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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Als ich als ein junger Mensch von achtzehn
Jahren als theologischer Pflegling von der Aka¬
demie in die Welt hinein lief, fand man bey
Untersuchung, dass ich keinen Schulfreund er¬
stochen, kein Mädchen in den Klagestand ge¬
setzt und keine Schulden hinterlassen, dass ich
sogar die wenigen Thaler Schulden den Tag
vor der Verschwindung noch bezahlt hatte;
und man konnte nun den Grund der Entfer¬
nung durchaus nicht entdecken und hielt mich
für melancholisch verirrt, und liess mich sogar
in dieser Voraussetzung so schonend als mög¬
lich zur Nachsuchung in öffentliche Blätter sez¬
zen. Dass ein Student den Tag vorher ehe er
durchgeht, seine Schulden bezahlt, schien ein
starker Beweis des Wahnsinns. Ich überlasse
den Philantropen die Betrachtung über diesen
Schluss, der eine sehr schlimme Meinung von
der Sittlichkeit unserer Jugend verräth. Dem
Psychologen wird das Räthsel erklärt seyn,
wenn ich ihm sage, dass die Gesinnungen, die
ich seitdem hier und da und vorzüglich in fol¬
gender Erzählung geäussert habe, schon damals
alle lebendig in meiner Seele lagen, als ich
mit neun Thalern und dem Tacitus in der Ta¬

Als ich als ein junger Mensch von achtzehn
Jahren als theologischer Pflegling von der Aka¬
demie in die Welt hinein lief, fand man bey
Untersuchung, daſs ich keinen Schulfreund er¬
stochen, kein Mädchen in den Klagestand ge¬
setzt und keine Schulden hinterlassen, daſs ich
sogar die wenigen Thaler Schulden den Tag
vor der Verschwindung noch bezahlt hatte;
und man konnte nun den Grund der Entfer¬
nung durchaus nicht entdecken und hielt mich
für melancholisch verirrt, und lieſs mich sogar
in dieser Voraussetzung so schonend als mög¬
lich zur Nachsuchung in öffentliche Blätter sez¬
zen. Daſs ein Student den Tag vorher ehe er
durchgeht, seine Schulden bezahlt, schien ein
starker Beweis des Wahnsinns. Ich überlasse
den Philantropen die Betrachtung über diesen
Schluſs, der eine sehr schlimme Meinung von
der Sittlichkeit unserer Jugend verräth. Dem
Psychologen wird das Räthsel erklärt seyn,
wenn ich ihm sage, daſs die Gesinnungen, die
ich seitdem hier und da und vorzüglich in fol¬
gender Erzählung geäuſsert habe, schon damals
alle lebendig in meiner Seele lagen, als ich
mit neun Thalern und dem Tacitus in der Ta¬

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[VIII/0018] Als ich als ein junger Mensch von achtzehn Jahren als theologischer Pflegling von der Aka¬ demie in die Welt hinein lief, fand man bey Untersuchung, daſs ich keinen Schulfreund er¬ stochen, kein Mädchen in den Klagestand ge¬ setzt und keine Schulden hinterlassen, daſs ich sogar die wenigen Thaler Schulden den Tag vor der Verschwindung noch bezahlt hatte; und man konnte nun den Grund der Entfer¬ nung durchaus nicht entdecken und hielt mich für melancholisch verirrt, und lieſs mich sogar in dieser Voraussetzung so schonend als mög¬ lich zur Nachsuchung in öffentliche Blätter sez¬ zen. Daſs ein Student den Tag vorher ehe er durchgeht, seine Schulden bezahlt, schien ein starker Beweis des Wahnsinns. Ich überlasse den Philantropen die Betrachtung über diesen Schluſs, der eine sehr schlimme Meinung von der Sittlichkeit unserer Jugend verräth. Dem Psychologen wird das Räthsel erklärt seyn, wenn ich ihm sage, daſs die Gesinnungen, die ich seitdem hier und da und vorzüglich in fol¬ gender Erzählung geäuſsert habe, schon damals alle lebendig in meiner Seele lagen, als ich mit neun Thalern und dem Tacitus in der Ta¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/18>, abgerufen am 28.03.2024.