Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Odysseus erzählt weiter.

Die Sirenen. Scylla und Charybdis. Thrinakia und die Heerden
des Sonnengottes. Schiffbruch. Odysseus bei Kalypso.

"Nachdem wir die Gebeine unsres verunglückten Ge¬
nossen," fuhr Odysseus fort, "auf der Insel Aeäa ver¬
brannt und zur Erde bestattet, auch dem Todten einen
Grabhügel aufgehäuft hatten und eine Denksäule darauf
gesetzt, und von Circe sehr freundlich empfangen und
bewirthet worden waren, fuhren wir, von ihr vor allerlei
Gefahren gewarnt und reichlich mit Lebensmitteln ver¬
sorgt, weiter.

Das erste Abenteuer, das wir zu bestehen hatten
und von welchem uns Circe geweissagt, erwartete uns
am Eilande der Sirenen. Dieses sind sangreiche Nym¬
phen, die jedermann bezaubern, der auf ihr Lied horcht.
Am grünen Gestade sitzen sie und singen ihre Zauber¬
lieder dem Vorüberfahrenden zu. Wer sich zu ihnen hin¬
überlocken läßt, ist ein Kind des Todes, und man
sieht deßwegen an ihrem Ufer moderndes Gebein genug
umherliegen. Bei der Insel dieser verführerischen Nym¬
phen angekommen, hielt unser Schiff stille, denn der
Fahrwind, der uns bisher gelinde vorwärts getrieben,
hörte mit einemmal auf zu wehen, und das Gewässer
schimmerte wie ein Spiegel. Meine Begleiter nahmen
die Segel von den Stangen, falteten sie zusammen, legten
sie im Schiffe nieder, und setzten sich ans Ruder, um

Odyſſeus erzählt weiter.

Die Sirenen. Scylla und Charybdis. Thrinakia und die Heerden
des Sonnengottes. Schiffbruch. Odyſſeus bei Kalypſo.

„Nachdem wir die Gebeine unſres verunglückten Ge¬
noſſen,“ fuhr Odyſſeus fort, „auf der Inſel Aeäa ver¬
brannt und zur Erde beſtattet, auch dem Todten einen
Grabhügel aufgehäuft hatten und eine Denkſäule darauf
geſetzt, und von Circe ſehr freundlich empfangen und
bewirthet worden waren, fuhren wir, von ihr vor allerlei
Gefahren gewarnt und reichlich mit Lebensmitteln ver¬
ſorgt, weiter.

Das erſte Abenteuer, das wir zu beſtehen hatten
und von welchem uns Circe geweiſſagt, erwartete uns
am Eilande der Sirenen. Dieſes ſind ſangreiche Nym¬
phen, die jedermann bezaubern, der auf ihr Lied horcht.
Am grünen Geſtade ſitzen ſie und ſingen ihre Zauber¬
lieder dem Vorüberfahrenden zu. Wer ſich zu ihnen hin¬
überlocken läßt, iſt ein Kind des Todes, und man
ſieht deßwegen an ihrem Ufer moderndes Gebein genug
umherliegen. Bei der Inſel dieſer verführeriſchen Nym¬
phen angekommen, hielt unſer Schiff ſtille, denn der
Fahrwind, der uns bisher gelinde vorwärts getrieben,
hörte mit einemmal auf zu wehen, und das Gewäſſer
ſchimmerte wie ein Spiegel. Meine Begleiter nahmen
die Segel von den Stangen, falteten ſie zuſammen, legten
ſie im Schiffe nieder, und ſetzten ſich ans Ruder, um

