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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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Hypsipyle entging der Wuth nicht, in welche die
Mutter des Kindes, die Gemahlin des Lykurgus, Eury¬
dice, der Verlust ihres Sohnes versetzte. Sie wurde von
ihr in ein grausames Gefängniß geworfen, und der fürch¬
terlichste Tod war ihr geschworen. Das Glück wollte,
daß die verlassenen ältesten Söhne Hypsipyle's ihrer
Mutter schon auf der Spur waren, und nicht lange
nach dieser Begebenheit in Nemea eintrafen, wo sie die
gefangene Mutter befreiten.


Die Helden vor Thebe angekommen.

"Da habt ihr ein Vorzeichen, wie der Feldzug sich
enden wird!" sprach der Seher Amphiaraus finster, als
das Gebein des Knaben Opheltes entdeckt war. Aber die
anderen alle dachten mehr an die Erlegung der Schlange,
und priesen diese als eine glückliche Vorbedeutung. Und
weil sich das Heer eben von einer großen Bedrängniß
erholt hatte, so war Alles guter Dinge; der schwere
Seufzer des Unglückspropheten wurde überhört, und der
Zug ging lustig weiter. Es währte nicht viele Tage
mehr, so war das Heer der Argiver unter den Mauern
von Thebe angekommen.

In dieser Stadt hatte Eteokles mit seinem Oheim
Kreon Alles zu einer hartnäckigen Vertheidigung vorbe¬
reitet, und sprach zu den versammelten Bürgern: "Be¬
denket jetzt, ihr Mitbürger, was ihr eurer Vaterstadt
schuldig seyd, die euch in ihrem milden Schooße aufge¬
zogen und zu wackeren Kriegern gebildet hat. Ihr Alle,
vom Jünglinge, der noch nicht Mann ist, bis zum Manne

Hypſipyle entging der Wuth nicht, in welche die
Mutter des Kindes, die Gemahlin des Lykurgus, Eury¬
dice, der Verluſt ihres Sohnes verſetzte. Sie wurde von
ihr in ein grauſames Gefängniß geworfen, und der fürch¬
terlichſte Tod war ihr geſchworen. Das Glück wollte,
daß die verlaſſenen älteſten Söhne Hypſipyle's ihrer
Mutter ſchon auf der Spur waren, und nicht lange
nach dieſer Begebenheit in Nemea eintrafen, wo ſie die
gefangene Mutter befreiten.


Die Helden vor Thebe angekommen.

„Da habt ihr ein Vorzeichen, wie der Feldzug ſich
enden wird!“ ſprach der Seher Amphiaraus finſter, als
das Gebein des Knaben Opheltes entdeckt war. Aber die
anderen alle dachten mehr an die Erlegung der Schlange,
und prieſen dieſe als eine glückliche Vorbedeutung. Und
weil ſich das Heer eben von einer großen Bedrängniß
erholt hatte, ſo war Alles guter Dinge; der ſchwere
Seufzer des Unglückspropheten wurde überhört, und der
Zug ging luſtig weiter. Es währte nicht viele Tage
mehr, ſo war das Heer der Argiver unter den Mauern
von Thebe angekommen.

In dieſer Stadt hatte Eteokles mit ſeinem Oheim
Kreon Alles zu einer hartnäckigen Vertheidigung vorbe¬
reitet, und ſprach zu den verſammelten Bürgern: „Be¬
denket jetzt, ihr Mitbürger, was ihr eurer Vaterſtadt
ſchuldig ſeyd, die euch in ihrem milden Schooße aufge¬
zogen und zu wackeren Kriegern gebildet hat. Ihr Alle,
vom Jünglinge, der noch nicht Mann iſt, bis zum Manne

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[352/0378] Hypſipyle entging der Wuth nicht, in welche die Mutter des Kindes, die Gemahlin des Lykurgus, Eury¬ dice, der Verluſt ihres Sohnes verſetzte. Sie wurde von ihr in ein grauſames Gefängniß geworfen, und der fürch¬ terlichſte Tod war ihr geſchworen. Das Glück wollte, daß die verlaſſenen älteſten Söhne Hypſipyle's ihrer Mutter ſchon auf der Spur waren, und nicht lange nach dieſer Begebenheit in Nemea eintrafen, wo ſie die gefangene Mutter befreiten. Die Helden vor Thebe angekommen. „Da habt ihr ein Vorzeichen, wie der Feldzug ſich enden wird!“ ſprach der Seher Amphiaraus finſter, als das Gebein des Knaben Opheltes entdeckt war. Aber die anderen alle dachten mehr an die Erlegung der Schlange, und prieſen dieſe als eine glückliche Vorbedeutung. Und weil ſich das Heer eben von einer großen Bedrängniß erholt hatte, ſo war Alles guter Dinge; der ſchwere Seufzer des Unglückspropheten wurde überhört, und der Zug ging luſtig weiter. Es währte nicht viele Tage mehr, ſo war das Heer der Argiver unter den Mauern von Thebe angekommen. In dieſer Stadt hatte Eteokles mit ſeinem Oheim Kreon Alles zu einer hartnäckigen Vertheidigung vorbe¬ reitet, und ſprach zu den verſammelten Bürgern: „Be¬ denket jetzt, ihr Mitbürger, was ihr eurer Vaterſtadt ſchuldig ſeyd, die euch in ihrem milden Schooße aufge¬ zogen und zu wackeren Kriegern gebildet hat. Ihr Alle, vom Jünglinge, der noch nicht Mann iſt, bis zum Manne

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/378>, abgerufen am 18.04.2024.