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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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Kadmus .

Kadmus war ein Sohn des phönizischen Königes
Agenor, ein Bruder der Europa. Als Jupiter diese, in
einen Stier verwandelt, entführt hatte, sandte den
Kadmus und dessen Brüder sein Vater aus, sie zu suchen
und ohne sie erlaubte er ihnen nicht wieder zurückzukom¬
men. Lange hatte Kadmus vergebens die Welt durchirrt,
ohne Jupiters Schliche entdecken zu können. Als er die
Hoffnung verloren hatte, seine Schwester wieder aufzu¬
finden, scheute er seines Vaters Zorn, wandte sich an
das Orakel Phöbus-Apollo's und forschte, welches Land
er inskünftige bewohnen sollte. Apollo gab ihm die
Weisung: "Du wirst ein Rind auf einsamen Auen tref¬
fen, das noch kein Joch geduldet hat. Von diesem sollst
du dich leiten lassen, und an dem Platze, wo es im
Grase ruhen wird, erbaue Mauern und nenne die Stadt
Theben."

Kaum hatte Kadmus die kastalische Höhle verlassen,
wo Apolls Orakel war, als er schon auf der grünen
Waide eine Kuh sich bedächtig ergehen sah, die noch kein
Zeichen der Dienstbarkeit um den Nacken trug. Laut¬
los zu Phöbus betend folgte er mit langsamen Schritten
den Spuren des Thieres. Schon hatte er die Furth des
Ccphissus durchwatet und war über eine gute Strecke
Landes gekommen, als auf einmal das Rind stille stand,
sein Gehörn gen Himmel streckte und die Luft mit Brül¬
len erfüllte; dann schaute es rückwärts nach der Schaar
der Männer, die ihm folgte, und kauerte sich endlich im
schwellenden Grase nieder.

Kadmus .

Kadmus war ein Sohn des phöniziſchen Königes
Agenor, ein Bruder der Europa. Als Jupiter dieſe, in
einen Stier verwandelt, entführt hatte, ſandte den
Kadmus und deſſen Brüder ſein Vater aus, ſie zu ſuchen
und ohne ſie erlaubte er ihnen nicht wieder zurückzukom¬
men. Lange hatte Kadmus vergebens die Welt durchirrt,
ohne Jupiters Schliche entdecken zu können. Als er die
Hoffnung verloren hatte, ſeine Schweſter wieder aufzu¬
finden, ſcheute er ſeines Vaters Zorn, wandte ſich an
das Orakel Phöbus-Apollo's und forſchte, welches Land
er inskünftige bewohnen ſollte. Apollo gab ihm die
Weiſung: „Du wirſt ein Rind auf einſamen Auen tref¬
fen, das noch kein Joch geduldet hat. Von dieſem ſollſt
du dich leiten laſſen, und an dem Platze, wo es im
Graſe ruhen wird, erbaue Mauern und nenne die Stadt
Theben.“

Kaum hatte Kadmus die kaſtaliſche Höhle verlaſſen,
wo Apolls Orakel war, als er ſchon auf der grünen
Waide eine Kuh ſich bedächtig ergehen ſah, die noch kein
Zeichen der Dienſtbarkeit um den Nacken trug. Laut¬
los zu Phöbus betend folgte er mit langſamen Schritten
den Spuren des Thieres. Schon hatte er die Furth des
Ccphiſſus durchwatet und war über eine gute Strecke
Landes gekommen, als auf einmal das Rind ſtille ſtand,
ſein Gehörn gen Himmel ſtreckte und die Luft mit Brül¬
len erfüllte; dann ſchaute es rückwärts nach der Schaar
der Männer, die ihm folgte, und kauerte ſich endlich im
ſchwellenden Graſe nieder.

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[44/0070] Kadmus . Kadmus war ein Sohn des phöniziſchen Königes Agenor, ein Bruder der Europa. Als Jupiter dieſe, in einen Stier verwandelt, entführt hatte, ſandte den Kadmus und deſſen Brüder ſein Vater aus, ſie zu ſuchen und ohne ſie erlaubte er ihnen nicht wieder zurückzukom¬ men. Lange hatte Kadmus vergebens die Welt durchirrt, ohne Jupiters Schliche entdecken zu können. Als er die Hoffnung verloren hatte, ſeine Schweſter wieder aufzu¬ finden, ſcheute er ſeines Vaters Zorn, wandte ſich an das Orakel Phöbus-Apollo's und forſchte, welches Land er inskünftige bewohnen ſollte. Apollo gab ihm die Weiſung: „Du wirſt ein Rind auf einſamen Auen tref¬ fen, das noch kein Joch geduldet hat. Von dieſem ſollſt du dich leiten laſſen, und an dem Platze, wo es im Graſe ruhen wird, erbaue Mauern und nenne die Stadt Theben.“ Kaum hatte Kadmus die kaſtaliſche Höhle verlaſſen, wo Apolls Orakel war, als er ſchon auf der grünen Waide eine Kuh ſich bedächtig ergehen ſah, die noch kein Zeichen der Dienſtbarkeit um den Nacken trug. Laut¬ los zu Phöbus betend folgte er mit langſamen Schritten den Spuren des Thieres. Schon hatte er die Furth des Ccphiſſus durchwatet und war über eine gute Strecke Landes gekommen, als auf einmal das Rind ſtille ſtand, ſein Gehörn gen Himmel ſtreckte und die Luft mit Brül¬ len erfüllte; dann ſchaute es rückwärts nach der Schaar der Männer, die ihm folgte, und kauerte ſich endlich im ſchwellenden Graſe nieder.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/70>, abgerufen am 29.03.2024.