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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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wirthung, für die ich den vorigen Abend auch auf
der Post oben in dem Apennin sieben Paolo gezahlt
hatte, musste ich hier in dem Lande des Segens mit
sechzehn bezahlen. Man wollte mich überdiess mit
Gewalt zu Wagen weiter spedieren, und da ich diess
durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein Em¬
pfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirthers nach
Spoleto an einen seiner guten Freunde haben. Natür¬
lich, dass ich auch dafür dankte; denn er hatte mir
vorher durch sich selbst seine guten Freunde nicht
sonderlich empfohlen. Sobald als der Morgen graute,
nahm ich also mein Bündel und wandelte immer wie¬
der im Thale hinauf nach Hannibals Kopfstoss. Hier
kam ich bey den berühmten Quellen des Klitumnus
vorbey, die jetzt von den Eselstreibern und Wasch¬
weibern gewissenlos entweiht werden; ob sie gleich
noch eben so schön sind wie vormahls, als Plinius so
enthusiastisch davon sprach. Grosse Haine und viele
Tempel giebt es freylich nicht mehr hier; aber die
Gegend ist allerliebst und ich stieg emsig hinab und
trank durstig mit grossen Zügen aus der stärksten
Quelle, als ob es Hippokrene gewesen wäre. Hier und
da standen noch ziemlich hohe Cypressen, die eh¬
mahls in der Gegend berühmt gewesen seyn sollen.
Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre
Geschenke hier in ihrem Heiligthume niedergelegt
hätten. Es sollen in den Weinbergen noch einige
Trümmer alter Tempel seyn; ich suchte sie aber
nicht auf. Als ich so dort mich auf dem jungen Ra¬
san sonnte, setzte sich ein stattlich gekleideter Jäger
zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf Politik, zog

wirthung, für die ich den vorigen Abend auch auf
der Post oben in dem Apennin sieben Paolo gezahlt
hatte, muſste ich hier in dem Lande des Segens mit
sechzehn bezahlen. Man wollte mich überdieſs mit
Gewalt zu Wagen weiter spedieren, und da ich dieſs
durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein Em¬
pfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirthers nach
Spoleto an einen seiner guten Freunde haben. Natür¬
lich, daſs ich auch dafür dankte; denn er hatte mir
vorher durch sich selbst seine guten Freunde nicht
sonderlich empfohlen. Sobald als der Morgen graute,
nahm ich also mein Bündel und wandelte immer wie¬
der im Thale hinauf nach Hannibals Kopfstoſs. Hier
kam ich bey den berühmten Quellen des Klitumnus
vorbey, die jetzt von den Eselstreibern und Wasch¬
weibern gewissenlos entweiht werden; ob sie gleich
noch eben so schön sind wie vormahls, als Plinius so
enthusiastisch davon sprach. Groſse Haine und viele
Tempel giebt es freylich nicht mehr hier; aber die
Gegend ist allerliebst und ich stieg emsig hinab und
trank durstig mit groſsen Zügen aus der stärksten
Quelle, als ob es Hippokrene gewesen wäre. Hier und
da standen noch ziemlich hohe Cypressen, die eh¬
mahls in der Gegend berühmt gewesen seyn sollen.
Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre
Geschenke hier in ihrem Heiligthume niedergelegt
hätten. Es sollen in den Weinbergen noch einige
Trümmer alter Tempel seyn; ich suchte sie aber
nicht auf. Als ich so dort mich auf dem jungen Ra¬
san sonnte, setzte sich ein stattlich gekleideter Jäger
zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf Politik, zog

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[143/0169] wirthung, für die ich den vorigen Abend auch auf der Post oben in dem Apennin sieben Paolo gezahlt hatte, muſste ich hier in dem Lande des Segens mit sechzehn bezahlen. Man wollte mich überdieſs mit Gewalt zu Wagen weiter spedieren, und da ich dieſs durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein Em¬ pfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirthers nach Spoleto an einen seiner guten Freunde haben. Natür¬ lich, daſs ich auch dafür dankte; denn er hatte mir vorher durch sich selbst seine guten Freunde nicht sonderlich empfohlen. Sobald als der Morgen graute, nahm ich also mein Bündel und wandelte immer wie¬ der im Thale hinauf nach Hannibals Kopfstoſs. Hier kam ich bey den berühmten Quellen des Klitumnus vorbey, die jetzt von den Eselstreibern und Wasch¬ weibern gewissenlos entweiht werden; ob sie gleich noch eben so schön sind wie vormahls, als Plinius so enthusiastisch davon sprach. Groſse Haine und viele Tempel giebt es freylich nicht mehr hier; aber die Gegend ist allerliebst und ich stieg emsig hinab und trank durstig mit groſsen Zügen aus der stärksten Quelle, als ob es Hippokrene gewesen wäre. Hier und da standen noch ziemlich hohe Cypressen, die eh¬ mahls in der Gegend berühmt gewesen seyn sollen. Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre Geschenke hier in ihrem Heiligthume niedergelegt hätten. Es sollen in den Weinbergen noch einige Trümmer alter Tempel seyn; ich suchte sie aber nicht auf. Als ich so dort mich auf dem jungen Ra¬ san sonnte, setzte sich ein stattlich gekleideter Jäger zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf Politik, zog

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/169>, abgerufen am 23.04.2024.