck ſind der Ausdruck ſeines edlen Geſichts und ſeiner zwar warmen doch gemäßig- ten Rednergeberde. Er ſcheint eben ein ſehr ein- dringendes Argument vorgebracht zu haben, und beobachtet den Eindruck deſſelben auf ſeinen ihm rechts gegenüber ſtehenden Gegner. Mit dem Ausdrucke innern Kampfes, halb erfreut, halb betrübt, achtet dieſer mit geſpannter Aufmerkſam- keit auf die Worte des Redners, während ſeine um ihn verſammelten Angehörigen, von einer Art innerer Beklommenheit ergriffen, den Ausgang erwarten. Neben dem Ketzer hat der Maler ſein eignes Bild unter den Zuhörern angebracht, an deſſen Ähnlich- keit mit bekannten Abbildungen des Meiſters die Beſitzer zuerſt dieſes Gemälde für eine ſeiner Ar- beiten erkannten. Unter der Kanzel ſitzt eine ſehr ſchöne Frau mit ihrer kaum der Kindheit ent- wachſenen Tochter; das junge Mädchen fühlt ſich mit jugendlicher Schwärmerei von der eindringenden Rede ergriffen, während die Mutter mit dem 14 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/223
Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/223>, abgerufen am 19.04.2024.