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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Vierte Vorlesung.

Das zweite Beispiel fordert die Bemerkung heraus, dass aller
Schnee weiss sei*), die versuchte Determination des Subjekts "Schnee"
durch das Adjektiv "weisse" mithin überflüssig. Es gibt hier a b --
d. h. b welche a sind -- aber keine b, welche nicht a wären.

Das dritte Beispiel provozirt den Einwurf, dass es runde Quadrate
überhaupt nicht gebe. [Da es zu einer Kontroverse Anlass geben kann,
werden wir. auf dasselbe unter r) des § 9 implicite nochmals zurück-
kommen.]

Die drei kursiv gedruckten Exempel können als typische bezeichnet
werden, indem -- wie leicht zu sehen -- jede denkbare Anwendung
des Satzes 6x) von der Art eines dieser drei Exempel in beregter
Hinsicht sein muss.
[Formel 1] a + b. "Die Adeligen sind Adelige oder auch Besitzende [ge-
hören zur Aristokratie]". "Die Besitzenden ebenfalls".
"Gleich ist untergeordnet oder gleich", vergl. den § 1.

Der Satz: "Norddeutsche sind Deutsche" kann angesehen werden
als eine Exemplifikation von 6x) sowol als von 6+). Ersteres, indem
man "Norddeutsche" versteht als die Klasse derjenigen Deutschen,
welche aus dem Norden stammen, resp. nördlich der Mainlinie wohnen.
Letzteres, insofern man die Klasse der Deutschen ansehen kann als
die identische Summe aus den Klassen der Nord- und der Süddeutschen
(einschliesslich der durch die Kolonialerwerbungen hinzugekommenen
Reichsangehörigen).

Alle diese Sätze dürften einfach als Selbstverständliche zu be-
zeichnen sein. -- Wir müssen hier eben auch die verschiedenen Arten
des Selbstverständlichen registriren. Und dieses hat verschiedene Grade!
Wo ist die Grenze des unmittelbar Selbstverständlichen für den einen,
wo für den andern Denker oder Studirenden? Im Grunde wird -- so
hoffen wir -- Alles in diesem Buch behauptete als selbstverständlich
richtig zu bezeichnen sein -- nicht minder wie diese elementarsten
Betrachtungen so auch die komplizirtesten Theoreme und Lösungen
verwickelter Aufgaben, in welche vielleicht schon der begabteste mensch-
liche Intellekt ohne die Technik unsres oder eines ihm gleichwertigen
Kalkuls nicht mehr Einsicht zu gewinnen vermöchte.

Zur Entschuldigung dafür, dass wir jeweils auch bei dem einfacheren,
dem unmittelbar Selbstverständlichen verweilen, sei der Ausspruch aus
Goethe's Wahlverwandtschaften citirt:

*) Der sog. "rote Schnee" ist es bekanntlich nur zum Scheine zufolge der
eingestreuten Protococcus nivalis -- Algen.
Vierte Vorlesung.

Das zweite Beispiel fordert die Bemerkung heraus, dass aller
Schnee weiss sei*), die versuchte Determination des Subjekts „Schnee“
durch das Adjektiv „weisse“ mithin überflüssig. Es gibt hier a b
d. h. b welche a sind — aber keine b, welche nicht a wären.

Das dritte Beispiel provozirt den Einwurf, dass es runde Quadrate
überhaupt nicht gebe. [Da es zu einer Kontroverse Anlass geben kann,
werden wir. auf dasselbe unter ϱ) des § 9 implicite nochmals zurück-
kommen.]

Die drei kursiv gedruckten Exempel können als typische bezeichnet
werden, indem — wie leicht zu sehen — jede denkbare Anwendung
des Satzes 6×) von der Art eines dieser drei Exempel in beregter
Hinsicht sein muss.
[Formel 1] a + b. „Die Adeligen sind Adelige oder auch Besitzende [ge-
hören zur Aristokratie]“. „Die Besitzenden ebenfalls“.
„Gleich ist untergeordnet oder gleich“, vergl. den § 1.

Der Satz: „Norddeutsche sind Deutsche“ kann angesehen werden
als eine Exemplifikation von 6×) sowol als von 6+). Ersteres, indem
man „Norddeutsche“ versteht als die Klasse derjenigen Deutschen,
welche aus dem Norden stammen, resp. nördlich der Mainlinie wohnen.
Letzteres, insofern man die Klasse der Deutschen ansehen kann als
die identische Summe aus den Klassen der Nord- und der Süddeutschen
(einschliesslich der durch die Kolonialerwerbungen hinzugekommenen
Reichsangehörigen).