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0182" n="160"/>
            </div>
          </div>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Ody&#x017F;&#x017F;eus erzählt weiter.</hi><lb/>
            </head>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <div n="4">
              <argument>
                <p rendition="#c">Die Sirenen. Scylla und Charybdis. Thrinakia und die Heerden<lb/>
des Sonnengottes. Schiffbruch. Ody&#x017F;&#x017F;eus bei Kalyp&#x017F;o.</p>
              </argument><lb/>
              <p>&#x201E;Nachdem wir die Gebeine un&#x017F;res verunglückten Ge¬<lb/>
no&#x017F;&#x017F;en,&#x201C; fuhr Ody&#x017F;&#x017F;eus fort, &#x201E;auf der In&#x017F;el Aeäa ver¬<lb/>
brannt und zur Erde be&#x017F;tattet, auch dem Todten einen<lb/>
Grabhügel aufgehäuft hatten und eine Denk&#x017F;äule darauf<lb/>
ge&#x017F;etzt, und von Circe &#x017F;ehr freundlich empfangen und<lb/>
bewirthet worden waren, fuhren wir, von ihr vor allerlei<lb/>
Gefahren gewarnt und reichlich mit Lebensmitteln ver¬<lb/>
&#x017F;orgt, weiter.</p><lb/>
              <p>Das er&#x017F;te Abenteuer, das wir zu be&#x017F;tehen hatten<lb/>
und von welchem uns Circe gewei&#x017F;&#x017F;agt, erwartete uns<lb/>
am Eilande der Sirenen. Die&#x017F;es &#x017F;ind &#x017F;angreiche Nym¬<lb/>
phen, die jedermann bezaubern, der auf ihr Lied horcht.<lb/>
Am grünen Ge&#x017F;tade &#x017F;itzen &#x017F;ie und &#x017F;ingen ihre Zauber¬<lb/>
lieder dem Vorüberfahrenden zu. Wer &#x017F;ich zu ihnen hin¬<lb/>
überlocken läßt, i&#x017F;t ein Kind des Todes, und man<lb/>
&#x017F;ieht deßwegen an ihrem Ufer moderndes Gebein genug<lb/>
umherliegen. Bei der In&#x017F;el die&#x017F;er verführeri&#x017F;chen Nym¬<lb/>
phen angekommen, hielt un&#x017F;er Schiff &#x017F;tille, denn der<lb/>
Fahrwind, der uns bisher gelinde vorwärts getrieben,<lb/>
hörte mit einemmal auf zu wehen, und das Gewä&#x017F;&#x017F;er<lb/>
&#x017F;chimmerte wie ein Spiegel. Meine Begleiter nahmen<lb/>
die Segel von den Stangen, falteten &#x017F;ie zu&#x017F;ammen, legten<lb/>
&#x017F;ie im Schiffe nieder, und &#x017F;etzten &#x017F;ich ans Ruder, um<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[160/0182] Odyſſeus erzählt weiter. Die Sirenen. Scylla und Charybdis. Thrinakia und die Heerden des Sonnengottes. Schiffbruch. Odyſſeus bei Kalypſo. „Nachdem wir die Gebeine unſres verunglückten Ge¬ noſſen,“ fuhr Odyſſeus fort, „auf der Inſel Aeäa ver¬ brannt und zur Erde beſtattet, auch dem Todten einen Grabhügel aufgehäuft hatten und eine Denkſäule darauf geſetzt, und von Circe ſehr freundlich empfangen und bewirthet worden waren, fuhren wir, von ihr vor allerlei Gefahren gewarnt und reichlich mit Lebensmitteln ver¬ ſorgt, weiter. Das erſte Abenteuer, das wir zu beſtehen hatten und von welchem uns Circe geweiſſagt, erwartete uns am Eilande der Sirenen. Dieſes ſind ſangreiche Nym¬ phen, die jedermann bezaubern, der auf ihr Lied horcht. Am grünen Geſtade ſitzen ſie und ſingen ihre Zauber¬ lieder dem Vorüberfahrenden zu. Wer ſich zu ihnen hin¬ überlocken läßt, iſt ein Kind des Todes, und man ſieht deßwegen an ihrem Ufer moderndes Gebein genug umherliegen. Bei der Inſel dieſer verführeriſchen Nym¬ phen angekommen, hielt unſer Schiff ſtille, denn der Fahrwind, der uns bisher gelinde vorwärts getrieben, hörte mit einemmal auf zu wehen, und das Gewäſſer ſchimmerte wie ein Spiegel. Meine Begleiter nahmen die Segel von den Stangen, falteten ſie zuſammen, legten ſie im Schiffe nieder, und ſetzten ſich ans Ruder, um

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/182
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/182>, abgerufen am 25.04.2024.