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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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meine Lagerstatt für dich viel zu groß; laß dir das Bette
anpassen, Freund!" und damit reckte er ihm die Glieder
so lange auseinander, bis er den Geist aufgab; kam
aber ein langer Gast, so brachte er ihn zur kurzen Bett¬
stelle; und zu diesem sagte er: "es ist mir leid, Guter,
daß mein Lager nicht für dich gemacht und viel zu klein
ist, doch dem soll bald geholfen seyn!" und so hieb er
ihm die Füße ab, so weit sie das Bett überragten. Die¬
sen, der ein Riese von Natur war, legte er in das kleine
Bett des Räubers selbst und schnitt ihm den Leib zusam¬
men, daß er jämmerlich umkam. So widerfuhr den mei¬
sten dieser Verbrecher von der Hand des Theseus nach
der Weise ihres eigenen Unrechtes ihr Recht.

Auf seiner ganzen bisherigen Reise war dem The¬
seus nichts Freundliches begegnet. Endlich aber, als er
zum Flusse Cephissus kam, traf er auf einige Männer aus
dem Geschlechte der Phytaliden, bei denen er gastfreie
Aufnahme fand. Vor allen Dingen reinigten sie ihn auf
seine Bitte mit den gewohnten Gebräuchen vom vergos¬
senen Blute und bewirtheten ihn in ihrem Hause. Nach¬
dem er sich gütlich gethan und den wackern Leuten seinen
Dank mit herzlichen Worten bezeugt, lenkte er seine
Schritte der nahen väterlichen Heimath zu.


Theseus in Athen.

Zu Athen fand der junge Held nicht den Frieden
und die Freude, die er erwartet hatte. Bei der Bürger¬
schaft herrschte Verwirrung und Zwietracht, und das
Haus seines Vaters Aegeus selbst fand er in trauriger

meine Lagerſtatt für dich viel zu groß; laß dir das Bette
anpaſſen, Freund!“ und damit reckte er ihm die Glieder
ſo lange auseinander, bis er den Geiſt aufgab; kam
aber ein langer Gaſt, ſo brachte er ihn zur kurzen Bett¬
ſtelle; und zu dieſem ſagte er: „es iſt mir leid, Guter,
daß mein Lager nicht für dich gemacht und viel zu klein
iſt, doch dem ſoll bald geholfen ſeyn!“ und ſo hieb er
ihm die Füße ab, ſo weit ſie das Bett überragten. Die¬
ſen, der ein Rieſe von Natur war, legte er in das kleine
Bett des Räubers ſelbſt und ſchnitt ihm den Leib zuſam¬
men, daß er jämmerlich umkam. So widerfuhr den mei¬
ſten dieſer Verbrecher von der Hand des Theſeus nach
der Weiſe ihres eigenen Unrechtes ihr Recht.

Auf ſeiner ganzen bisherigen Reiſe war dem The¬
ſeus nichts Freundliches begegnet. Endlich aber, als er
zum Fluſſe Cephiſſus kam, traf er auf einige Männer aus
dem Geſchlechte der Phytaliden, bei denen er gaſtfreie
Aufnahme fand. Vor allen Dingen reinigten ſie ihn auf
ſeine Bitte mit den gewohnten Gebräuchen vom vergoſ¬
ſenen Blute und bewirtheten ihn in ihrem Hauſe. Nach¬
dem er ſich gütlich gethan und den wackern Leuten ſeinen
Dank mit herzlichen Worten bezeugt, lenkte er ſeine
Schritte der nahen väterlichen Heimath zu.


Theſeus in Athen.

Zu Athen fand der junge Held nicht den Frieden
und die Freude, die er erwartet hatte. Bei der Bürger¬
ſchaft herrſchte Verwirrung und Zwietracht, und das
Haus ſeines Vaters Aegeus ſelbſt fand er in trauriger

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[283/0309] meine Lagerſtatt für dich viel zu groß; laß dir das Bette anpaſſen, Freund!“ und damit reckte er ihm die Glieder ſo lange auseinander, bis er den Geiſt aufgab; kam aber ein langer Gaſt, ſo brachte er ihn zur kurzen Bett¬ ſtelle; und zu dieſem ſagte er: „es iſt mir leid, Guter, daß mein Lager nicht für dich gemacht und viel zu klein iſt, doch dem ſoll bald geholfen ſeyn!“ und ſo hieb er ihm die Füße ab, ſo weit ſie das Bett überragten. Die¬ ſen, der ein Rieſe von Natur war, legte er in das kleine Bett des Räubers ſelbſt und ſchnitt ihm den Leib zuſam¬ men, daß er jämmerlich umkam. So widerfuhr den mei¬ ſten dieſer Verbrecher von der Hand des Theſeus nach der Weiſe ihres eigenen Unrechtes ihr Recht. Auf ſeiner ganzen bisherigen Reiſe war dem The¬ ſeus nichts Freundliches begegnet. Endlich aber, als er zum Fluſſe Cephiſſus kam, traf er auf einige Männer aus dem Geſchlechte der Phytaliden, bei denen er gaſtfreie Aufnahme fand. Vor allen Dingen reinigten ſie ihn auf ſeine Bitte mit den gewohnten Gebräuchen vom vergoſ¬ ſenen Blute und bewirtheten ihn in ihrem Hauſe. Nach¬ dem er ſich gütlich gethan und den wackern Leuten ſeinen Dank mit herzlichen Worten bezeugt, lenkte er ſeine Schritte der nahen väterlichen Heimath zu. Theſeus in Athen. Zu Athen fand der junge Held nicht den Frieden und die Freude, die er erwartet hatte. Bei der Bürger¬ ſchaft herrſchte Verwirrung und Zwietracht, und das Haus ſeines Vaters Aegeus ſelbſt fand er in trauriger

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/309>, abgerufen am 28.03.2024.