Alle diese Sätze dürften einfach als Selbstverständliche zu be-
zeichnen sein. — Wir müssen hier eben auch die verschiedenen Arten
des Selbstverständlichen registriren. Und dieses hat verschiedene Grade!
Wo ist die Grenze des unmittelbar Selbstverständlichen für den einen,
wo für den andern Denker oder Studirenden? Im Grunde wird — so
hoffen wir — Alles in diesem Buch behauptete als selbstverständlich
richtig zu bezeichnen sein — nicht minder wie diese elementarsten
Betrachtungen so auch die komplizirtesten Theoreme und Lösungen
verwickelter Aufgaben, in welche vielleicht schon der begabteste mensch-
liche Intellekt ohne die Technik unsres oder eines ihm gleichwertigen
Kalkuls nicht mehr Einsicht zu gewinnen vermöchte.

Zur Entschuldigung dafür, dass wir jeweils auch bei dem einfacheren,
dem unmittelbar Selbstverständlichen verweilen, sei der Ausspruch aus
Goethe's Wahlverwandtschaften citirt:

*) Der sog. „rote Schnee“ ist es bekanntlich nur zum Scheine zufolge der
eingestreuten Protococcus nivalis — Algen.
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[236/0256] Vierte Vorlesung. Das zweite Beispiel fordert die Bemerkung heraus, dass aller Schnee weiss sei *), die versuchte Determination des Subjekts „Schnee“ durch das Adjektiv „weisse“ mithin überflüssig. Es gibt hier a b — d. h. b welche a sind — aber keine b, welche nicht a wären. Das dritte Beispiel provozirt den Einwurf, dass es runde Quadrate überhaupt nicht gebe. [Da es zu einer Kontroverse Anlass geben kann, werden wir. auf dasselbe unter ϱ) des § 9 implicite nochmals zurück- kommen.] Die drei kursiv gedruckten Exempel können als typische bezeichnet werden, indem — wie leicht zu sehen — jede denkbare Anwendung des Satzes 6×) von der Art eines dieser drei Exempel in beregter Hinsicht sein muss. [FORMEL] ⋹ a + b. „Die Adeligen sind Adelige oder auch Besitzende [ge- hören zur Aristokratie]“. „Die Besitzenden ebenfalls“. „Gleich ist untergeordnet oder gleich“, vergl. den § 1. Der Satz: „Norddeutsche sind Deutsche“ kann angesehen werden als eine Exemplifikation von 6×) sowol als von 6+). Ersteres, indem man „Norddeutsche“ versteht als die Klasse derjenigen Deutschen, welche aus dem Norden stammen, resp. nördlich der Mainlinie wohnen. Letzteres, insofern man die Klasse der Deutschen ansehen kann als die identische Summe aus den Klassen der Nord- und der Süddeutschen (einschliesslich der durch die Kolonialerwerbungen hinzugekommenen Reichsangehörigen). Alle diese Sätze dürften einfach als Selbstverständliche zu be- zeichnen sein. — Wir müssen hier eben auch die verschiedenen Arten des Selbstverständlichen registriren. Und dieses hat verschiedene Grade! Wo ist die Grenze des unmittelbar Selbstverständlichen für den einen, wo für den andern Denker oder Studirenden? Im Grunde wird — so hoffen wir — Alles in diesem Buch behauptete als selbstverständlich richtig zu bezeichnen sein — nicht minder wie diese elementarsten Betrachtungen so auch die komplizirtesten Theoreme und Lösungen verwickelter Aufgaben, in welche vielleicht schon der begabteste mensch- liche Intellekt ohne die Technik unsres oder eines ihm gleichwertigen Kalkuls nicht mehr Einsicht zu gewinnen vermöchte. Zur Entschuldigung dafür, dass wir jeweils auch bei dem einfacheren, dem unmittelbar Selbstverständlichen verweilen, sei der Ausspruch aus Goethe's Wahlverwandtschaften citirt: *) Der sog. „rote Schnee“ ist es bekanntlich nur zum Scheine zufolge der eingestreuten Protococcus nivalis — Algen.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/256>, abgerufen am 29.03.2024.