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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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seinem Sohn und den Genossen der Flucht, sich in aller
Eile wieder einzuschiffen.


Aeneas an der Küste Italiens. Sicilien und der
Cyklopenstrand. Tod des Anchises.

Nach langen Irrfahrten und mancherlei Abentheuern
erschien endlich eine niedrige Küste mit dämmernden Hü¬
geln aus der Ferne. "Italien," rief zuerst der Held
Achates, der das Land vor den Andern erblickt hatte.
"Italien!" riefen einfallend unter Freudengeschrei die ju¬
belnden Genossen. Der Greis Anchises bekränzte einen
geräumigen Becher und füllte ihn bis zum Rande mit
Wein. Auf dem Hinterverdecke stehend, flehte er die
Meeresgötter um günstigen Wind und leichte Fahrt an.
Auch wehte wirklich die erbetene Luft kräftiger, immer
näher flogen sie einem sich vor ihren Augen erschließen¬
den Hafen, und von einem Hügel des Landes winkte
ihnen ein schöner Minerventempel. Vertrauensvoll roll¬
ten sie die Segel zusammen, und drängten die Schiffe
nach dem Strande. Der Hafen bildete, von der östlichen
Brandung des Meeres ausgehöhlt, einen Bogen, an
vorgelagerten Klippen spritzte die Meerfluth schäumend
auf, eine Mauer gethürmter Felsen senkte rechts und links
ihre Arme ins Meer herab, und der Tempel, in der
Mitte der Bucht gelegen, trat in den Hintergrund. Hier
erblickten sie am Gestade als erstes Vorzeichen vier schnee¬
weiße Rosse, die hier und dort im tiefen Grase weideten.
"Rosse bedeuten Krieg," rief Anchises aus, "mit Kriege
droht uns dieses Land, so gastlich es aussieht. Laßt uns

ſeinem Sohn und den Genoſſen der Flucht, ſich in aller
Eile wieder einzuſchiffen.


Aeneas an der Küſte Italiens. Sicilien und der
Cyklopenſtrand. Tod des Anchiſes.

Nach langen Irrfahrten und mancherlei Abentheuern
erſchien endlich eine niedrige Küſte mit dämmernden Hü¬
geln aus der Ferne. „Italien,“ rief zuerſt der Held
Achates, der das Land vor den Andern erblickt hatte.
„Italien!“ riefen einfallend unter Freudengeſchrei die ju¬
belnden Genoſſen. Der Greis Anchiſes bekränzte einen
geräumigen Becher und füllte ihn bis zum Rande mit
Wein. Auf dem Hinterverdecke ſtehend, flehte er die
Meeresgötter um günſtigen Wind und leichte Fahrt an.
Auch wehte wirklich die erbetene Luft kräftiger, immer
näher flogen ſie einem ſich vor ihren Augen erſchließen¬
den Hafen, und von einem Hügel des Landes winkte
ihnen ein ſchöner Minerventempel. Vertrauensvoll roll¬
ten ſie die Segel zuſammen, und drängten die Schiffe
nach dem Strande. Der Hafen bildete, von der öſtlichen
Brandung des Meeres ausgehöhlt, einen Bogen, an
vorgelagerten Klippen ſpritzte die Meerfluth ſchäumend
auf, eine Mauer gethürmter Felſen ſenkte rechts und links
ihre Arme ins Meer herab, und der Tempel, in der
Mitte der Bucht gelegen, trat in den Hintergrund. Hier
erblickten ſie am Geſtade als erſtes Vorzeichen vier ſchnee¬
weiße Roſſe, die hier und dort im tiefen Graſe weideten.
„Roſſe bedeuten Krieg,“ rief Anchiſes aus, „mit Kriege
droht uns dieſes Land, ſo gaſtlich es ausſieht. Laßt uns

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[306/0328] ſeinem Sohn und den Genoſſen der Flucht, ſich in aller Eile wieder einzuſchiffen. Aeneas an der Küſte Italiens. Sicilien und der Cyklopenſtrand. Tod des Anchiſes. Nach langen Irrfahrten und mancherlei Abentheuern erſchien endlich eine niedrige Küſte mit dämmernden Hü¬ geln aus der Ferne. „Italien,“ rief zuerſt der Held Achates, der das Land vor den Andern erblickt hatte. „Italien!“ riefen einfallend unter Freudengeſchrei die ju¬ belnden Genoſſen. Der Greis Anchiſes bekränzte einen geräumigen Becher und füllte ihn bis zum Rande mit Wein. Auf dem Hinterverdecke ſtehend, flehte er die Meeresgötter um günſtigen Wind und leichte Fahrt an. Auch wehte wirklich die erbetene Luft kräftiger, immer näher flogen ſie einem ſich vor ihren Augen erſchließen¬ den Hafen, und von einem Hügel des Landes winkte ihnen ein ſchöner Minerventempel. Vertrauensvoll roll¬ ten ſie die Segel zuſammen, und drängten die Schiffe nach dem Strande. Der Hafen bildete, von der öſtlichen Brandung des Meeres ausgehöhlt, einen Bogen, an vorgelagerten Klippen ſpritzte die Meerfluth ſchäumend auf, eine Mauer gethürmter Felſen ſenkte rechts und links ihre Arme ins Meer herab, und der Tempel, in der Mitte der Bucht gelegen, trat in den Hintergrund. Hier erblickten ſie am Geſtade als erſtes Vorzeichen vier ſchnee¬ weiße Roſſe, die hier und dort im tiefen Graſe weideten. „Roſſe bedeuten Krieg,“ rief Anchiſes aus, „mit Kriege droht uns dieſes Land, ſo gaſtlich es ausſieht. Laßt uns

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/328>, abgerufen am 29.03.2024.