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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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Der Tod des Paris.

Als die Griechen das ersehnte Schiff, das den Phi¬
loktetes mit den beiden Helden am Borde hatte, in den
Hafen des Hellesponts einlaufen sahen, eilten sie schaaren¬
weise unter lautem Jubel an den Strand. Philoktetes
streckte die schwächlichen Hände hinaus und wurde von
seinen beiden Begleitern ans Ufer gehoben, welche müh¬
selig den Hinkenden in die Arme der harrenden Danaer
führten. Diese jammerte seines Anblickes. Da sprang
einer der Helden aus dem Haufen heraus, heftete einen
forschenden Blick auf die Wunde, rief mit lauter Rührung
seinen Vater Pöas bei Namen und versprach, ihn mit der
Götter Hülfe schnell zu heilen. Laut jauchzten die Griechen
auf, als sie seine Verheissung hörten. Es war Podali¬
rius, der Arzt, ein alter Freund des Pöas. Schnell
schaffte dieser die nöthigen Heilmittel herbei, die Argiver
aber wuschen und salbten den Körper des alten Helden.
Die Unsterblichen gaben ihren Segen: das verzehrende
Uebel schwand ihm aus den Gliedern und aller Jammer
aus der Seele. Der sieche Leib des Helden Philoktetes
blühte auf wie ein Aehrenfeld, das, am Regen dahin¬
welkend, von sommerlichen Winden erquickt wird. Die
Atriden selbst, die Häupter des Volkes, staunten, als sie
ihn so gleichsam vom Tode auferstehen sahen, und, nach¬
dem er sich an Trank und Speise gelabt, trat Agamemnon
zu ihm, ergriff ihn bei der Hand und sprach mit sicht¬
barer Beschämung: "Lieber Freund! Es ist in der Be¬
thörung unseres Geistes, aber auch nach göttlicher Fügung

Der Tod des Paris.

Als die Griechen das erſehnte Schiff, das den Phi¬
loktetes mit den beiden Helden am Borde hatte, in den
Hafen des Helleſponts einlaufen ſahen, eilten ſie ſchaaren¬
weiſe unter lautem Jubel an den Strand. Philoktetes
ſtreckte die ſchwächlichen Hände hinaus und wurde von
ſeinen beiden Begleitern ans Ufer gehoben, welche müh¬
ſelig den Hinkenden in die Arme der harrenden Danaer
führten. Dieſe jammerte ſeines Anblickes. Da ſprang
einer der Helden aus dem Haufen heraus, heftete einen
forſchenden Blick auf die Wunde, rief mit lauter Rührung
ſeinen Vater Pöas bei Namen und verſprach, ihn mit der
Götter Hülfe ſchnell zu heilen. Laut jauchzten die Griechen
auf, als ſie ſeine Verheiſſung hörten. Es war Podali¬
rius, der Arzt, ein alter Freund des Pöas. Schnell
ſchaffte dieſer die nöthigen Heilmittel herbei, die Argiver
aber wuſchen und ſalbten den Körper des alten Helden.
Die Unſterblichen gaben ihren Segen: das verzehrende
Uebel ſchwand ihm aus den Gliedern und aller Jammer
aus der Seele. Der ſieche Leib des Helden Philoktetes
blühte auf wie ein Aehrenfeld, das, am Regen dahin¬
welkend, von ſommerlichen Winden erquickt wird. Die
Atriden ſelbſt, die Häupter des Volkes, ſtaunten, als ſie
ihn ſo gleichſam vom Tode auferſtehen ſahen, und, nach¬
dem er ſich an Trank und Speiſe gelabt, trat Agamemnon
zu ihm, ergriff ihn bei der Hand und ſprach mit ſicht¬
barer Beſchämung: „Lieber Freund! Es iſt in der Be¬
thörung unſeres Geiſtes, aber auch nach göttlicher Fügung

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[392/0414] Der Tod des Paris. Als die Griechen das erſehnte Schiff, das den Phi¬ loktetes mit den beiden Helden am Borde hatte, in den Hafen des Helleſponts einlaufen ſahen, eilten ſie ſchaaren¬ weiſe unter lautem Jubel an den Strand. Philoktetes ſtreckte die ſchwächlichen Hände hinaus und wurde von ſeinen beiden Begleitern ans Ufer gehoben, welche müh¬ ſelig den Hinkenden in die Arme der harrenden Danaer führten. Dieſe jammerte ſeines Anblickes. Da ſprang einer der Helden aus dem Haufen heraus, heftete einen forſchenden Blick auf die Wunde, rief mit lauter Rührung ſeinen Vater Pöas bei Namen und verſprach, ihn mit der Götter Hülfe ſchnell zu heilen. Laut jauchzten die Griechen auf, als ſie ſeine Verheiſſung hörten. Es war Podali¬ rius, der Arzt, ein alter Freund des Pöas. Schnell ſchaffte dieſer die nöthigen Heilmittel herbei, die Argiver aber wuſchen und ſalbten den Körper des alten Helden. Die Unſterblichen gaben ihren Segen: das verzehrende Uebel ſchwand ihm aus den Gliedern und aller Jammer aus der Seele. Der ſieche Leib des Helden Philoktetes blühte auf wie ein Aehrenfeld, das, am Regen dahin¬ welkend, von ſommerlichen Winden erquickt wird. Die Atriden ſelbſt, die Häupter des Volkes, ſtaunten, als ſie ihn ſo gleichſam vom Tode auferſtehen ſahen, und, nach¬ dem er ſich an Trank und Speiſe gelabt, trat Agamemnon zu ihm, ergriff ihn bei der Hand und ſprach mit ſicht¬ barer Beſchämung: „Lieber Freund! Es iſt in der Be¬ thörung unſeres Geiſtes, aber auch nach göttlicher Fügung

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/414>, abgerufen am 29.03.2024.