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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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doch zuweilen gefährlich zu passieren seyn: denn er
ist ziemlich tief und schnell und man erzählte mir,
dass, als die Franzosen ungefähr zwey Stunden auf¬
wärts mit der Reiterey hindurchsetzen wollten, ihrer
viele dabey umgekommen wären. An den Ufern des¬
selben weiden grosse Heerden Büffel.

Als ich wieder hinunter kam, setzte man mir auch
Falerner Wein vor; für die Aechtheit will ich indes¬
sen nicht stehen. Es ist bloss die klassische Neugierde
ihn getrunken zu haben; denn er hat schon längst
seinen alten Kredit verloren. Höchst wahrscheinlich
ist die Ursache der Ausartung Vernachlässigung, wie
bey den meisten italiänischen Weinen, die sich besser
halten würden, wenn man sie besser hielte. Als wir
den Morgen auswandelten, ward meinem Kalabresen
entsetzlich bange; er behauptete, das folgende Dorf be¬
stände aus lauter Räubern und Mördern, die die Pas¬
sage von Montagne spaccate zu ihrem Tummelplatz
machten. Jeder Windstoss durch das Gesträuch er¬
schreckte ihn; und als wir vollends einige bis auf die
Zähne abgedorrte Köpfe in eisernen Käfichten an dem
Felsen befestiget sahen, war er der Auflösung seines
Wesens nahe, ob er gleich den Krieg als königlicher
Kanonier mitgemacht hatte, und ein Kerl wie ein
Bär war. Er fahselte von lauter Mariohlen, wie er
sie nannte, die gar fürchterliche Leute seyn sollten
und von denen er erschreckliche Dinge erzählte. Als
ich mir eine Beschreibung der Kerle ausbat, sagte er,
män wüsste nicht, woher sie kämen und wohin sie
gingen, sondern nur was sie thäten; sie plünderten
und raubten und schlügen todt wo sie könnten, gin¬

doch zuweilen gefährlich zu passieren seyn: denn er
ist ziemlich tief und schnell und man erzählte mir,
daſs, als die Franzosen ungefähr zwey Stunden auf¬
wärts mit der Reiterey hindurchsetzen wollten, ihrer
viele dabey umgekommen wären. An den Ufern des¬
selben weiden groſse Heerden Büffel.

Als ich wieder hinunter kam, setzte man mir auch
Falerner Wein vor; für die Aechtheit will ich indes¬
sen nicht stehen. Es ist bloſs die klassische Neugierde
ihn getrunken zu haben; denn er hat schon längst
seinen alten Kredit verloren. Höchst wahrscheinlich
ist die Ursache der Ausartung Vernachlässigung, wie
bey den meisten italiänischen Weinen, die sich besser
halten würden, wenn man sie besser hielte. Als wir
den Morgen auswandelten, ward meinem Kalabresen
entsetzlich bange; er behauptete, das folgende Dorf be¬
stände aus lauter Räubern und Mördern, die die Pas¬
sage von Montagne spaccate zu ihrem Tummelplatz
machten. Jeder Windstoſs durch das Gesträuch er¬
schreckte ihn; und als wir vollends einige bis auf die
Zähne abgedorrte Köpfe in eisernen Käfichten an dem
Felsen befestiget sahen, war er der Auflösung seines
Wesens nahe, ob er gleich den Krieg als königlicher
Kanonier mitgemacht hatte, und ein Kerl wie ein
Bär war. Er fahselte von lauter Mariohlen, wie er
sie nannte, die gar fürchterliche Leute seyn sollten
und von denen er erschreckliche Dinge erzählte. Als
ich mir eine Beschreibung der Kerle ausbat, sagte er,
män wüſste nicht, woher sie kämen und wohin sie
gingen, sondern nur was sie thäten; sie plünderten
und raubten und schlügen todt wo sie könnten, gin¬

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[181/0207] doch zuweilen gefährlich zu passieren seyn: denn er ist ziemlich tief und schnell und man erzählte mir, daſs, als die Franzosen ungefähr zwey Stunden auf¬ wärts mit der Reiterey hindurchsetzen wollten, ihrer viele dabey umgekommen wären. An den Ufern des¬ selben weiden groſse Heerden Büffel. Als ich wieder hinunter kam, setzte man mir auch Falerner Wein vor; für die Aechtheit will ich indes¬ sen nicht stehen. Es ist bloſs die klassische Neugierde ihn getrunken zu haben; denn er hat schon längst seinen alten Kredit verloren. Höchst wahrscheinlich ist die Ursache der Ausartung Vernachlässigung, wie bey den meisten italiänischen Weinen, die sich besser halten würden, wenn man sie besser hielte. Als wir den Morgen auswandelten, ward meinem Kalabresen entsetzlich bange; er behauptete, das folgende Dorf be¬ stände aus lauter Räubern und Mördern, die die Pas¬ sage von Montagne spaccate zu ihrem Tummelplatz machten. Jeder Windstoſs durch das Gesträuch er¬ schreckte ihn; und als wir vollends einige bis auf die Zähne abgedorrte Köpfe in eisernen Käfichten an dem Felsen befestiget sahen, war er der Auflösung seines Wesens nahe, ob er gleich den Krieg als königlicher Kanonier mitgemacht hatte, und ein Kerl wie ein Bär war. Er fahselte von lauter Mariohlen, wie er sie nannte, die gar fürchterliche Leute seyn sollten und von denen er erschreckliche Dinge erzählte. Als ich mir eine Beschreibung der Kerle ausbat, sagte er, män wüſste nicht, woher sie kämen und wohin sie gingen, sondern nur was sie thäten; sie plünderten und raubten und schlügen todt wo sie könnten, gin¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/207>, abgerufen am 25.04.2024.